Für die heutigen Blitzbeats haben Thomas Wörtche und Christina Mohr Platten von Depedro, Renaud Marquart und Fujiya & Miyagi gehört…
Entspannt
Depedro heißt eigentlich Jairo Zavala, ist Spanier, spielt Gitarre, singt und schreibt und komponiert Songs – hier, auf seinem zweiten Album, gleich 12 von 13 Tracks (nur einer, „What goes on“ stammt von Lou Reed). Wie schon sein Debüt sind auch die „Papierwolken“ hauptsächlich in Tucson, Arizona, eingespielt, wo nicht nur durchgeknallte Rednecks rumballern, sondern auch der Calexico-Clan sitzt. An den Reglern wie Joey Burns hier und im Studio, wie so ziemlich alle Calexicos bei dieser Produktion. Schließlich tritt Depedro oft bei live Konzerten von Calexico mit auf. Trotzdem hört sich Zavalas CD nicht wie eine reine Burns/Convertino-Produktion an, sondern ziemlich eigen, ohne allerdings den Kontext je leugnen zu wollen. Entspannt vor allem, mit manchmal unglaublich lässigem Groove („Eternamente“), mit hitverdächtigen Tracks („Chilla que tiemble“, „Mientras espero“), die, lebten wir in einer musikalisch weniger versifften Umwelt, eigentlich in allen Top Tens ganz oben stehen müssten, und mit umwerfend fetzigem Latin-Jazz-Sound, der sofort durch viel Indie-Rock, Cumbia und Mariachi-auf-Speed-Power (naja, man hört an solchen Stellen Calexico schon sehr deutlich durch) gestützt wird. Dazu ein paar kluge Texte und ziemlich sehr viel musikalische Intelligenz. Kann man immer hören, ist nur erfreulich, unterhaltsam, swingt und groovt und gehört in die Gesellschaft der ganz Großen, einschließlich der Lobos, wie „Todos los saben“ aufs glücklichste beweist… Fein! (TW)
Depedro: Nubes de papel. Nat Geo Music (Warner).
Schön und nett, aber…
So hört sich vermutlich Eklektizimus auf der Höhe der Zeit an. Mediterranes Soundfeeling, französisch (oder charmant pidgin-deutsch) gesungen von Monsieur Marquart, der alle 12 Tracks aus dem Alltag eines poetischen Lebens (oder so) komponiert und getextet hat. Dazu Rock, Folklore, Chanson, Folk und noch ein paar Einfluß-Splitter mehr. Als Hommage an die italienische Heimatstadt Molfetta, aus der seine Großmutter in den 40er-Jahren nach Frankreich ausgewandert ist (müssen wir das wissen?), manchmal maghrebinisch angehaucht und manchmal auch wie ein fernes Echo auf „Yo la tengo“ von vor gefühlten zehn Jahren. Texte u. a. über Waldbrände, rothaarige Frauen, eine Nacht im Zelt, un petit peu Sex, eine deutsche Bäckerin und auf den eigenen Nachwuchs. Da fängt man sich schnell den Sensibilitäts-Bonus ein, den ein rechter Kerl heute braucht. Musikalisch clever, fein gemacht, von unterschiedlicher Dynamik, überlegt instrumentiert, manchmal gar „stimmungsvoll“ (auch so’n Begriff). Nur ein hartgesottener Nörgler würde fragen: Alles gut und schön und nett, aber warum zündet’s nicht wirklich? (TW)
Renaud Marquart: Ribambelle de matins à Molfetta. La Viviane.
http://www.renaudmarquart.com/
Grower
„Ventriloquizzing“, das neue Album von Fujiya & Miyagi aus Brighton, brauchte länger als seine Vorgänger, um die Rezensentin zu überzeugen. Diese nämlich, großer Fan des so relaxten wie zwingenden Dancebeats von „Lightbulbs“ und „Transparent Things“, war zunächst ziemlich gelangweilt vom durchweg dunkleren, trägeren Sound, der F&M zuweilen wie Laid Back auf Narkotika klingen lässt, vor allem aber vom Doppelgänger-Puppen-Bauchredner-Gedöns. Oh Mann, so was haben Kraftwerk doch schon vor Jahrzehnten gemacht! Aber abgesehen davon, dass die Marionetten-Videos zu z. B. „Sixteen Shades Of Black & Blue“ und „YoYo“ richtig witzig sind, sollte man sich vom konzeptuellen Überbau der F&M-Masterminds Steve Lewis und David Best nicht abschrecken lassen. Gebt „Ventriloquizzing“ ein paar Durchgänge und erlebt mit, wie groß diese Platte wird. Das Grundgerüst ist zunächst mal wie immer, elastische, minimalistische Beats, geraunte Vocals, eine tanzbare Endlosschleife im Downbeat. Doch dann entfalten sich die Details, offenbaren sich neue Einflüsse, die von Folk bis Soul reichen, dazu sorgen skurrile selbstgebaute Instrumente für originelle Soundeffekte. Produziert von Thom Monahan (Au Revoir Simone, Devendra Banhart, Vetiver) in Kalifornien, überwiegt auf „Ventriloquizzing“ eine nur vordergründige Abgehangenheit, die sich bei näherem Hinhören als ganz schön düster, teilweise regelrecht aggressiv entpuppt. Zynische, very britishe Texte machen „Pills“ oder „Tinsel & Glitter“ zu Höhepunkten im Werk des Quartetts, das sich bisher ja gerade durch das absichtliche Verzichten auf Höhepunkte auszeichnete. Fujiya & Miyagi lassen sich nicht hetzen: „Ventriloquizzing“ ist ihr viertes Album in elf Jahren Bandgeschichte, der relaxte Sound ihr Markenzeichen. Aber alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Mr. Lewis und Kollegen noch viel vorhaben. Oder doch die Doppelgänger-Puppen? (CM)
Fujiya & Miyagi, Ventriloquizzing (Full Time Hobby / Rough Trade)