Geschrieben am 27. März 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Fela Kuti, Adam Ant, Bachar Mar-Khalifé, Candelilla, Jeans Team und Jason Molina, gehört von Tina Manske (TM), Tina Karolina Stauner (TKS) und Christina Mohr (MO).

felakuti_bestoftheblackpresident2Starke Statements

(TM) Fela Kuti ist eben immer noch der King des Afrobeat, das macht diese Doppel-CD, die 15 Jahre nach seinem Tod erscheint, unmissverständlich klar. Das Jahr 2013 schickt sich an, zu einem großen Gedankjahr für den Musiker zu werden; gerade werden u. a. eine Fela-Kuti-Dokumentation sowie ein Kinofilm über sein Leben gedreht. Das Label Knitting Factory aus New York wird bis September das Gesamtwerk – fast fünfzig Alben – neu überarbeitet wiederveröffentlichen. Und man kann ihn ja auch gar nicht genug preisen und rühmen, diesen Musiker, der wahrscheinlich ähnlichen Einfluss auf die Entwicklung der Popmusik hatte wie die Beatles.

Zeit seines Lebens klagte er in seinen Stücken soziale Ungerechtigkeiten, korrupte Regierungen und eine ungesunde, auf die sogenannte Erste Welt zentrierte Weltpolitik an. Noch heute sind Stücke wie „Black Man’s Cry“, „Yellow Fever“ und natürlich DIE Afrobeathymne „Everything Scatter“ starke Statements auf der einen und extrem tanzbare und motivierende Tracks auf der anderen.

Den beiden CDs dieser Edition beigefügt ist ein 16-seitiges Booklet mit ausführlichen Texten zu den einzelnen Songs. In der Deluxe-Version gibt es zusätzlich noch eine DVD dazu, die Kutis Auftritt beim Glastonbury Festival 1984 und den Künstler im Interview zeigt.

Fela Kuti: The Best Of The Black President 2. 2 CD. Knitting Factory Records (Rough Trade). Zur Webseite.

adam_Low-Budget-Produktion in Schwarz-Weiß

(MO) Dieses Album hinterlässt die geneigte Hörerin ratlos: zunächst waren Freude und Erwartung groß, als durchsickerte, dass Adam Ant (ADAM ANT!) nach siebzehn Jahren eine neue Platte machen würde. Dem inzwischen 58-jährigen Stuart Leslie Goddard, einstiger Pin-Up-Pirat der New-Romantic- und Postpunk-Ära, ging es lange Zeit sehr schlecht, er litt an Depressionen und bipolaren Störungen, wiederholte Aufenthalte in der Psychiatrie beeinträchtigten die Arbeit an neuer Musik. Wie schön also, dass es „Prince Charming“ wieder besser geht – doch mit der wilden, tribalistischen ant music der frühen 1980er-Jahre hat „Adam Ant Is The Blueblack Hussar In Marrying The Gunners’ Daughter“ kaum etwas zu tun.

Der neue Adam klingt auf Stücken wie dem Opener „Cool Zombie“, „Dirty Beast“ oder „How Can I Say I Miss You?“ wie die Garagenversion alter Glamrock-Heroen oder eine Mischung aus den Stooges und einem vom Wege abgekommenen entfernten Cousin Bob Dylans. Sehr krächzig, scheppernd, low-fi und weitgehend melodiefrei. Man merkt Ant an, wie viel Freude es ihm macht, kinematographische Begriffe wie „Hussar“ oder „Goofy Bunny“ zu sprechsingen und vielleicht fühlt er sich dabei auch wie Erroll Flynn, nur klingt das Album halt nicht wie ein schillernd buntes Hollywood-Epos in Cinemascope, sondern nach verwackelter Low-Budget-Produktion in Schwarz-Weiß.

Irgendwie ist es natürlich auch toll, mit einem solchen Anti-Hit-Album ein Comeback der Verweigerung zu konstatieren, fraglich ist nur, ob es von Ant auch so gemeint war… Beim verspielt tänzelnden „Darling Boy“ und dem überschäumenden „Shrink“ blitzt er nämlich wieder durch, der unverschämt smarte, hypererotische Dandy Highwayman aus „Stand And Deliver“-Tagen, die Mr. Ant vielleicht um sein Seelenheil brachten, aber unbestreitbar seine besten waren.

Adam Ant Is The Blueblack Hussar In Marrying The Gunners’ Daughter. Blueblack Hussar (Alive). Zur Homepage.

bacharmarkhalife_whosgonnagettheballUnaufdringlich, aber dringlich

(TM) „Das ist mein Cover-Album“, sagt der libanesische Musiker Bachar Mar-Khalifé selbst über seine neue Platte. Und tatsächlich arbeitet er auf „Who’s Gonna Get…“ viele von anderen entwickelte Songs auf, sei es das kuwaitische Traditional „Ya Nas“, dem er ein modernes Pop-Gewand verleiht, oder „Xerȋbȋ“, einem Stück des kurdischen Sängers Ciwan Haco, den er nur mit dem Piano begleitet. Bei „Machins Choses“, einem Song von Serge Gainsbourg, leiht die Sängerin Kid A ihre Stimme. Der Kampf um Gerechtigkeit, in der arabischen Welt und sonstwo, ist das bestimmende Thema. Und was für eine wunderbare Sprache dieses Arabisch ist: Wie Mar-Khalifé bei „K-Cinerea“ die Konsonanten lange auf seinen Lippen lässt, das scharfe F und S, selbst das D schafft er irgendwie auszudehnen – für die der Sprache nicht Mächtigen ein Laut-Gedicht, dieser Song.

Herzstück des Albums aber ist der Groove von „Marea Negra“, einem Revolutionssong, der den Arabischen Frühling thematisiert, mit den Lyrics des syrischen Dichters Ibrahim Qashoush, der in den Aufständen gewaltsam ums Leben kam (dem man, es sei hier explizit gesagt, den Hals durchschnitt und die Stimmbänder heraus riss). Zum Schluss lässt sich Mar-Khalifé viel Zeit, um „Distance“ mit seinem hingetupften Piano langsam ausklingen zu lassen – leise und unaufdringlich, wie dieser Mann nun mal ist, aber deswegen keinesfalls weniger eindringlich.

Bachar Mar-Khalifé: Who’s Gonna Get The Ball From Behind The Wall Of The Garden Today? Infiné (Rough Trade). Artist-Seite des Labels.

candelilla_heartmotherAs if grunge never happened

(MO) Die All-female-Band Candelilla kommt aus München, ursprünglich gegründet vor dreizehn Jahren von Sängerin und Bassistin Mira Mann. Im Jahre 2007 wurden Candelilla wiedergeboren, wie sie auf ihrer Website schreiben, und agieren seitdem als Forschende „auf den Gebieten lyrics, harmonies, structures, sadness, anger and conciliation.“ Akribische Forschung ist nicht auf schnelle Ergebnisse aus, also ist es nur folgerichtig, dass kürzlich erst das zweite Album von Mira Mann, Rita Argauer (Gesang/Keyboard), Lina Seybold (Gitarre/Gesang) und Sandra Hilpold (Schlagzeug) erschien.

„Heart Mutter“ wurde – man kann es einfach nicht beiläufig erwähnen – von Steve Albini produziert, der sich übrigens nicht als Produzent sondern als „record engineer“ sieht. Candelilla schickten dem Hardcore-Ingenieur vor einiger Zeit ein Tape, Albini war begeistert und lud die Band in sein für Klaustrophobikerinnen ungeeignetes Studio ohne Fenster in Chicago ein. Dort entstanden zwölf wuchtig-heftige Songs mit dichtem Sound, die noisigen Rock-Geist à la Sonic Youth, Nirvana, Helmet und Korn ein- und ausatmen. Erstaunlicherweise wirkt „Heart Mutter“ nicht schwer und gestrig, sondern aufrührerisch, as if grunge never happened. Vielleicht, weil Mira Mann eine sehr coole Sängerin ist, vielleicht, weil Candelilla ihre mal englisch, mal deutsch getexteten Songs nicht mit bedeutungsschwangeren Titeln überfrachten, sondern ganz forscherinnenmäßig einfach nummerieren. Vielleicht auch, weil es einfach wieder an der Zeit für nicht-machohaften Rock ist.

„… wir suchen natürlich ohne Ziel und ganz ohne Bandage / alles hinausgekehrt, hinübergeworfen & abgeschüttelt / hier regiert der Spaß und Spaß im besten Sinne / wir sind mit Freude dabei all unsere Wunden zu lecken“, heißt es in einem Nummernstück, und vielleicht ist das das Candelilla-Geheimnis.

Candelilla: Heart Mother. ZickZack (What´s So Funny About). Zur Homepage.

jeansteam_dasistalkomerz„Sozialistische Einheizparty“

(TM) Wer beim ersten Reinhören in „Das ist Alkomerz“, dieser Rundumschlag einer besoffenen Kinderparty auf Speed, sich verstört abwendet, hat mein Verständnis. Man benötigt ein paar Durchgänge, bis sich der Witz und die Doppelbödigkeit dieses ganz und gar uncoolen Albums eröffnen. Dann aber ist man entflammt und hüpft mit einem irren Grinsen im Gesicht zu Titeln wie „Scheiß drauf“ oder „Gay House Party“. Ein bisschen fühlt man sich wie beim Erscheinen der ersten Schlümpfe-CD, bei deren Songs man auch schon bei der zweiten Wiederholung den Refrain mitsingen konnte. Und natürlich an Situationen im Bierzelt. Dazwischen so etwas wie „Menschen“, einem Stück, das ebenso gut von Hildegard Knef stammen könnte, nur, dass man alle konservativen Instrumente durch billige Casios ersetzt.

In einem sympathischen Paralleluniversum werden die Songs des Jeans Team in der Disco (ja, dort sagt man noch ‚Disco‘, nicht ‚Club‘) rauf und runter gespielt. Trotzdem wollen wir die politische Dimension des Ganzen nicht verschweigen: ein Song wie „Gesundbrunnencenter“ beschreibt (zur Melodie von „Eviva Espana“) unseren Status Quo – insbesondere den der Menschen in Berlin – ziemlich genau, und auch die Möglichkeiten, die den prekären Schichten, die bei Real einkaufen und eventuell sogar arbeiten, noch bleiben. Wie dieser Song am Ende in den privaten Wahnsinn ausfranst, soviel Anarchie tut gut.

Jeans Team: Das ist Alkomerz. Staatsakt (Rough Trade). Zur Homeapge.

jasonmolina_autumnbirdsongs10Melancholisch und beunruhigend

(TKS) Der Songwriter Jason Molina ist vor wenigen Tagen gestorben. Er wurde 39 Jahre alt. Ich nahm seine meist sparsam durcharrangierten Aufnahmen und Live-Einspielungen mit Band bisher einfach wahr wie die von vielen anderen passablen Songwritern. Molina begann in den 90er-Jahren mit dem Projekt Songs: Ohia und spielte später mit seiner Formation Magnolia Electric Co. Mit der Mini-LP „Autumn Bird Songs 10” veröffentlichte er im Herbst 2012 eine CD, die er wie Demo-Tapes solo mit akustischer Gitarre einige Jahre zuvor schon aufgenommen hatte, bevor er er sich aus gesundheitlichen Gründen zurückzog.

Auf „Autumn Bird Songs 10” wurde ich nun aufmerksam, weil Molina tatsächlich heraussticht mit dieser Produktion und sich damit von vielen anderen um manches abhebt. Eine stark melancholische, beunruhigende Grundstimmung prägt zusammen mit einer gewissen fast beängstigenden Härte dieses Album, das aber gleichzeitig ungemein kraftvoll wirkt und zeigt, welche Klasse Molina eigentlich hatte und zu welch exzellenten Interpretationen seines Songwritings er fähig war.

In „Owl & Raven“ heißt es: „…Owl and the raven in the pine / Old ghost in the valley, watch / I will drown the light, draw the star / And follow the blues back to you…“. Der Illustrator William Schaff ergänzte Jason Molinas Songs mit seiner Arbeit “From Black Sheep Boys To Bill Collectors – The music-related artwork of William Schaff” und es wurde dem Booklet Text hinzugefügt von Will Sheff, John Darnielle und Darren Jackson. William Schaff arbeitete auch schon in früheren Jahren für Molinas Band Magnolia Electric Co.

Jason Molina: Autumn Bird Songs 10. Graveface Records. Zur Homepage von Magnolia Electric Co. Dort sind all seine Songs zu hören.

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