Geschrieben am 17. April 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Joalz, Miss Kittin, Mudhoney, Mats Eilertsen Trio und 49 Americans, gehört von Ronald klein (RK), Tina Manske (TM) und Tina Karolina Stauner (TKS).

joalz_hellodarknessmyfriendSolitärer Klangkosmos

(RK) Simon & Garfunkel sangen 1966 zu eingängigen Melodien „Hello Darkness, my old friend” in ihrem Welthit „Bridge Over Troubled Water”. Eine vergleichbare Pop-Affinität fehlt auf der neuen EP der Ausnahmeformation Joalz. Die vier Songs vereinen Elemente, die bisher nur selten zusammengeführt wurden. Analoge Synthesizer bilden die Grundfläche, die eine Atmosphäre erschaffen, die zwischen Krautrock-Klängen und Horrorfilm-Scores oszilliert.

Darauf trifft die Stimme der griechischen Schauspielerin Mary Tsoni, die vor drei Jahren durch die Mitwirkung in dem schwer verstörenden, Oscar-nominierten Film „Dogtooth“ bekannt wurde. Davor hatte sie als Frontfrau einer Punkband gewirkt, was jedoch ihrer jetzigen Performance kaum anzumerken ist. Sie deklamiert eher im Stile einer Brecht/Weill-Chanteuse resp. einer Lydia Lunch. Ergänzt wird dieses obskure Gespann durch einen Bass, der selten groovt, sondern ein dunkles Hintergrundflirren erzeugt. Joalz ziehen eine Schublade auf, in der sie sich den Klangkosmos mit niemandem teilen. Die EP dient als Appetizer, so ist zu hoffen, dass ein Werk in Albumlänge folgt. Sehr eigen, aber groß!

Joalz: Hello Darkness My Friend EP. Many Scribes (Rough Trade). Zur Homepage.

misskittin_callingfromthestarsPop-affin

(RK) Nach ersten Arbeiten mit The Hacker Mitte der 90er-Jahre landete Caroline Hervé alias Miss Kittin Ende des gleichen Jahrzehnts einige Clubhits, die sich durch kühle, sehr reduzierte Beats und Sprechgesang auszeichneten – eine deutliche Reminiszenz an die 80er-Jahre. Bis zum Debütalbum „I Com“ (2004) ließ sie sich Zeit und vereinte darauf gekonnt unterschiedliche Stile der elektronischen Musik, eine Prise House hier, etwas Dub dort und leichte Pop-Nuancen – was andernorts nach gewollten Eklektizismus klang, zündete bei Miss Kittin. In den letzten vier Jahren widmete sich die Französin vor allem Remix-Arbeiten und stand bei Clubabenden hinter den Decks. In der Zeit entstand das Doppelalbum „Calling From The Stars“. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um Musik von einem anderen Stern, aber um eine außergewöhnliche Platte, die Miss Kittin in absoluter Spiellaune präsentiert.

Neben der reinen Deklamation setzt sie die Stimme meist gesanglich ein. So klingen die 13 Songs der ersten CD deutlich Pop-affiner als man es von der französischen Künstlerin bisher gewohnt war. Dem konträr gegenüber steht CD 2, die deutlich trippiger und sphärischer daherkommt. Statt den zurückgenommenen Minimal-Sounds erklingen nun computergenerierte Klänge, hinter denen die Stimme deutlich zurücktritt. Atmosphärisch an Ambient angelehnt, erinnern die Sounds an langsam abgespielte Trance-Tracks, wobei jedoch auf dominante Beats verzichtet wird. In jedem Fall war es klug, diesen Teil auch mittels des Tonträgers abzutrennen – es handelt sich um eine andere, aber nicht minder interessante Facette der Musikerin.

Miss Kittin: Calling From The Stars. wSphere/Wagram/Indigo. Zum Blog von Miss Kittin.

mudhoney_vanishingpointRichtig und wichtig

(TM) Dass es diese Band im Jahr 2013 überhaupt noch gibt, gehört zu den großen Unwahrscheinlichkeiten der Rockgeschichte. Schließlich erfanden Mudhoney aus Seattle den Grunge, zu einer Zeit, als man Nirvana noch lediglich für einen Begriff aus dem Buddhismus hielt und Kurt Cobain unerkannt durch die Straßen schlurfte (so ungefähr 1988). Und sie spielten ihn, als solle es kein Morgen geben, mit einer Brachialität und Verzweiflung, die noch heute ihresgleichen sucht.

25 Jahre nach ihrer Gründung legen die Grunge-Obergurus eine neue Platte vor, ihre mittlerweile neunte Studioplatte, und sie haben nichts verlernt in all der Zeit. Zu herrlichen Garage-Gitarren und punkigem Rumgejamme schreit Mark Arm seine Texte in die Welt, die er nicht lange fragt, ob die das auch hören will. Mit „Vanishing Point“ gewinnt man als Hipster keine Gummipunkte, das Album ist im schönsten Sinne des Wortes unzeitgemäß und überhaupt nicht cool. Und also so gemütlich wie dein Lieblings-Nagelbett und ganz und gar richtig und wichtig.

Mudhoney: Vanishing Point. Sub Pop (Cargo). Zur Homepage.

matseilertsentrio_sailssetWolkenformationen zum Träumen

(RK) Lange bevor der Black Metal in Norwegen Ausbreitung fand, war das Land für seine aktive Jazz-Szene bekannt. So plauderten die Avantgarde-Metaller The Third and the Mortal bereits 1994 aus dem Nähkästchen. Auf ihren ungewöhnlich verspielten Klang angesprochen, gaben sie zum Besten, dass sie in Trondheims Jazzbars den Protagonisten beim Improvisieren zuhörten. Aus der gleichen Stadt stammt der Bassist Mats Eilertsen, Jahrgang 1975, der als Teil des Tord Gustavson Ensembles Bekanntheit erlangte.

Zusammen mit Harmen Fraanje (Piano) und Thomas Strønen (Drums) spielte er bereits vor zwei Jahren das Album „Elegy“ ein, das einen Hybrid aus Kompositionen und freien Improvisationen darstellt. Genau dies setzen die drei Musiker fort, wobei dem freien Spiel deutlich mehr Raum zugestanden wird. Die Reise beginnt aufs „Sails Set“ ebenso langsam wie auch leise. Statt windigen Böen sind es die Wolkenformationen, die auf dem Boot zum Träumen einladen. Das Album hört man nicht nebenbei, zu viele feine Nuancen würden so verloren gehen. Wer sich aber Zeit nimmt und sich konzentriert, entdeckt eine wirklich edle Jazz-Platte, die aus dem dezenten Zusammenspiel von Klavier, Bass und Schlagwerk lebt.

Mats Eilertsen Trio: Sails Set. Hubro. Zur Homepage.

49americans_weknownonsenseDer unprätentiöse Pop-Stilmix

(TKS) Die Wiederveröffentlichungen der beiden 49 Americans-Alben „We Know Nonsense“ und „E Pluribus Unum“ der frühen 1980er-Jahre ist eine erfrischende Sache. Andrew „Giblet“ Brenner brachte damals als Bandexperiment Musiker und Nicht-Musiker zusammen, um Musik in Verbindung mit Demokratischem wie Gleichheit auszuprobieren. Eine Band im konventionellen Sinn waren die aus hauptsächlich englischen Musikergrößen und ergänzenden No-Names formierten 49 Americans nicht. Es gehörten u. a. dazu David Toop, Steve Beresford, Lol Coxhill, Peter Cusack, Viv Albertin, Vivien Goldman und Brenners Mutter.

Die 49 Americans-Experimente, ein Pop-Stilmix, in dem postmodern Doo-Wop-artiges bezeichnend war und Disco-, Samba-Elemente, No Wave und New Wave hineinspielten, bleiben zwar Happy-go-lucky-Liedgut, aber das im anspruchsvollen popmusikalischen Sinn. Hübsche Melodien wie besonders coole Saxophonlinien kommen zusammen mit allen möglichen kleinen Schrägheiten und unprätentiösen Rhythmus- und Textspielereien. Könnerhaftes und Dilettantisches war gleichermaßen erlaubt. Verspielte Verwandte im weiteren Umfeld von Red Crayola, den Slits und Konsorten waren die 49 Americans. Und sie trafen sich, einfach, weil es ihnen Spaß machte, das Spielen. Und sich dabei nicht allzu ernst zu nehmen und vor allem zu überraschen war die Devise. Das dann aber ernsthaft, um dem Individuellen einen Platz zu sichern. Daran darf auch jetzt weitergebastelt werden, musikalisch, demokratisch und überhaupt, und mit den 49 Americans-Songs.

49 Americans: We Know Nonsense;  E Pluribus Unum. Staubgold. Zur Webseite des Labels.

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