Neue Platten von und mit Sleater-Kinney, Kitty, Daisy & Lewis und Sonae, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).
Sleater-Kinney: No Cities To Love
(MO) Zehn Jahre sind seit „The Woods“ vergangen, dem letzten Album der einflußreichen Riot-Grrrl-Band aus Olympia, Washington, die Kritiker Greil Marcus als wichtigste Rockband Amerikas bezeichnete – nicht als beste weibliche Rockband, wohlgemerkt. Ein kleines, aber wichtiges Detail. Es wäre leichter, einen angehaltenen Zug wieder ins Rollen zu bringen als eine Leiche zu exhumieren – diesen bildhaften Vergleich zieht Gitarristin und Sängerin Carrie Brownstein als Kommentar zur Reunion von Sleater-Kinney. Brownstein, Sängerin/Gitarristin Corin Tucker und Schlagzeugerin Janet Weiss waren gut beschäftigt in den letzten Jahren: Familien wollten versorgt, neue Bandprojekte wie Quasi verfolgt, erfolgreiche TV-Serien wie „Portlandia“ produziert werden. Sleater-Kinney lagen auf Eis. „Wir haben die Stop-Taste gedrückt“, so Brownstein.
Aber angehalten ist nicht begraben: Das neue Werk „No Cities To Love“ brettert mit ungebremster Wucht los – der Zug-Vergleich ist mehr als passend. „Price Tag“, „Fangless“, „Surface Envy“: Brownstein, Tucker und Weiss sind in Hochform. Schneidende Riffs, donnernde Drums und Tuckers unvergleichlicher, herausgeschrieener Gesang zwischen unbändiger Power und unterschwelliger Hysterie: Fantastisch. Der Titeltrack ist nicht minder energiegeladen, aber sanfter und melodischer; den im Studio als letztes aufgenommenen Song „Bury Our Friends“ bezeichnen Sleater-Kinney als hymnisch, wobei fast alle der zehn Stücke etwas Hymnisches haben: Dringlich, druckvoll, politisch bewusst – die drei Musikerinnen haben seit ihren frühen Großwerken „Dig Me Out“ oder „Call The Doctor“ nichts an Relevanz eingebüßt. Der Sleater-Kinney-Train rollt wieder. Wir können uns glücklich schätzen.
Sleater-Kinney: No Cities to Love. Sub Pop (Cargo). Zur Webseite der Band. Sleater-Kinney kommen für ein Konzert nach Deutschland, am 18.3.2015 nach Berlin, in den Postbahnhof.
Kitty, Daisy & Lewis: The Third
(TM) Woran erkennt man eine Platte von Kitty, Daisy & Lewis? Nun, man legt sie in den Player und man weiß einfach: das müssen sie sein. Wer sonst würde mit einem solchen leichten Rock’n’Roll-Song wie „Whenever You See Me“ in ein Album starten, mit diesen typischen verschleppten, ein wenig zu stark aufgetragenen Drums und dem gepressten Gesang der Durham-Schwestern? Was der Songprofessor von Radio Eins – ich glaube es war anlässlich des zweiten Albums – zurecht bei dem Trio bemängelte, ist halt auch ihr USP: es ist nichts perfekt in diesen Songs, dafür herrscht – Achtung, Hasswort – schlichte Authentizität.
Sie haben auch wieder richtig feine Überraschungen drauf, wie den Schluss von „No Action“, einem Song, der als Ballade anfängt und immer mehr Fahrt aufnimmt, cheesy Streicher präsentiert und dann eben mit einem Paukenschlag endet. Die Band macht Ausflüge in billigen Soul („Feeling Of Wonder“), doch am besten sind Kitty, Daisy & Lewis aber immer noch, wenn sie trockenen Rock’n’Roll spielen, oder gar den Blues („Good Looking Woman“) oder Ska („Turkish Delight“). Und über allem dieser hörbar unbändige Spaß an der Sache.
Kitty, Daisy & Lewis: The Third. PIAS/Cooperative Music (Rough Trade). Zu einem Video.
Sonae: Far Away Is Right Around The Corner
(TM) Die erste Veröffentlichung des elektronischen Monika-Labels im neuen Jahr präsentiert das Debütalbum der Kölner Musikerin Sonae. Sonae ist bisher vor allem mit EPs und Remixes in Erscheinung getreten, ihre Demos machten nicht nur Labelchefin Gudrun Gut neugierig. Die Songs entstanden zwischen in den letzten drei Jahren und drehen sich um Themen wie Freundschaft, das Erwachsenwerden und überhaupt den Alltag. Schon die Songtitel deuten das an: „Einfach so“, „Hot Summerday“ oder „Gewitterspaziergang“ stehen in einer langen Tradition der Ambientmusik, in der die äußerliche Erfahrung direkt verinnerlicht wird. Sonae verwendet auf „Far Away Is Right Around The Corner“ ausgiebig Feldaufnahmen der Website feesound.org.
Im gespenstischen „Wandering“ beispielsweise werden die Sicherheitshinweise in Flugzeug und Bahn, die jeder von uns beinahe auswendig mitsprechen kann, in eine neue Reihenfolge gebracht, was einen erstaunlichen Verfremdungseffekt hat („Please take a moment now/ and breathe normally“). Ihre Herangehensweise verbindet Delikatheit mit Zerstörungswillen, wie etwa bei ihrem tollen Remix von Cio d’Ors „Distanz“. So rhythmisch wie im Titeltrack ist es meist nicht, es dominieren flächige Sounddecken. Wenn beim Nachbarn übrigens grade die Decke aufgebohrt wird, kann man auch dieses Feldgeräusch wunderbar in die Sonae-Komposition einfügen – und das meine ich absolut positiv!
Sonae: Far Away Is Right Around The Corner. Monika Enterprise (Kompakt).