Neue Platten von Avril Lavigne, Cocoon, Josh T. Pearson, The Vaccines und Spaceman Spiff, gehört von Jörg von Bilavsky (JvB), Janine Andert (JA), Thomas Backs (TB) und Tina Manske (TM).
Avril Lavigne: Goodbye Lullaby
Auch Avril Lavigne kommt langsam in die Jahre. Zwar ist sie erst 26 Lenze alt, aber der Erfolg hat den erfrischenden Teenager langsam aber sicher zum kalkulierenden Twen mutieren lassen. Jetzt posiert sie nicht mehr in schwarzem Skater-Outfit und Feingeripptem wie in „Complicated“, sondern in schwarzen Dessous und weißem Männerhemd XXL – so zu beäugen in ihrem neuesten Clip zu ihrer aktuellen Single „What The Hell“. Die gleiche Frage dürften sich auch die Käufer ihres neuen Albums stellen: Was zum Teufel ist aus der talentierten Pop-Rock-Songwriterin mit leichtem Punk-Appeal geworden? Sicher, wer Jahr für Jahr einen Musikpokal nach dem anderen abräumt, angefangen bei Bravos Otto über die MTV Music Awards bis hin zu den Disney Video Awards wandelte noch nie fernab von den breiten Poppfaden. Aber muss sich Lavigne mit fast all ihren Songs auf „Goodbye Lullabye“ der Masse so andienen, dass sie musikalisch vollends im Mainstream versinkt? „What The Hell“ ist mit seinen Allerwelts-Akkorden und der gespielt verführerischen Arroganz ein sicherer Kandidat für die obersten Chartplätze weltweit. Und ihr Video: Das ist ein kaum verhüllter Werbespot für Laptops, LCD-Fernseher sowie die Foto-Handys ihres Plattenlabels Sony. So emanzipiert sie sich in dem frechen Filmchen auch geriert, so angepasst ist ihr momentanes Songwriting, das nur in den langsameren Stücken wie „Remember When“ oder „Goodbye“ mehr Potenzial verrät. „You will be a shinin’ star, … ever you can be a rock star” trällert sie in ihrem verheißungsvollen Opener “Black Star”. Diesen Traum hat sie sich längst erfüllt, ein bisschen weniger Glamour und ein bisschen mehr Groove würde die kleine Sängerin vielleicht auch auf Dauer groß machen. (JvB)
Avril Lavigne: Goodbye Lullaby. Sony. Die offizielle Website der Musikerin sowie die deutsche Seite. Avril Lavigne auf Myspace und bei Facebook.
Das Viedeo mit Bildern gibt es hier.
Cocoon – Where the Oceans End
Oh, Angus & Julia Stone haben ein neues Album veröffentlicht! Nee, doch nicht. „Where The Oceans End“ ist das zweite Studioalbum der französischen Band Cocoon. Das 2006 gegründete Duo macht seinem Namen dabei alle Ehre und wickelt den Hörer schnell in einen warmen, weichen Kokon ein. Gefälliger Folk-Pop, der so richtig gut zu den ersten Sonnenstrahlen da draußen passt. Mark Daumail und Morgane Imbeaud erzählen auf „Where The Oceans End“ die imaginäre Geschichte des Wales Yum Yum. Der Wal steht stellvertretend für die Kindheit von Cocoon. Als Symbol für das Ende der Kindheit und den Übertritt in das Erwachsenenalter stirbt Yum Yum auf seinem Weg. Eigentlich eine eher traurige Geschichte, die Mark und Morgane dennoch in einen zuckersüßen Sound verpacken. Also, mitwippen, summen und nur manchmal ein ganz kleines bisschen melancholisch werden. Etwa bei „Baby Seal“, wenn Geigen und singende Säge so etwas wie verklärte Erinnerungen heraufbeschwören. In so viel fluffige Wir-hüpfen-Händchen-haltend-über-blühende-Wiesen-Stimmung eingehüllt verfliegen Nachfragen etwaiger Plagiatsvorwürfe in Sachen der ebenfalls 2006 gegründeten Angus & Julia Stone aber auch schnell wie Pusteblumen im warmen Sommerwind. Und Hand aufs Herz, in Frankreich würde es wohl eher heißen, Angus & Julia Stone imitieren Cocoon. Dort haben die beiden nämlich mit ihrem ersten Album „My Friends All Died In A Plane Crash“ bereits Gold abgesahnt. (JA)
Cocoon: Where The Oceans End. Universal. Die Band bei Facebook und auf Myspace.
So’n Bart!
Ok, wer es aushält, dass ein kauziger Typ über eine Stunde lang seinen Weltschmerz und seine Gottesanrufung in quälend langwierigen Country- und Folksongs auf einen loslässt, dem sei „Last Of The Country Gentlemen“ als CD für dunkle Stunden ans Herz gelegt. Verliebte und unverbesserliche Positivdenker hören sowas eh nicht. Diese Platte ist was für unheilbare Melancholiker, die nicht der Meinung sind, jede Wolke müsste sich am Ende der Sonne geschlagen geben. Zu Josh T. Pearsons Fans zählen nicht zuletzt Nick Cave und Mark Lanegan. Seine Band Lift To Experience, geadelt unter anderem vom großen John Peel sel., löste sich im Jahr 2001 auf, seitdem ist der Songwriter solo unterwegs, meist nur begleitet von seiner Gitarre. Aufgenommen wurde „Last Of The Country Gentlemen“ an zwei Tagen in Pearsons Berliner Wohnung – dementsprechend einsam fühlt sich dieser untröstlich und daher äußerst intensive Folk an, bei dem es um all die schlechten Dinge geht, die Pearson in letzter Zeit erlebt hat. Ok, wer es aushält, dass ein kauziger… (s. o.). Und der Preis für den geilsten Bart der Saison ist hiermit natürlich auch vergeben. (TM)
Josh T. Pearson: Last Of The Country Gentlemen. (Mute/GoodToGo).
Wer, wie, was?
„Who Wrote The Book Of Love?“, „Who Fingered Rock`n`Roll?“ und manchmal sogar „Who Killed The Zutons?“ Pop stellt immer wieder gerne große und kleine W-Fragen. Die sind schwer zu beantworten und sorgen auf den Plakatwänden für eine Menge Aufmerksamkeit. Dachten sich auch The Vaccines aus England. Seit einiger Zeit schon schwirrt ihre melodische Rock-Nummer „If You Wanna“ als Vorbote durch das Netz. „What Did You Expect From The Vaccines?“ gibt nun die Antwort auf das wöchentliche Versprechen der ganz großen neuen Gitarrenband aus dem UK. Surprise, surprise: Vier junge Männer um Sänger Justin Young und Gitarrist Freddie Cowan unterlegen die fröhlichen Melodien der 50er- und 60er-Jahre mit Garagen-Punk und düsteren Gitarren-Wänden. Dazu gibt es melancholische Lyrics („Under Your Thumb“) und Belehrungen durch ernsthafte junge Männer („What did you expect/ from post break-up sex?“). Noch eine W-Frage in all diesem Denksport. Antworten gibt es viele, eine liegt auf der Zunge: The Vaccines haben wahrscheinlich eine Menge Songs aus der Zeit von 1986 bis 1989 gehört, mit Sicherheit The Jesus And Mary Chain, die frühen Primal Scream und The House Of Love. Genau dort ist die Retro-Welle nun angekommen. Wie hat unsere geschätzte Kollegin Christina Mohr doch so schön geschrieben? „Die nuller Jahre bringen uns musikalisch vor allem Spiralen der Erinnerung“. Das neue Jahrzehnt macht da weiter und fährt im Rückspiegel ein paar Jahre vorwärts. Mit den Vaccines ist hier ein Impfstoff auf dem Markt, der nicht lange wirken dürfte. Die eigene Note fehlt und die nächste Retro-Welle, sie kommt bestimmt. Der Autor dieser Zeilen legt da lieber gleich die Originale auf und hat noch Tipps für die Download-Fraktion: „My Little Underground“, „Taste Of Cindy“, „Christine“ und „Velocity Girl“. (TB)
The Vaccines: What Did You Expect From The Vaccines? (Columbia/Sony). Die Website der Band, The Vaccines auf MySpace.
Oberprimaner
„Ich allein gegen all die roten Ampelmännchen“; „werden muss jeder für sich allein“; „jetzt steh ich hier wie die Axt im Wald und wollt doch eigentlich ein Baum sein“; „mein Schlafanzug ist kugelsicher“; „im Treibsandkasten der Jugend“ – das sind so die Sentenzen (und man könnte ewig und drei Tage so weitermachen), die Hannes Wittmer aka Spaceman Spiff in seinen Texten verbreitet, sich dabei ganz naiv mit der Gitarre begleitend. Ja es stimmt, er hat was zu sagen und er hat manchmal auch durchaus ungewöhnliche Worte dafür, aber irgendwie kommt man sich als Hörer doch gegängelt vor, als ob so ein Oberprimaner einem ununterbrochen seine Extrabegabung ins Ohr brüllt und vor Gier nach Anerkennung zittert. Nicht richtig unsympathisch, aber eben nervig. Auch Wittmers Stimme, die oftmals unangenehm näselnd wird, macht es nicht besser – „photonenkanonen“ ist das beste Beispiel dafür, wie eine ungeeignete Pennäler-Interpretation ein schönes Musikstück beflecken können. Diese Songs würden als gelesene Lyrik vielleicht besser wirken. (TM)
Spaceman Spiff: und im fenster immer noch wetter. mairisch Verlag (Broken Silence).