Geschrieben am 12. Juni 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit The Pastels, I-Wolf & The Chainreactions, Mount Kimbie, Emika, Jon Hopkins, Femi Kuti und Anna von Hausswolff, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

thepastels_slowsummitWer beeinflusst wen?

(MO) 2013 ist das Jahr der unverhofften Comebacks und unerwarteten Platten – nach David Bowies Überraschungswurf „The Next Day“ und dem frenetisch abgefeierten Meisterwerk von My Bloody Valentine gibt es mit „Slow Summits“ nach 16 Jahren Sendepause ein neues Album von den Pastels.

Die sechsköpfige Band um Stephen McRobbie (Gesang, Gitarre) und Katrina Mitchell (Schlagzeug, Gesang) stammt aus Glasgow, wurde 1981 gegründet und stand einige herrliche Jahre lang sinnbildlich für die „C86“-Generation: 1986 veröffentlichte der New Musical Express die stilprägende Compilation „C86“, auf der neben den Pastels Bands wie The Shop Assistants, Soup Dragons, Primal Scream und The Bodines vertreten waren.

Die Musik dieser Bands saß zwischen allen Stühlen, war Post-Post-Punk und Prä-Rave, manche nannten es Shoegaze, andere Twee-Pop – aber Schluss mit den Spitzfindigkeiten, denn es gilt, „Slow Summits“ in aller Form zu bejubeln. In Originalbesetzung und mit der Unterstützung vieler Freunde und Weggefährten wie Norman Blake von Teenage Fanclub entstand das neue Album, dessen Sound nahtlos an das 80er-Oevre anknüpft: unaufgeregt und doch leidenschaftlich weben die Pastels aus sanften Streicherarrangements, kleinen Prisen blue-eyed Northern Soul und Sixties-Reminiszenzen wundervolle Song-Kleinodien.

Manchmal ziellos trödelnd wie „Secret Music“, bittersüß-romantisch („Wrong Light“, „Summer Rain“) oder geradeweg optimistisch und zupackend wie im soulfullen „Check Your Heart“. Viele Menschen werden jetzt einwerfen, dass The Pastels so klingen wie Belle And Sebastian – ja, das stimmt. Aber es ist kaum mehr aufzulösen, wer einst wen beeinflusste. Und ist das nicht sowieso egal, wenn die Musik so schön ist?

The Pastels: Slow Summits. Domino (GoodToGo). Die Band auf Myspace.

iwolf&thechainreactions_flesh+bloodÖsterreichisches Dunkelmännertum

(TM) Es ist zwar schon satte 10 Jahre her, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich im Jahr 2003 I-Wolfs Album „Soul Strata“ auf den Ohren hatte und das großartige „Positivity“ wieder und wieder hörte – solch einen fetten, dunklen Ohrwurm konnten ja nur Tricky, Massive Attack oder eben Wolfgang Schlögl, Gründungsmitglied der Sofa Surfers aka I-Wolf, hinbekommen.

Nachdem er in den letzten Jahren keineswegs die Beine hochgelegt, sondern u. a. für das österreichische Theater gearbeitet und sein Musikprojekt Paradies der Tiere vorangetrieben hat, schiebt Schlögl als I-Wolf ein Doppelalbum hinterher, das er zusammen mit seiner Band The Chainreactions eingespielt hat. Diese Band hat es in sich: zuvorderst sind die Sängerinnen Aisha, Briknie und Nomadee zu nennen, die den Sound eindeutig in Richtung Soul verschieben, insbesondere auf „Flesh+Blood“, das sich ein paar hellere Töne erlaubt, während „Skull+Bones“, denjenigen Menschen gewidmet ist, die uns bereits verlassen haben, und daher schwerer und trip-hoppiger daherkommt. Dub und Jazz sind sowieso stete Begleiter dieses Sounds. Als Paket ist das für alle Liebhaber des österreichischen Dunkelmännertums unbedingt zu empfehlen.

I-Wolf & The Chainreactions: Flesh+Blood/Skull+Bones. 2 CD. Seayou Records (Roughtrade).

mountkimbie_coldspringfaultlessyouthTolle Soundideen

(TM) Natürlich muss man sofort an James Blake denken, wenn man die ersten Takte des Openers „Home Recording“ vom neuen Mount Kimbie-Album „Cold Spring Fault Less Youth“ hört. Und tatsächlich war das überall gefeierte Dubstep-Wunderkind in seinen Anfangstagen ja auch Mitglied der Livetruppe des Duos. Dominic Maker und Kai Campos haben sich seit ihren Anfängen, die ins Jahr 2009 zurückdatieren, zu einer ernstzunehmenden Größe im Popbusiness entwickelt, auch abseits der elektronischen Musikszene. Die Tatsache, dass sie jetzt beim Kultlabel Warp untergeschlüpft sind, spricht da eine deutliche Sprache.

„Cold Spring Fault Less Youth“ spielt mit den typischen Dubstep-Sounds, für die man Mount Kimbie zu schätzen gelernt hat, wagt aber auch gelungene Ausflüge zum Hip-Hop (mit tatkräftiger Unterstützung durch King Krule) und zielt dabei unmissverständlich auf den Dancefloor. Dazu kommen einfach irre tolle Soundideen, wie zum Beispiel die, bei „Slow“ (ein Track, der übrigens gar nicht so klingt, wie er heißt) einen Männerchor durch die Synthesizer zu jagen und als Hintergrund eines astreinen Dancetracks zu verwenden.

Mount Kimbie: Cold Spring Fault Less Youth. Warp Records (Roughtrade).

emika_dvaMelodisch und elegant

(MO) Mit “DVA” stellt die in Bristol aufgewachsene Wahlberlinerin Emika unter Beweis, was sich mit ihrem ersten Album schon andeutete: dass sie eine absolute Ausnahmekünstlerin ist. Eine Einschätzung, die sich an vielen Indizien festmachen lässt, nicht zuletzt daran, dass die studierte Pianistin und Sängerin die Beats für ihren fragil-melancholischen Dub-Pop-Slow-Tech selbst bastelt und auch als Produzentin verantwortlich zeichnet. Emika weiß genau, wie ihre Tracks klingen sollen und hat zur Unterstützung einzig Hank Shocklee als Co-Producer ins Studio gelassen.

„DVA“ ist melodischer, elegischer und mehr auf den Song konzentriert als das clubbezogenere Debüt; vom Sound her weicher und trotz Orchestereinsätzen leichter, aber auch mutiger und konsequenter. Emika befreit Chris Isaaks „Wicked Game“ (die einzige Coverversion der Platte) von allem schmachtenden Schmalz und macht aus dem Stück eine schwerelos schwebende Dub-Skizze mit gespenstisch verfremdeten Vocals – grandios.

Die Single „Searching“ besticht durch hingetupfte Soul- und R’n’B-Anmutungen; der vorletzte Track „Centuries“ öffnet mit pulsierenden Bässen die Tür in den Club. Auch wenn Emika in erster Linie Musikerin und Produzentin ist, gibt es noch einen weiteren Punkt, der sie aus der Electro-Menge heraushebt: sie hat nämlich auch etwas zu sagen. In ihren politisch expliziten Lyrics prangert sie Unterdrückung und Machtmissbrauch an („Sleep With My Enemies“, „Dem Worlds“).

Emika: DVA. Ninja Tune. Zur Homepage der Band.

jonhopkins_immunityDurch alle Schichten der Atmosphäre

(TM) Jon Hopkins weiß als Produzent (u. a. für Coldplay, Brian Eno und King Creosote) natürlich um die Bedeutung von fetten Beats und Bässen, die in die Magengrube fahren, aber das er mit seinem vierten Soloalbum einen solchen Klopper raushaut, konnte ja auch keiner ahnen.

Allein das Video zu „Open Eye Signal“ ist der pure Wahnsinn und sowas von kompatibel zur Musik: ein Typ auf seinem Skateboard auf dem Weg durch die USA, über einsame Highways durch die Berge und die Wüste bis in den Schnee, eine Story ohne Anfang und ohne Ende, der man wie bei einer Meditation willenlos folgt, eingehüllt im dichtesten und blubberndsten Sound, den man sich nur vorstellen kann.

Man hat direkt vor Augen, wie dieser Track morgens um zwei auf der Tanzfläche funktioniert und wie da auch die Lahmsten wieder Beine kriegen. Grandios auch „Collider“ mit seinen verspult-verschleppten Beats, die den Hörer in eine langsame, warme Trance versetzen. Gegen Ende verirrt sich Hopkins in seinen eigenen Wohlfühltönen und wird ein wenig zu ambientös mit der Tendenz zum Kitsch, doch trotzdem funktioniert „Immunity“ als Album perfekt – eine Reise durch alle Schichten der Atmosphäre.

Jon Hopkins: Immunity. Domino Records (Goodtogo).

femikuti_noplaceformydreamNo questions left

(TM) Vom langen Schatten des Übervaters Fela hat sich Femi Kuti längst befreit. Sei mittlerweile siebtes Album „No Place For My Dream“ beweist das eindrucksvoll, denn dem Meister des Afrobeat gelingen starke authentische Songs mit der typischen Mischung aus Funk, Jazz und afrikanischer Volksmusik. Eines hat sich aber auch seit den Zeiten des legendären Fela Kuti nicht geändert: Ausgangspunkt im Afrobeat sind immer auch die gesellschaftlichen Umstände, Missstände, die allgemeine Lage der Menschen in Afrika, die seit jeher zu wünschen übrig lässt.

Der Nigerianer Kuti thematisiert solche Probleme offen, in Songs, die „Politics Na Big Business“ oder „No Work No Job No Money“ heißen – no questions left. Was aber wirklich beeindruckt ist die Stetigkeit, mit der Femi Kuti und seine Band das breite Spektrum des Afrobeat herunterspielen und bedienen, mit mitreißenden Bläserpassagen ebenso wie mit souveränem, heiserem Gesang. Der geniale Funke, wie er bei Fela Kuti übersprang, fehlt in diesen Songs, das Album ist aber dennoch ein zuverlässiger Begleiter in Momenten, in denen man ein wenig revolutionären Geist benötigt.

Femi Kuti: No Place For My Dream. Naive (Indigo).

annavonhausswolff_ceremonyErlösung!

(TM) Das Cover spricht bereits eine deutliche Sprache: Hier steht die Orgel im Vordergrund, und zwar nicht (nur) mit tröstenden Tönen. Hier ist der Tod allgegenwärtig, auf einer Platte, deren Titel so herzerwärmende Namen tragen wie „Funeral For My Future Children“ oder „Deathbed“. Es braucht einen ganzen Song (den Opener „Epitaph Of Theodor“) und über vier Minuten vom eben erwähnten „Deathbed“ (das dem Großvater gewidmet ist), bis die Schwedin Anna von Hausswolff zum ersten Mal ihre beeindruckende Stimme hören lässt – zu einem Zeitpunkt also, an dem man bereits voll und ganz eingenommen ist für diese Art der dunklen Zeremonie.

Als Hörer dieser Platte befindet man sich irgendwo zwischen der frühen Kate Bush und der aktuellen Soap & Skin. Die Single „Mountains Crave“ ist allerdings so eingängig, dass man sich nicht wundern würde, sie morgens im Radio zu hören. Schön wär’s, denn sie ist perfekt gemacht, angefangen von Hausswolffs bezauberndem Gesang bis hin zum jeder kirchlichen Prozession würdigen Ende. „Red Sun“ versucht sich sogar an einer kleinen, reizvollen Paraphrasierung von Chris Isaaks „Wicked Game“, bevor dann wieder Drone-Momente à la Sun O))) folgen („No Body“). Anna von Hausswolff ist in ihrer Heimat Schweden schon lange eine relativ große Nummer, es wird also Zeit, dass der Rest Europas nachzieht. Fazit: Wir brauchen mehr Orgel im Pop! Erlösung!

Anna von Hausswolff: Ceremony. City Slang (Universal).

Tags : , , , , , ,