Gleichgeschaltet
Wenn sich eine der ätherischsten Bands des heutigen Pop-Zirkus unter dem riesigen Kronleuchter des Admiralspalastes in der Friedrichstraße einfindet, dann ist das eine gute Ausgangsposition. Doch welch zugekleisterter Schmarren wurde daraus? Von Tina Manske
Mit Konzertreviews ist das so eine Sache: Manchmal beschleicht einen als Leser nicht unwesentlich das Gefühl, der Kritiker habe die Platte im Ohr und würde eigentlich viel lieber darüber schreiben als über das, was da auf der Bühne gerade passiert. So das letzte Mal geschehen bei Vertretern der Hauptstadtpresse nach dem Konzert, das CocoRosie in der letzten Woche im Berliner Admiralspalast gaben. Das Ziel war klar: Man wollte es gut finden. Oder hatte eventuell auch von der Chefredaktion die Vorgabe, es gut zu finden. „CocoRosie? Schreib doch waste willst, Hauptsache die Worte ‚träumerisch‘ und ‚märchenhaft‘ kommen drin vor, den Rest kannste ja drumrum labern. Was? Jaja, ‚feengleich‘ geht auch. Zeilenhonorar einszehn.“
Die Location gab ja auch allen Anlass zur Hoffnung: Wenn sich eine der ätherischsten Bands des heutigen Pop-Zirkus unter dem riesigen Kronleuchter des Theaters in der Friedrichstraße einfindet, dann ist das eine gute Ausgangsposition. Doch welch zugekleisterter Schmarren wurde daraus? Dass CocoRosie gerne mit Visuals arbeiten weiß man mittlerweile, aber wer beim stundenlangen (das Konzert dauerte weit über 120 Minuten) Betrachten eines Loops aus bunten Kettenkarussels, Kinderlachen, Leichen sowie Bienen, Planten und Bloomen in Slowmotion tatsächlich ins Träumen gerät (wie die Kollegin vom Tagesspiegel), anstatt einem epileptischen Anfall zu erliegen, von was träumt der eigentlich nachts, wenn er alpträumen will? Das völlig zusammenhanglose Zeug lenkte so sehr von der Musik ab, das man gezwungen war, exzessiv auf die Glatze des Vordermannes zu starren, um nicht verrückt zu werden.
Höhen und Tiefen: Fehlanzeige
Wie schon bei anderen Konzerten zuvor haben die Casady-Schwestern Bianca und Sierra auch dieses Mal die Beatbox TEZ mitgebracht, der in einer kleinen Einlage während einer Umkleidepause ein Solo hinlegen darf. Schön und gut und beeindruckend, was man mit dem Mund alles machen kann, danke. Dass TEZs Beatbox aber darüber hinaus fast jeden (!) Song auf der Bühne begleitet, ist definitiv zu viel für diese feinnervigen Lieder. Wie man die filigranen Klangstrukturen der CocoRosie-Songs so zerditschen und ertränken kann wie hier geschehen, das ist schon eine mehrjährige Haftstrafe wert. Da hilft es auch nichts, dass der Pianist Gael Rakotondrabe virtuos mit jeweils einer Hand Flügel und E-Piano gleichzeitig bedient – spätestens nach den ersten vier Takten wird er von TEZ und seiner permanent uffzenden Beatbox überlagert, ebenso wie der Drummer, der sich schon gefragt haben wird, zu welchem Zweck man ihn eigentlich engagiert hat.
Und was ist mit Sierra und Bianca, diesen so gegensätzlichen Stimmen? Gerade Sierras Arien werden schnell durchschaubar, so wie die Struktur der Songs überhaupt, die man für diesen Abend extra neu arrangiert hat. Es ist immer dasselbe: Bianca klimpert, TEZ beatboxt, Bianca schnarrt, Sierra darf ihre Arie singen und dabei feengleich (ha!) über die Bühne tänzeln, und das alles mit einem Sound, der mitnichten ätherisch wabert, sondern sich wie unter Tiefdruckwolken duckt. Abwechslung: null. Höhen und Tiefen: Fehlanzeige. Alles und jedes: gleichgeschaltet. Zum Nägelklipsen langweilig.
Bowie-Curtis-Moyet-Hybrid
Das alles wäre also nicht der Rede wert, gäbe es nicht doch noch einen erfreulichen Höhepunkt, weswegen wir hier auch endlich mal von der Vorband sprechen wollen (über die in der Halligalli-Presse natürlich kein Wort verloren wurde). Shannon Funchess und Bruno Coviello alias Light Asylum kommen aus New York, klingen wie die Wiedergeburt eines Bowie-Curtis-Moyet-Hybriden und nutzen die Soundmöglichkeiten des ausverkauften Admiralspalasts sehr gut aus. Ihr Synthie-Pop scheint direkt aus der Anfangsphase der 80er-Jahre zu kommen – und spätestens wenn Shannon Funchess zu singen anhebt, durchläuft einen der Schauer, auf den man beim Hauptact vergebens wartet. Wie eine junge Grace Jones mit Klassikerausbildung trägt sie die breiten Sounds der fünf dargebotenen Songs. Hätten Portishead auf ihrer letzten großartigen Platte nicht den Song „Machine Gun“ herausgebracht, wäre „Skull Fuct“ der Beat dieses Sommers, aber auch so ist er ein sehr guter und kluger Klau. Und am Ende kommt Funchess aus den Katakomben und macht „By Your Side“ zusammen mit CocoRosie endlich zu der Party, die dieser ganze Abend hätte sein sollen.
Fazit: Das neue Album von CocoRosie ist gut. Für ein gutes Konzert braucht es aber mehr als ein gutes Album im Gepäck. CocoRosie sind eine schöne und gute Band. Ihr Konzert im Admiralspalast war nicht gut. Light Asylum und allen voran Shannon Funchess haben den Abend gerettet.
Tina Manske
CocoRosie: Grey Oceans. Souterrain Transmissions (Vertrieb: Rough Trade).
Light Asylum: Ohne Album. Ohne Plattenvertrag. Ohne Vertrieb. Verkaufen die Tour-EP „In Tension“ und spielen am 28. Mai im HBC, Berlin. Teilnahme wird empfohlen.