Geschrieben am 17. Oktober 2012 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Beat Connection, „Secret Love Vol. 6“, Bat For Lashes, Roedelius + Chaplin und Electric Electric, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

Beat Connection: The Palace GardenAuf Prozac

(TM) Fast völlig aus dem Nichts kommt in diesem Herbst eines der interessantesten Club-Alben des Jahres. Fast, weil die Band Beat Connection mit ihrer EP „Surf Noir“ 2010 bereits ein deutliches Zeichen dafür abgeliefert hat, zu was sie imstande ist. Mit der puren Happiness von „The Palace Garden“ war trotzdem so nicht zu rechnen: die Synth Popper aus Seattle basteln zwölf Songs, bei denen es schwer fällt, auf seinem Hintern sitzen zu bleiben. Songs, bei denen gefühlt die Sonne über dem Pazifik aufgeht, wie ein Caribou-Track auf Prozac.

Ich fresse ein Mittagsmenü, wenn der Bandname nicht auf den gleichnamigen Song von LCD Soundsystem verweist, es würde so gut passen. Ebenso wie beim neuen Album von Tame Impala tut man auch hier gut daran, beim Hören einen Ozean in der Nähe zu haben, Drogen sind dann gar nicht mehr nötig. Wenn Beat Connection nicht demnächst mindestens genauso gehätschelt werden wie Vampire Weekend, schließe ich mich einen Tag zuhause ein und sende Klageseufzer zum Himmel wegen der verdammten Ungerechtigkeit der Welt.

Beat Connection: The Palace Garden. Moshi Moshi/Tender Age (Rough Trade). Zur Homepage, zum Facebook-Auftritt.

Various: Secret Love Vol. 6Angenehme Mixtur

(MO) Folgende Ausgangssituation: Sie sind auf eine kleine Party eingeladen, kennen die Gastgeber aber noch nicht sehr gut. Sie wissen nur, dass es freundliche, kultivierte Menschen sind, die vielleicht in der Medienbranche arbeiten, ein Café betreiben oder ein ökologisch bewusstes Architekturbüro. Sie möchten gerne ein Geschenk mitbringen, eine CD zum Beispiel. Wenn Sie den Musikgeschmack der Gastgeber nicht kennen, dürften Sie mit der neuen, sechsten Ausgabe der „Secret Love“-Reihe trotzdem richtig liegen: seit fünfzehn Jahren veröffentlicht das Berliner Label Sonar Kollektiv smarte Musik zwischen Nu Jazz und Electronica; gegründet wurde Sonar Kollektiv von den Jazzanova-Musikern, nur mal so als Anhaltspunkt. Alex Barck von Jazzanova und Adrian Hoenicke von Finger Magazine haben „Secret Love Vol. 6“ zusammengestellt und auf eine rundum entspannte Atmosphäre geachtet.

Es geht los mit Psychemagiks Neuinterpretation von David Crosbys „Orleans“, die hier „Valley of Paradise“ heißt und gute zehn Minuten dauert. Darauf folgen vierzehn sanft pulsierende Elektropoptracks in Mid-Tempo wie El Perro del Mars „Change of Heart“, „Magnetise“ von Loose Fit in „Manuel Tur´s Spin Wave Reduction Remix“ oder Caribou im Four Tet-Remix. Spannend ist die Kombination aus aktuellen Stücken und alten Sachen wie z. B. „La Premiere Fois“ vom frankokanadischen Komponisten Luc Cousineau aus dem Jahre 1976. Diese Mixtur ist es auch, die die „Secret Love“-Sampler von anderen Chill- und Loungecompilations abhebt: die ausgewählten Tracks sind bis zur Unauffälligkeit angenehm, bergen aber jede Menge interessante Details – über die es sich mit den freundlichen Gastgebern vortrefflich parlieren lässt, während man ganz sanft die Hüften schwingt.

Various: Secret Love Vol. 6. Compiled by Jazzanova & Fingermag. Sonar Kollektiv. Zur Homepage.

Bat For Lashes: The Haunted ManLeicht und hoffnungsvoll

(MO) Natasha Khan alias Bat For Lashes als edle Wilde, die ihre Beute – einen nackten Mann – lässig geschultert hat: das Cover von Khans neuem Album „The Haunted Man“ bietet viel Interpretationspotenzial. Die Vorgängerplatten „Fur And Gold“ und „Two Suns“ wirkten schon rein optisch viel esoterischer, musikalisch läutet Bat For Lashes mit „The Haunted Man“ aber keinen krassen Stilwechsel ein. Die erste Single „Laura“ ist ganz sanft und emotional, nur Stimme, Piano, Streicher und verhaltene Bläser sind zu hören – eine leise, sensitive Ballade, in der Natasha Khan aus der Perspektive einer fiktiven Figur erzählt, ein Stilmittel, das die britische Singer-/Songwriterin nach wie vor gern einsetzt. Songs wie „Deep Sea Diver“ oder „Winter Fields“ sind opulenter und fantasievoll arrangiert, aber weniger düster und schwer als früher, überhaupt ist der durchgehende Ton auf „The Haunted Man“ leichter und hoffnungsvoll.

In „Marilyn“ geht Tribal-Getrommel in ulkige Spukstimmen über, „Rest Your Head“ und „A Wall“ sind eingängig, beatlastig und tanzbar. „Horses of the Sun“, „All Your Gold“, der Titeltrack und „Oh Yeah“ evozieren durch den entrückt-jubilierenden Gesang Vergleiche mit Kate Bush und/oder Björk – womit man nicht ganz falsch liegt, aber auch zu kurz greift, denn Natasha Khan hat ihre eigene Form längst gefunden. Es ist viel mehr so, dass man Bat For Lashes inzwischen mit Björk, Kate Bush und Florence Welch in einem Atemzug nennt. Dank „The Haunted Man“ sogar als Erste.

Bat For Lashes: The Haunted Man. Parlophone (EMI). Zu ihrer Homepage.

Roedelius + Chaplin: King Of HeartsHerz-Lungen-Maschine

(TM) Chaplin, Chaplin, da war doch was… Tatsächlich, Christopher Chaplin ist der jüngste Sohn von Charlie Chaplin. Nach seinem Musikstudium (Piano) versuchte er es mit der Schauspielerei, kehrte aber 2005 zur Musik zurück und dort ganz speziell zur Komposition. 2010 traf er während eines Art-Brut-Festivals auf Hans-Joachim Roedelius. Die erste Zusammenarbeit erfolgte für eine Radiosession der BBC, bei der Roedelius sein Live-Piano-Set von Chaplin remixen ließ. Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein gemeinsames Album ins Visier genommen, das nun gerade erschienen ist und auf dem sich auch vier der bei der Session entstandenen Songs wiederfinden.

ROEDELIUS & CHAPLIN : King of Hearts : Live Preview 2012 from Luma.Launisch on Vimeo.

Roedelius und Chaplin spannen auf „King Of Hearts“ einen großen Bogen; Chaplin unterzieht die Kompositionen des Altmeisters einer behutsamen elektronischen Massage, Roedelius‘ oftmals lieblichen Pianomelodien erhalten so eine beinahe bedrohliche Note. Das ist Jazz für Menschen, die den Jazzbegriff nicht pastoral eng fassen, eine Herz-Lungen-Maschine gegen die Langeweile. Sahnehäubchen: „aussi bien“, mithin eine der coolsten Variationen von „By This River“ – so far.

Roedelius + Chaplin: King Of Hearts. Sub Rosa (Alive). Zur Homepage des Sub Rosa Labels.

Electric Electric: DisciplineKathartisch

(TM) Es gibt Labels, da kann man fast blind zugreifen – Africantape gehört dazu. Disziplin? Braucht man bei dieser Band aus Frankreich tatsächlich, will man nicht einem nervösen Herzkasper erliegen. Disziplin benötigt aber insbesondere der Schlagzeuger, der hier scheinbar traumwandlerisch die schwierigsten Passagen bewältigt. Electric Electric spielen einen fulminanten polyrhythmischen Bastard aus Loops, Gitarren, Drums, nochmal Drums, nochmal Drums und elektronischen Elementen, eine Mischung aus moderner elektronischer Musik und rituellen Sounds.

Man kann sich leicht vorstellen, dass das bei Konzerten zu tranceähnlichen Zuständen der Besucher führt – ein Sound, als würden sich Animal Collective auf einen Ibiza-Rave vorbereiten. Wiederholung und Rhythmuswechsel als stilbildende Elemente bilden ein süchtig machendes Gerüst, das ist Tanzmusik für den Abschlussball der Hochbegabten. Ebenso wie auf dem Cover von „Discipline“ ist am Ende alles kopfüber – die Haare des Drummers, die Menge im Moshpit, die Psyche des Hörers. Wirkt garantiert kathartisch.

Electric Electric: Discipline. Africantape (Cargo). Zur Africantape-Homepage.

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