Neue Platten von und mit JUNGLE, Courtney Barnett, The The und Slow Club, gehört von Christina Mohr (MO).
Sommermusik mit Herbst- und Winterpotential
(MO) Jeder Sommer braucht Hype und Hits: der Sommer 2014 gehört zweifelsohne dem mysteriösen Bandprojekt JUNGLE aus London, Shepherd´s Bush. Niemand weiß so ganz genau, wie viele Leute tatsächlich zu JUNGLE gehören; die kreative Keimzelle besteht jedenfalls aus dem Duo J und T, zwei Typen, die sich seit ihrer Kindheit kennen und bislang durch originelle Videoproduktionen (wie z.B. mit der 6-jährigen Breakdance-Entdeckung Terra) aufgefallen sind.
Im vergangenen Herbst erschien JUNGLEs erste Single „The Heat“, die mit ihren P-Funk- und Soulanleihen sofort begeisterte und enorme Vorfreude auf das angekündigte Album schürte. Und „JUNGLE“ von JUNGLE hält, was „The Heat“ versprochen hat: Auf gespenstisch gut funktionierende Weise mixen J und T Altes mit Neuem, ein sämiger und doch leichter funky Flow durchzieht alle zwölf Tracks. Der Groove regiert, walzt aber nichts platt, sondern lässt genug Platz für stilistische Spielereien von Reggae über Soul, Jazz, HipHop, House und No-Wave-Funk á la A Certain Ratio. Die Vocals im sanft-prägnanten Curtis-Mayfield-Falsetto gleiten smooth ins Ohr – und das größte Kunststück von allem gelingt JUNGLE mit Leichtigkeit: Mainstream-Appeal und Avantgarde-Anspruch verquicken sich in Songs wie „Busy Earnin‘“ oder „Time“ zu zeitlosen und gleichzeitig total hippen Streetstyle-Anthems.
„JUNGLE“ ist Sommermusik, ganz klar, aber mit Herbst- und Winterpotential. Mal abwarten, wie lange J und T die JUNGLE-Karte spielen…
JUNGLE. XL/Beggars/Indigo. Zur Homepage. Zum Video „Busy Earnin‘“ geht es hier.
Überleben im Alltag
(MO) Man kann gar nicht anders, als die 24-jährige Singer-/Songwriterin Courtney Barnett all jenen ans Herz zu legen, die sich nach klugen, originellen Musikerinnen vom Schlage Courtney Tidwells (noch eine Courtney) oder Barbara Mannings sehnen, die ja leider zurzeit ein bisschen abgetaucht sind. Barnett kommt aus Melbourne, wo sie 2012 ihr eigenes Label Milk! Records gründete und darauf ihre ersten beiden EPs „I´ve Got A Friend Called Emily Ferris“ und „How To Carve A Carrot Into A Rose“ veröffentlichte. Sehr schnell konnte sie in Australien, USA und Kanada – nicht zuletzt wegen ihrer intensiven Liveauftritte – eine wachsende Fangemeinde um sich scharen. Mit „The Double EP: A Sea of Split Peas“ wird sie hoffentlich auch hierzulande die verdiente Aufmerksamkeit bekommen: „The Double EP“ vereint sechs ältere und sechs neue Songs, bietet also einen prima Überblick über Barnetts Schaffen.
Die Gitarristin und Sängerin hat ein verbrieftes Faible für skurrile Stories, zum Beispiel ist ihr Asthmaanfall während einer australischen Hitzewelle Thema der Single „Avant Gardener“, zu der es überdies ein sehr witziges Video gibt. Die Lyrics sind bestes, schwarzhumoriges Storytelling; Barnett hat die Gabe, auch aus der banalsten Alltagsbeobachtung bzw. –Gegenständen wie Konservendosen lakonische, ironische, verzweifelte Geschichten zu machen – vielleicht ihre Überlebensstrategie, wer weiß, aber unglaublich gut. Barnetts schickt ihre klare, coole Stimme gern durch den Verzerrer, die Musik knackiger, wüstenstaubiger Indiefolk mit Spuren, die bis zu Bob Dylan führen („History Eraser“) und manchmal an die bereits erwähnte Barbara Manning erinnern. Also, nochmal: Courtney Barnett ist toll, „The Double EP“ gehört in jeden Haushalt, in dem Bücher von Paula Fox und Alice Munro gelesen werden.
Courtney Barnett: The Double EP: A Sea of Split Peas (Caroline/Universal). Zur Homepage.
So zeitlos wie zeittypisch
(MO) Über die 1980er Jahre halten sich hartnäckig absurde Vorurteile wie zum Beispiel, dass Popmusik damals so doof gewesen sei – das ist natürlich großer Unsinn, und ich versteige mich an dieser Stelle zu der Behauptung, dass Pop nie so gut war wie in den frühen Achtzigern. Punk und Postpunk eröffneten ungeahnte Möglichkeiten, Bands wie Soft Cell, ABC, Scritti Politti, Aztec Camera und Culture Club standen beispielhaft für New Pop, der Style- mit politischem Bewusstsein, sexueller Freiheit, musikalischem Pioniergeist UND Charterfolg zusammenbrachte.
The The-This is the day von chilperic
In diese Reihe gehören auch The The, im Grunde das Soloprojekt des an verschiedenen Süchten und seinem unheilvollen Perfektionswahn leidenden Matt Johnson. 1981 brachte Johnson das Album „Burning Blue Soul“ heraus, entschloss sich dann aber doch zur Gründung von The The – seiner Band, in der er die Fäden zog, Songs komponierte und fast alle Instrumente selbst spielte. Trotzdem oder gerade deshalb sind die Platten von The The auch dreißig Jahre nach der Erstveröffentlichung unfassbar gut: das 30th-Anniversary-Vinyl-Boxset von „Soul Mining“ beeindruckt nicht nur durch die opulente Ausstattung inklusive Poster, Liner Notes von Johnson, remasterten Tracks und Downloadcode für das Originalalbum mit authentischem Geknister. Musikalisch eine schwer kategorisierbare Mischung aus Soul, Wave, Jazz, Synthiepop und Avantgarde, sind die Songs so zeitlos wie zeittypisch: der megalomanisch Johnson schwelgt in Depression, Einsamkeit und Verbitterung, schreibt zärtliche Liebeslieder („This Is the Day“, „Uncertain Smile“) und zynische Gesellschaftsanalysen („Perfect“). „Soul Mining“ zeigt, was Pop vor dreißig Jahren alles konnte – und dass Zugänglichkeit und Relevanz keine Widersprüche sind.
The The: Soul Mining. 2lp 30th Anniversary Deluxe Edition/ Vinyl LP, Sony Music. Zur Homepage.
Video “This Is the Day”
http://www.dailymotion.com/video/x14b1t_the-the-this-is-the-day_music
Retro-Inkarnation
Ausflüge in Retro-Gefilde gehen oft in die Hose, die neue Inkarnation von Slow Club indes ist ihre bisher schlüssigste: Das Duo aus Sheffield (Rebecca Taylor & Charles Watson) debütierte 2009 mit dem Indiefolk-Album „Yeah So“, legte 2011 das aufwändiger produzierte, aber insgesamt unentschlossene „Paradise“ nach und findet mit „Complete Surrender“ zu beinah lupenreinem Blue-Eyed-Soul im Stil der Sechziger und Siebziger. Der – nach eigener Aussage – schlichte Sound aus Bass, Gitarre, Streichern, Bläsern und Drums steht Slow Club richtig gut, er lässt Rebeccas Stimme divenhaft erstrahlen und gibt den Songs den nötigen Raum.
Charles singt auch, gemeinsam erinnern sie an große Duos wie Lee & Nancy – auch thematisch: Beziehungsdramen noch und noch, mal melancholisch und traurig, mal giftig und böse. Mit Songs wie „Tears of Joy“, „Suffering You, Suffering Me“, „The Pieces“ und „Not Mine to Love“ haben Slow Club die leidenschaftlichsten Liebeslieder des Jahres im Gepäck, der Titeltrack gehört zwar nicht zu den Stärksten des Albums, ist dafür aber sehr tanzbar; die Breitwandballaden “The Queen´s Nose“ und „Paraguay und Panama“ belegen die stilsichere musikalische Weiterentwicklung von Rebecca & Charles, die sie beim Stöbern des großen Backkatalogs des Pop gemacht habe.
Zu Slow Clubs aktuellen Vorbildern zählen Marvin Gaye, Dolly Parton, Fleetwood Mac und Linda Ronstadt – nicht die schlechtesten Referenzen. Ihre eigene Note haben sie obendrein gefunden.
Slow Club: Complete Surrender. Caroline. Zur Homepage.