Geschrieben am 16. Juli 2009 von für Musikmag

Clark: Totems Flare

Clark: Totems FlareAdrenalinspritze

Man weiß bei diesen Songs nie, was tiefer geht: der brazige Bass, die nervösen Drums oder die hochgepitchten Glitch-Sounds. Von Tina Manske

Einen Tag nachdem Tausende Berliner für das Bündnis „Megaspree“ – ein Rettungsversuch für das gemeinschaftlich und kulturell genutzte Spreeufer, das durch Privatisierung und verantwortungslose Stadtplanung bedroht ist – auf die Straße gegangen waren, da spielte Chris Clark letzten Sonntag in einem der wunderbaren Clubs, die wohl durch eben diese Stadtplanung bald Geschichte sein werden. In der berühmten Bar 25 stellte er seine neue Platte vor. Das passt. Was die Bar 25 für die Berliner Clubszene ist/war/gewesen sein wird, das ist „Totems Flare“ für das Elektronikgenre: Eine Adrenalinspritze mitten ins Herz. Wie es sich für einen Warp-Künstler gehört, fühlt sich das die meiste Zeit so an, als würde ein ADHS-Kranker einen epileptischen Anfall bekommen und dabei über eine heiße Herdplatte laufen. Bei aller Nervosität aber verlässt Clark niemals den Pfad, an dem der rote Faden des Songs entlang geführt wird. Ja, tatsächlich ist bei diesem Album, dem dritten Teil einer gedachten Trilogie (ausgehend von den Alben „Body Riddle“ und „Turning Dragon“, die jedes für sich schon eine großartige Leistung in Individualität darstellten), der tatsächliche song inklusive Strophen und Refrain die ganze Zeit präsent.

Blitz aus Sound

Dennoch kann diese Musik durchaus verstören, weil der Weg, den sie geht, niemals ein gerader ist. Das wäre Clark wohl auch viel zu langweilig. Lieber packt er all seine Ideen hinein, und davon hat er einige (zuhause beherbergt er nach eigenen Aussagen schon Material für die nächsten drei Alben). Bestes Beispiel: „Growls Garden“, das zuvor bereits als EP erhältlich war, ist ein Monster, für das die Chemical Brothers garantiert töten würden – wie hier Spannung aufgebaut wird und sich in einem Blitz aus Sound entlädt, das klingt wie die Modellanleitung zur Herstellung einer Fanfare. Man weiß bei diesen Songs nie, was tiefer geht: der brazige Bass, die nervösen Drums oder die hochgepitchten Glitch-Sounds.

„Totems Flare“ ist auch kein reines Elektronikalbum, sondern steht mindestens mit einem Bein mitten im artifiziellen Pop. So funktioniert es eben auch nicht nur im Club, sondern ebensogut vor dem heimischen Lautsprecher. Das Ende dieser tour de force markiert eine psychedelische E-Gitarren-Fantasie, die den Hörer nur ungern, aber dennoch mit leichter Hand in sein weiteres Leben entlässt.

Tina Manske

Clark: Totems Flare. Warp (Vertrieb: Rough Trade).

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