Geschrieben am 8. Mai 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit !!!, Phoenix, The Child of Lov, Sølyst, Wrongkong, Ghostpoet und Francis International Airport, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

!!!_thr!!!erGute Mitte

(MO) Noch über dreißig Jahre nach seiner Veröffentlichung übt Michael Jacksons Album „Thriller“ einen geradezu mystischen Zauber aus: Phoenix ersteigerten bei ebay das Mischpult, mit dem „Thriller“ gemixt wurde, auf dass dessen magische Kräfte auch bei den Aufnahmen für ihre neue Platte „Bankrupt“ wirken mögen. Die New Yorker Postfunk-Band !!! (Chk Chk Chk) will mit ihrem fünften Album gleich einen ganz neuen, eigenen „Thriller“- respektive „Thri!!!er“ erschaffen: “‘Thriller’ steht nicht nicht nur für das meistverkaufte Album aller Zeiten, es ist auch ein Synonym für die Hochwassermarke, die absolute Spitze eines Künstlers und/oder Genres,“ sagt Gitarrist Mario Andreoni und zählt u. a. „Sister Ray“ von Velvet Underground und Wham!´s „Big“ zu den Thriller-würdigen Alben.

Der erste Eindruck, den man von !!!´s „Thri!!!er“ bekommt, ist der, dass irgendwas mit dem Gesang nicht stimmt: Sänger Nic Offer klingt bei den ersten Tracks „Even When The Water´s Cold“ und „Get The Rhythm Right“ wie eine knödelige Karikatur von etwas ziemlich Ödem, sagen wir Laid Back („Baker Man“). Zum Glück ändert sich das im Lauf der Stücke und !!! präsentieren sich als gewohnt bassbetontes Rave- und Rhythm-Monster: „One Girl/One Boy“ oder „Fine Fine Fine“ ufern ekstatisch aus, bei „Slyd“ und „Californyeah“ drängen die guten, alten New York-Wave-Funk-Vorbilder Konk! und Liquid Liquid an die Oberfläche, „Careful“ ist eine schlüssig gemixte Melange aus Disco und Techno, Nic Offer singt dazu in feinstem Falsett.

Leider verbaseln es !!! mit dem Jazzrock-Fusion-Crossover „Station (Meet Me At The)“, einen guten Schlusspunkt zu setzen (Offer knödelt wieder so komisch gepresst-„rockig“). Das ist schade, denn der Mittelteil von „Thri!!!er“ ist Club-Enthusiasmus in Reinkultur. Vielleicht hätte ihnen das „Thriller“-Mischpult geholfen.

!!!: Thri!!!er. Warp). Zur Homepage.

phoenix_bankruptBlasierte Kugel

(MO) Jetzt zum Album, bei dem das „Thriller“-Mischpult tatsächlich im Einsatz war: „Bankrupt!“, fünfte Platte von Phoenix, ist leider nicht von dem magischen Funken beseelt, der die Zusammenarbeit von Michael Jackson und Quincy Jones bestimmte. Großkotzigkeit, Blendertum und blasierte Oberflächlichkeit stampfen alles nieder, was das letzte Album der Franzosen so unwiderstehlich machte. Auch „Wolfgang Amadeus Phoenix“ zeigte durchaus Spuren des Größenwahns, der aber auf hinreißende Weise in leicht überkandidelten Songs kanalisiert wurde, die federleicht, charmant und eingängig waren – so gesehen war „Wolfgang Amadeus Phoenix“ das perfekte Popalbum, nach dem sich eine Band entweder auflösen oder neu sortieren sollte.

Phoenix taten nichts davon, sondern kloppten vier Jahre danach zehn unsensible Tracks zusammen, die derart überproduziert sind, dass man sie nicht anders als als akustische Überwältigungstaktik bezeichnen kann. Der Opener „Entertainment“ dauert mehr als sieben Minuten, die früher so cheesy Keyboard-Schichten werden nochmal und nochmal geschichtet und nerven schon jetzt. Es nervt außerdem, dass in den Texten das ach so schwere Leben der Playboys und -girls ausgestellt wird („S.O.S. In Bel Air“), eine ironische Brechung aber nirgends erkennbar ist.

Gut und interessant wird es dann, wenn Phoenix den Produktions-Overkill eindämmen und den Song einfach Song sein lassen wie in „Drakkar Noir“ und „Trying To Be Cool“. Leider sind solche Momente die Ausnahme, Wucht und hektische Betriebsamkeit herrschen vor. „Bankrupt!“ klingt wie eine Cabriofahrt schnöseliger Champagnererben in praller Sonne entlang der Cote d’Azur. Die Erben laden aber niemanden ein, der nicht zu ihrer Clique gehört. Man darf nur mit offenem Mund zuschauen – bis es einem eben egal wird, was die braungebrannten Schnösel treiben.

Zumindest Gitarrist Laurent Brancowitz war klar, wie „Bankrupt!“ wirkt: „Wir wollten, dass die Platte flüssig und einfach ist, wie eine Kugel aus Marmor. Zunächst siehst du nur eine Kugel – aber es gibt einen Typen, der sie ein Jahr lang poliert hat.“ Schade, dass besagter Typ die Kugel nicht mal auf den Boden plumpsen ließ.

Phoenix: Bankrupt! Loyauté/Warner. Zur Homepage.

thechildoflov_ditoSoul für das 21. Jahrhundert

(TM) Was sich anhört wie eine stattliche US-Westside-Soul- und Hip-Hop-Combo ist in Wirklichkeit mehr oder weniger das Werk eines einzelnen Mannes: The Child of Lov, das ist Cole Williams, und sein selbstbetitelter Erstling spielt virtuos auf den von Musikern wie Outkast, Prince und D’Angelo vorbereiteten Soundklaviaturen – Soul für das 21. Jahrhundert. Das kann mal bombastisch klingen wie bei „Fly“ (das auch einem Timbaland gut anstehen würde), mal aufs Äußerste entkernt, sodass nur noch ein dürres orientalisches Sample übrigbleibt, über das dann DOOM als Gast seine verschleppten Rhymes legt. Als weiterer Gast ist Damon Albarn (Blur/Gorillaz) dabei, der „One Day“ ein gespenstisches Soundgerüst verpasst. Auch der Erykah Badu/Flying Lotus-Bassist Thundercat passt in diese Musikfamilie.

Überhaupt ist dieser Sound so auf das Wesentliche reduziert, werden die elektronischen Spielereien hier so konsequent kontrolliert, dass dagegen die Überreiztheit des Gesangs, diese gerade so in Schach gehaltene Manie, umso besser durchscheint. Sommer in der Stadt, du kannst kommen.

The Child of Lov: The Child of Lov. Domino Records (Goodtogo). Zur Homepage und zum Facebook Auftritt.

solyst_leadGar nicht langweilig

(MO) Manche Leute finden reine Instrumentalmusik langweilig, ihnen fehlen Gesang, Reime, Refrains. Das Einzige, was ich an Musik ohne stimmliche Begleitung schwierig finde, ist, dass man sich beim Versuch der Beschreibung rasch und durchaus unbeabsichtigt auf floskelhaftes No-Go-Terrain begibt: von Klangteppichen und mäandernden Melodieflüssen ist dann oft die Rede, das beliebte Kopfkino wird angeknipst und natürlich geht man auf innere Reisen … Oh je und nochmal je!

„Lead“, das zweite Soloalbum von Kreidler-Schlagzeuger Thomas Klein alias Sølyst hat eine versiertere Rezeption verdient, aber ich kann´s auch nicht viel besser ausdrücken: Denn vom ersten Track an, dem stoisch vorwärtstreibenden „Pierbourg“, ist man wie hypnotisiert von Sølysts tribalistischen akustisch-elektronischem Dub-Postrock-Kraut, amalgamiert aus Drums, Percussion, Synthie-Patterns, Loops und fragmentierten Melodien. Der Sound ist klar und trocken, nichts verschwimmt oder verschwurbelt, die Stimmung ist eher dunkel, dabei energetisch und entschlossen.

Basis dieser faszinierenden Mischung ist die Percussion, kein Wunder nach den bald zwanzig Jahren, die Thomas Klein schon bei Kreidler trommelt. Kleins Schlagzeugspiel zeichnet sich durch perfektes Timing aus, aber kalte Perfektion ist nicht Sølysts Ziel: intensiv und mitreißend, vage vergleichbar mit dem analogen Techno von Brandt Brauer Frick sind Tracks wie „Spiegel“ und „Euphorica“, fast bedrohlich wirkt „Glass Danger“, mit „Schnee“ klingt „Lead“ verspielt-versöhnlich aus – wahrlich das Gegenteil von langweilig.

Solyst: Lead. Bureau B (Indigo). Zur Künstler Seite des Labels.

wrongkong_killtheshouldandmakeadoEigene Marke

(MO) Ehrlich gesagt hatte ich die deutsch-kanadische Band Wrongkong kaum noch auf dem Schirm: von ihrem letzen Album „So Electric“ war ich aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen genervt, vielleicht weil es so hibbelig war und der Titel so retroid und uncool wie Julis „Elektrisches Gefühl“. Aber zum Glück legt die Truppe um die Sängerin und ausgebildete Tänzerin Cyrena Dunbar schon fünfzehn Monate später mit einer neuen Platte nach, die mich Ignorantin von Vorurteilen befreit.

„Kill The Should And Make A Do“ trägt Power und Entschlossenheit ja schon im Titel, und das ganze Album wirkt, als hätten Wrongkong ihren Flow-Moment gefunden, also den Punkt, an dem man ganz in seiner Arbeit aufgeht und alles im Fluss ist. Euphorischer House, Disco und Pop gehen in Songs wie „Escape“, „See It Coming“ oder „I´m Sorry“ perfekte Verbindungen ein, die Single „Did You Say Dream On?“ ist lässig-glamourös und newyorkish-überkandidelt, dass man im Nachhinein realisiert, dass Songwriter Thomas Wurms aka Tommy Yamahas erste Band The Strike Boys nicht ohne Grund auf dem britischen Qualitätslabel Wall of Sound (Zoot Woman, Tiga, I Am Kloot) veröffentlicht wurde.

Zu „Kill The Should And Make A Do“ will man die ganze Zeit tanzen, House-Piano, Rave-Atmo und moderat portionierte Techno-Beats zu Glockenspiel und dickem Bass machen Laune und bringen die Hüften in Schwingung. Beinah ist man versucht, die etwas gesetzteren Tracks wie „Running Away“ und „Stay“ weiterzuskippen, was aber ein Fehler wäre, denn dort kommt Dunbars Stimme besonders gut zur Geltung. Wenn ich jetzt unbedingt einen Vergleich zwecks besserer Einordnung machen müsste, würde ich schreiben, dass man mit einer Mischung aus Yeah Yeah Yeahs, frühen Cardigans und einem Ibiza-House-Sampler ganz richtig liegen würde. Aber das mache ich nicht, denn Wrongkong sind ja inzwischen eine ganz eigene Marke.

Wrongkong: Kill the should and make a do. Adp Records (Alive). Zur Homepage.

ghostpoet_somesayisoisaylightKühles Sofa

(TM) Ghostpoets Welt ist nicht gerade rosarot. Nicht so düster wie zu Trickys besten Zeiten (von dem wir später im Mai Neues hören werden), aber dennoch düster. Ghostpoet trifft mit seinen angejazzten Trip- und Hip-Hop genau ins Herz einer Generation, die keine Hoffnung mehr hat, deswegen aber noch lange keinen Bock, darüber des Rhythmusgefühl zu verlieren. Samples hat Ghostpoet zuhauf – und er weiß sie einzusetzen, wie den infektuösen, indisch angehauchten Synthielauf auf „Plastic Bag Brain“, oder die nervöse multirhytmische und psychedelische Mixtur im Hintergrund bei „thymethymethyme“. „Sloth Trot“ ist auch so ein herrlich verspulter Titel, inklusiver eines sehr konsequent zu Ende gespielten Jams am Schluss.

Aber wie gesagt: Ghostpoet ist nicht nur schwarz. Spätestens bei „Dorsal Morsel“ kommt geradezu eine elektronische Leichtigkeit hinein, die auch den Weilheimern um The Notwist gut anstehen würde. Trotz allem schleppt sich „Some Say I So I Say Light“ richtig fein schwerfällig durch eine knappe Stunde. Man fühlt sich unwillkürlich wie an einem zu heißen Tag, ausgestreckt auf dem kühlen Sofa.

Ghostpoet: Some Say I So I Say Light. PIAS (Rough Trade). Zur Homepage.

francisinternationalairport_cacheSchmerzlos

(TM) Mit ihrer zweiten Platte kommen die Österreicher Francis International Airport im Computerzeitalter an und gehen gleichzeitig zurück, bis sie tief in der 80er-Jahren mit ihren Synthesizerträumen stecken. Entstanden ist „Cache“, wie der Name ja schon vermuten lässt, mehr aus Rechnerfestplatten als im Proberaum. Das Quintett schickt sich lieber Soundschnippseldateien hin und her, schichtet Layer und frickelt Songs zusammen, als in der Livesituation zu jammen.

Sofort erhört werden kann bereits beim Opener „Berenice“ die deutliche Melodieseligkeit der Band – tatsächlich haben sie dafür ein gutes Handchen. Mehr als einmal denkt man dabei an Interpol, an deren dunkler Seite sich nicht nur Sänger Markus Zahradnicek orientiert.

Allerdings richtet sich „Cache“ irgendwann doch in der harmlosen Ecke ein, verpasst die Chance, den Songs noch einen Twist mehr zu verpassen, der sie dann im Gedächtnis verankern würde. So ist es einfach nur ein nettes Album mehr aus der Indie-Ecke, das keinem weh tut.

Francis International Airport: Cache. Siluh Records (Cargo). Zur Homepage.

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