Geschrieben am 5. Oktober 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von Puro Instinct, Dum Dum Girls, Jolly Goods, Thundercat, Lanterns On The Lake und Peter Kernel, vorsgestellt von Janine Andert (JA), Tobi Kirsch (TK), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM).

Puro Instinct: Headbangers In EcstasyWeichzeichner für Blondinen in rosa

(JA) Auf dem Plattencover räkeln sich zwei leicht bekleidete junge Damen nebst weißem Kaninchen in pinkfarbener Satinbettwäsche – Porno! Der Bandname verspricht “Puro Instinct”, und der Albumtitel “Headbangers In Ectasy” lässt die Träume noch feuchter werden. Umso überraschender ist die Entdeckung, dass der Vintagesound der Kalifornierinnen schwer an Bananarama erinnert. Versuchen wir, die Verpackung besser zu vergessen, und konzentrieren uns vorerst auf den Tonträger. Verheißungsvoll werden die Girlgroups der späten 80er- und frühen 90er-Jahre heraufbeschworen. Und wenn man alle Augen zudrückt, passt auch die Bezeichnung Dream Pop. Denn Puro Instinct bedienen ausschliesslich das Segment der Balladen von Bananarama und Co. Verträumt, ruhig und auf Dauer wenig abwechslungsreich fehlt es an Energie und Stinkefinger-Attitüde, die besagte glamouröse Pornoästhetik zu etwas Größerem adeln würde.

So bleiben Puro Instinct in ihrer expliziten, weichgezeichneten 70er-Jahre-Erotik sexuellen Männerfantasien verpflichtet. Die Songs richten sich musikalisch und lyrisch – wenn wir schon in Schubladen einsortieren – an heranwachsende Frauen. Und gerade das ist das Ärgerliche an “Headbangers In Ecstasy” – mit Barbie-Puppe im Schlepptau eignet sich das Album perfekt als Anschauungsmaterial für die Früherziehung Rosa tragender Blondinen auf der Suche nach einem reichen Mann. Sei süß, sei sexy! Da können die 24-jährige Piper Kaplan und ihre 16-jährige Schwester Skylar noch so nette Wattestimmchen ins Seifenblasenparadies zaubern oder mit Ariel Pink am Sound tüfteln – ICH gehe jetzt eine Emma kaufen und boykottiere dieses Album.

Puro Instinct: Headbangers In Ecstasy. Record Makers (Al!ve). Zu Facebook, MySpace, Soundcloud und Bandcamp.

Doch das Gegengift naht, glücklicherweise…

Dum Dum Girls: Only In DreamsUnniedlich

(CM) Zurzeit sind ja einige Frauenbands around, die sich wie modernisierte Variationen der Shangri-La´s und Ronettes anhören, aber die kalifornischen Dum Dum Girls sind die Besten. Auf ihrem zweiten Full-Length-Album “Only In Dreams”, dem Anfang des Jahres die vielversprechende EP “He Gets Me High” vorausging, lassen Chefin Kristen Gundred alias Dee Dee (natürlich benannte sie sich nach ihrem Vorbild Dee Dee Ramone) und ihre Kolleginnen Jules, Bambi und Sandy ihrer Liebe für dreckigen Garagenbeat, Beach Boys-Harmonien und Girlgroup-Gesang freien Lauf – und vergessen dabei nicht, auch gute Songs zu schreiben. Richard Gottehrer, der schon für Blondie und Bow Wow Wow komponierte, und Sune Rose Wagner von den Raveonettes sorgen für die daunendeckendicke Produktion – weniger trashiges Geschepper, mehr volumige Bässe und Sing-Along-Chöre.

Untermalt mit ordentlich Fuzz, Hall und Reverb rocken Stücke wie “Always Looking”, “Heartbeat” (eine offensichtliche Hommage an Buddy Holly) oder “In My Head”, als hätten wir gleichzeitig 1955, ’62, ’77 und 2011. Die Hooklines sind euphorisch oder ziemlich düster wie im halluzinierenden “Bedroom Eyes” und der traurigen Ballade “Coming Down”, die Dee Dee nach dem Tod ihrer Mutter schrieb. Dum Dum Girls sind eine dicht und druckvoll aufspielende Band, keine niedlichen Püppchen, die sich nur an einen Trend dranhängen wollen. Dreh- und Angelpunkt ist aber unbestritten Sängerin Dee Dee, deren nasal-coole Stimme an Chrissie Hynde und Kate Jackson (The Long Blondes) erinnert, in deren unmittelbare Nachbarschaft die Dum Dum Girls auch gehören.

Dum Dum Girls: Only In Dreams. Sub Pop (Cargo). Zu Homepage und MySpace.

Jolly Goods: WalrusWütend und stachlig

(CM) Der allwissende Internethändler Amazon informiert, dass Kunden, die Jolly Goods‚ “Walrus” kauften, auch “Mutual Friends” von BOY erworben haben. Doch nichts ist abwegiger, als diese beiden Bands in einen Topf zu werfen, die nichts außer der Tatsache gemein haben, ein aus zwei Frauen bestehendes Duo zu sein. Hier die völlig unqueeren, braven Mädchen von BOY, die mit ihren angesagt melancholischen Popballaden die Welt zu einem behaglicheren Ort machen möchten; dort die Schwestern von Jolly Goods, die niemandem gefallen wollen, sondern der abgefuckten Nachbarschaft ein dickes fettes Walross in den Gartenteich werfen. Tanja Pippi und Angy brachen vor ein paar Jahren aus dem Odenwald-Kaff Rimbach auf, das zu klein und eng war für den Zorn, den sie auf ihrem Debütalbum “Her.barium” entluden.

Nach ein paar Jahren in Berlin sind Jolly Goods noch immer wütend, stachlig und an Integration in irgendeine Szene gänzlich desinteressiert. “Walrus” ist ein monolithisches Monster, geschaffen aus Riot Grrrlsm, Noise, Blues, Folk (ja!) und feministischer Rock-Poetry vom Schlage einer Patti Smith oder Courtney Love. Produziert wurde “Walrus” von Hans Unstern und Dirk von Lowtzow, der sich laut eigener Aussage wie “ein Produktionspraktikant” vorkam – aber die Producerfrage ist letztlich unerheblich. Songs wie “Travel” und “Black” sind tiefschwarze, grollende, dabei höchst sensible Riot-Epen, Sleater-Kinney und Babes in Toyland sind hier die Schwestern im Geiste. Das vordergründig versöhnliche “If I Were A Woman” könnte in einer Bar laufen, die von Lydia Lunch geführt wird – lasziv ist hier allerhöchstens der Groove. Was Tanja Pippi und Angy aus Stimme, Schlagzeug und Gitarre rausholen, ist mit dem Begriff Intensität nur unzureichend beschrieben. “Walrus” ist sperrig, völlig unmodisch und unangepasst. Für Fans von BOY nur mit äußerster Vorsicht zu genießen.

Jolly Goods: Walrus (Staatsakt). Zu MySpace.

Thundercat: The Golden Age Of ApocalypseZuweilen überladen

(TK) Momentan horcht natürlich jeder auf, wenn Flying Lotus auch nur irgendwie involviert ist. Er hat das Debüt von Stephen Bruner alias Thundercat produziert, und das passt hervorragend. Bruner, zur Zeit hauptamtlich Bassist bei den Suicidal Tendencies und auch schon mal Begleiter der Soul-Legende Leon Ware, teilt die gleiche unverfrorene spielerische Perspektive und die Kombination von jazziger Improvisation und Elektronik. Langweilig ist das goldene Zeitalter der Apokalypse denn auch nirgends, manchmal wirkt es jedoch ein wenig überladen. Nun kommt es beim verbalen Auseinandernehmen von Musik ja auch immer auf die innere Verfasstheit des Kritikers beim Hören an. Ich habe meine Zeit gebraucht, mich auf Bruner einzulassen, gerade seine Stimme stört in manchen Momenten ziemlich. Mit Neugier und offenen Ohren gehört, kann Bruner zusammen mit seinen zahlreichen Mitstreitern über weite Strecken überzeugen, etwa im spielerisch-leichten Tune “Fleer Ultra”. An anderen Stellen franst er zu sehr aus oder verlangt zuviel Anteilnahme. Spannend ist „The Golden Age Of Apocalypse“ aber allemal.

Thundercat: The Golden Age Of Apocalypse. Breinfeeder/Ninjatune (Rough Trade).

Lanterns On The Lake: Gracious Tide, Take Me HomeIntim

(JA) Mit Streichern, Piano und verträumtem Gesang lassen Lanterns On The Lake die Herzen von Dream-Pop-Fans höher schlagen. Samtig singen sich Hazel Wilde und Adam Sykes einzeln oder im Duett durch einen Himmel voller Geigen. Atmosphärisch dicht lassen ein Hauch von Melancholie und fragile Melodien den Hörer dahinschmelzen, wie das sonst nur die kanadische Indie-Pop-Band Stars in ihren Anfangsjahren schaffte. An deren Sounds lehnen sich Lanterns On The Lake auch an, wenn sie behutsame Harmonien mit unaufdringlichen elektronischen Effekten aufpolieren – nur in halber Geschwindigkeit, die zu entrücktem Schwelgen verführt. Nach zwei EPs ist „Gracious Tide, Take Me Home“ das Debüt einer aus der Zeit gefallenen Band.

Unprätentiös malt das 2008 gegründete Sextett aus Newcastle innere Landschaften. Auch lyrisch bergen die Songs ein breites Spektrum an Emotionalität. „Ships In The Rain“ basiert auf der wahren Geschichte eines Fischers, der auf See vermisst wird. „A Kingdom“ ist inspiriert von Briefen, die Soldaten im Zweiten Weltkrieg nach Hause schickten. Aber auch Hoffnung schwingt mit: Songs wie „Lungs Quicken“ und „Keep On Trying“ verbannen Angst und Unsicherheit durch Selbstvertrauen. Die Tracks „I Love You, Sleepyhead“ und „Places We Call Home“ heben die traurigen Momente des Albums mit einem Bekenntnis zu Liebe und Freundschaft auf. Die Mitglieder von Lanterns On The Lake kennen sich seit Jahren. Hazel Wilde und Paul Gregory (Gitarre, Elektronika) sind sogar miteinander verlobt. „Gracious Tide, Take Me Home” wurde von ihrem Umzug zurück in ihre Heimat an die Küste Nordenglands beeinflusst, zeugt von Erinnerungen, Heimweh und den kleinen Geschichten der Menschen um sie herum. Diese Intimität wird durch den Umstand, dass das Album im eigenen Haus aufgenommen wurde, noch verstärkt. Sie ist es, die das Album zu einem bewegenden Hörerlebnis macht. Abseits von allen Trends und Hypes ist „Gracious Tide, Take Me Home” einfach nur wunderschön und berührend.

Lanterns On The Lake: Gracious Tide, Take Me Home. Bella Union/Cooperative Music. Zu Homepage, Labelpage, Facebook und Bandcamp.

Peter Kernel: White Death Black Heart Überraschend

(TM) Peter Kernel, das ist ein schweizerisch-kanadisches Trio bestehend aus Aris Bassetti (Gitarre, Gesang), Barbara Lehnhoff (Bass, Gesang) und Ema Matis (Schlagzeug) – eine klassische Rockbesetzung also, mit der Peter Kernel seine Art-Postpunk-Rotzsongs sehr schön umsetzen können. Aber nicht nur das Rohe und Ungeschlachte ist stilbildend für diese Platte (erschienen auf dem momentan ebenfalls sehr stilbildenden französischen Label Africantape), sondern auch der unbedingte Wille, gerade das zu machen, was einem Spaß macht, auch wenn es im Songkontext gerade vielleicht so nicht zu erwarten war. Prototyp dieses Sounds ist das fulminant düstere „I’ll Die Rich At Your Funeral“, das im Refrain ohrenbetäubend auflärmt und seine Intensität auch dem schrägen Gesang seiner Protagonisten verdankt. Sehr überzeugend auch die scheppe Gitarre in „Make, Love, Choose, Take“, begleitet von dissonanten Chants. Am überraschendsten an „White Death Black Heart“ aber sind die Momente, in denen plötzlich ein veritabler Popsong zwischen den vordergründig rotzigen Beats aufscheint.

Peter Kernel: White Death Black Heart. Africantape/On the Camper (Cargo). Zu Facebook.

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