Geschrieben am 9. November 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von Lisbeth Quartett, Moon Duo, Nick Lowe, Teichmann und The Juan MacLean, gehört von Janine Andert (JA), Tina Manske (TM) und Tina Karolina Stauner (TKS).

Lisbeth Quartett: Constant TravellersFokussiert

(TM) Jetzt isses also soweit, dass auch schon die coolen jungen Jazzbands – natürlich möchte man fast sagen – aus Berlin kommen. Die Mitglieder der Formation um die Saxophonistin Charlotte Greve sind gerade mal Anfang zwanzig, und spielen dennoch bereits mit einer Coolness und Souveränität, die selbst gestandenen Jazzvirtuosen das Wasser in die Augen treiben dürfte. Greve, Manuel Schmiedel (Piano), Marc Muellbauer (Bass) und Moritz Baumgärtner (Drums) erzeugen scheinbar mühelos eine Atmosphäre, in der man sich morgens wie abends und auch nachts, bei Tee und Kaffee ebenso wie bei Rotwein und Whisky aufgehoben fühlt. Immer auf Reisen sein heiße für sie immer im Hier und Jetzt zu sein, immer im Fluss, niemals gleich, sagt Greve – eine schöne Umschreibung für improvisierte Musik überhaupt.Wie im Titelstück z. B. das recht einfache, an ein Kinderlied gemahnende Motiv locker und dennoch fokussiert von Spieler zu Spieler weitergegeben wird, um am Ende in seine Einzelteile zerlegt zu werden, das zu hören macht enormen Spaß. Dabei hilft auch, dass das Lisbeth Quartett gern über den Tellerrand schaut: Drummer Baumgärtner ist auch abseits der Jazzszene aus dem Umfeld von The Notwist & Co. bekannt, Bassist Muellbauer spielt auch im bekannten Julia Hülsmann Trio.

Fällt jemandem was auf? Richtig, auch im Jazz sind die Frauen im Kommen. Und vom Lisbeth Quartett und seiner Bandleaderin, die mit dem „JazzBaltica Förderpreis 2010“ ausgezeichnet wurde, kann man noch eine ganze Menge erwarten.

Lisbeth Quartett: Constant Travellers. Traumton (Indigo).

Moon Duo: Horror Tour EPSoundtrack nach Mitternacht

(JA) Das Moon Duo ist ziemlich umtriebig: Am 1. April veröffentlichten Ripley Johnson und seine Freundin Sanae Yamada ihr Album „Mazes“. Pünktlich zu Halloween soll sich auf der brandneuen EP „Horror Tour“ alles um Geister und Dämonen drehen. Abgesehen von den kruden Release-Daten fällt der Aha-Effekt jedoch gering aus. Der Titeltrack „Horror Tour“ setzt zwar auf 80er Dark-Wave-Einflüsse, aber die verbleibenden instrumentalen Stücke benötigen den expliziten Hinweis auf die Nachrichten aus der Gruft. Gut, die 24 Minuten sind offensichtlich dunkel angehaucht. Das trifft auf alle anderen Veröffentlichungen der Amerikaner ebenfalls zu. Bei großzügiger Auslegung herrscht im psychedelischen Space-Rock-Sound von „Sickener“ pechschwarze Nacht. Die repetitiven Krautrockanleihen laden allerdings eher zur nächtlichen Programmuntermalung von Kultursendern als zur Halloween-Party ein. Nun ja, wir wollen mal nicht so sein: Meditativ sind die vier Songs allemal und finden immerhin das ganze Jahr als Soundtrack nach Mitternacht Verwendung.

Im Gegensatz zur Musik kann das Artwork in Sachen Halloween punkten. Der britische Illustrator SAVWO (Savage Wolf), der bereits Gruselmotive für T-Shirts, Plakate oder Alben von Wooden Shjips, Marnie Stern und Milk Maid entwarf, gestaltete die „Horror Tour“ EP immerhin visuell mit Werwölfen und Co.

Für die zwischen LP und digitalem Zeitalter gestrandeten Traditionalisten unter uns: Die EP erscheint ausschließlich auf Vinyl oder ist als digitaler Download erhältlich. Pech für die drei (mehr sind’s wahrscheinlich wirklich nicht) potentiellen CD-Käufer. Die sind ja eh nur noch eine urbane, mittlerweile ausgestorbene Legende, die vereinzelt durch Billigmärkte geistert. Übrigens, trotz vermeintlichem Genöle ist das Video zu „Horror Tour“ ausgesprochen cool. Und nach dem vierten Durchlauf hat sich der Song als Ohrwurm etabliert.

Moon Duo: Horror Tour EP. Souterrain Transmissions. Homepage, Facebook, Myspace. Video: http://vimeo.com/31245521

Nick Lowe: This Old MagicFake-50s/60s

(TKS) Nick Lowe, das ist der, der 1978 in der Nach-Punk-Ära mit der genialen Platte „Jesus Of Cool“ auftauchte. Der Londoner, der damals im New Wave die Energie von Rock’n’Roll und Punk mit Songs wie “ I Love The Sound Of Breaking Glass“ weitertransformierte ist nun 62-jährig, weißhaarig, schwarzbebrillt, mit einem sehr gelungenen dreizehnten Album „The Old Magic“ da. Klingt cool-modernistisch und timeless-oldfashined. Mit viel Leichtigkeit, Souveränität, Können. Nick Lowe zeigt wieder Sensibilität, Gefühl und Liebe für swingenden Rock’n’Roll mit einem Touch Country, mit einer Idee Pop, mit einem Kick 50s und 60s und mit ironischen Texten. Das wirkt wie eine kleine Zeitreise. Nachmittags zur Kaffeepause anhören: Inspiriert auf jeden Fall zu guter Laune! Die Band spielt vorzüglich, straight, mit Verve, aber ein bisschen laid-back. Lowe ist an der Rhythmusgitarre, in der Besetzung noch zwei weitere Gitarristen. Zudem Schlagzeug, Upright Bass, Orgel, Piano, Vibraphon. Und Lowe hat besonders mit „Sensitive Man“ wieder mal einen so was von wunderbaren Song geschrieben.

Nick Lowe: The Old Magic. Proper/Rattay.

Teichmann: They Made Us Do ItSchöne altmodische Menschen

(TM) Als wir das letzte Mal von den Gebrüdern Teichmann berichteten, da hatten sie gerade einen sehr individuellen Teil des Backkatalogs des Staubgold-Labels geremixt. Mit ihrem neuen Album entführen sie uns in eine Zukunftswelt, indem sie uns weismachen, Computer und Maschinen hätten während einer Jam-Session ihre Hirne und Willen erobert und sie könnten nun halt nicht anders – „They Made Us Do It“! Und plötzlich bahnen sich seltsame Sounds ihren Weg… Besonders wegweisend sind die Tracks auf „They Made Us Do It“ nun nicht, man ist hier doch sehr gegenwärtig, in funktionalem House und auf dem Berliner Indie-Techno-Dancefloor, aber mei – man hört trotzdem gern zu. Für ihre neue Platte haben sich den Brüdern Andie und Hannes zahlreiche Kollaboratoren zur Verfügung gestellt – u. a. ihren Vater Uli, der als Free-Jazzer das Saxophon auf „The Faketory“ spielen darf; auf „Ensemble Mosaik“ sind sogar Cellist und Bariton zu hören. Hätte es nicht geklappt, man hätte den Maschinen die Schuld geben können. So gehört aber der Ruhm doch den altmodischen Menschen fast allein.

Teichmann: They Made Us Do It. Festplatten (Diamonds and Pearls).

The Juan MacLean: Everybody Get CloseThe Juan MacLean: Everybody Get Close

(TM) Bitte alle mal näherkommen: Wenn man nicht weiß, dass „Everybody Get Close“ eine Ansammlung von EP-Titeln, bereits veröffentlichten Singles und Remixes ist, würde man es nicht vermuten. Denn die Platte bewahrt sich eine Albumhaftigkeit durch und durch und funktioniert in der Zusammenstellung der Tracks wunderbar. The Juan MacLean ist nach James Murphy und seinem LCD Soundsystem – mittlerweile aufgelöst – der zweitheißeste Scheiß auf dem New Yorker DFA-Label. Und „Everybody Get Close“ ist mit seinem Sound zwischen NY-Disco und Post-Punk ein mehr als würdiger Vertreter auf diesem Label. Aber auch MacLean-typische Ausflüge in die 80er-Jahre und in Minimal House und Techno finden statt. Das alles ist so stilsicher aufbereitet und perfekt produziert (s. auch die Dubversion von „Deviant Device“), dass man mit dieser Veröffentlichung mehr als nur die Wartezeit bis zu Album Nr. 3 verbringen kann. Jetzt, wo LCD Soundsystem Geschichte ist, wird man Dank The Juan MacLean trotzdem weiter mit starken Stücken von DFA rechnen können.

The Juan MacLean: Everybody Get Close. DFA (nur digital).

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