Geschrieben am 6. August 2009 von für Musikmag

Enrico Rava/Ran Blake: Duo En Noir / New York Days

Sound of crime

Schwarzer Edelsamt in schwarzen, heißen Nächten: zwei neu erhältliche Alben des großen Trompeters Enrico Rava. Von Thomas Wörtche

1999 spielten der italienische Trompeter Enrico Rava und amerikanische Pianist Ran Blake eine Duo-Session live im Südbahnhof Frankfurt ein, die lange Zeit vergriffen war und jetzt wieder erhältlich ist, wenn auch nur mit der originalen Laufzeit von 38:13, what a pity: „Duo en Noir“ nannten sich die zehn Stücke, die mehr oder weniger alle einen Bezug zum film noir hatten, vor allem zu Hitchcock – „Vertigo/Laura“ – oder zu Robert Siodmak – „The Spiral Staircase“. Enrico Rava, dessen fulminantes „Noir“-Album 1997 erschienen war, hatte schon immer die verschiedenen populären Genres auf dem Schirm. Er operiert seit langem mit Comic-Bezügen und mit Anklängen an die Musikfärbungen, die Miles Davis mit seiner epochalen „Ascenseur pour l´echafaud“-Filmmusik bis heute als den sound of crime definiert hatte.

Das Spannende an Ravas Zusammenarbeit mit Ran Blake aber ist, dass die musikalischen Wurzeln und Quellen dieses schon fast legendären Pianisten ganz woanders liegen – im third stream, sozusagen, in den manchmal merkwürdigen, manchmal abgedrehten, manchmal einfach nur grandiosen Grenz- und Mischbereichen von improvisierter und komponierter Musik, von E und U, von moderner und idiomatischer Musik. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass sich Rava und Blake über die wunderbare Sängerin Jeanne Lee näher kennengelernt hatten. Schön zu hören ist bei den Duos hier, wie sich Blake mit seinem sperrigen, aber die ganze Jazzgeschichte reflektiert präsent haltenden Klavierspiel an die noir-Atmosphäre von Rava angleicht, ohne sich anzudienen. Ravas virtuoses Spiel dankt diesem Entgegenkommen mit höchsten Niveau und so tasten sich beide bestens voran, als ob sie nie etwas anderes gemacht hätten als zusammen zu musizieren.

„New York Days“, fast zehn Jahre später eingespielt, zeigt Rava weiterhin in seiner noir-Färbung, natürlich ohne jedes Klischee, sondern einfach durch seinen Ton, seine Phrasierung, seinen sehr relaxten Umgang mit Tempo und seinen plötzlich abgefeuerten Staccato-Momenten. Hier wird er von seinem ständigen Piano-Partner Stefano Bollani begleitet; die Hochkaräter Paul Motian am Schlagzeug, Larry Grenadier am Bass und der nicht minder eigenwillige Mark Turner am Tenorsaxophon bilden alle zusammen ein Quintett, das elf musikalische Miniaturen über New York City und die Gestalten der Nacht wie „Count Dracula“ oder „Lady Orlando“ unter einem „Luna Urbana“ erzählt. Der Gestus ist von heiterer Melancholie, nicht von grellen Effekten bestimmt. Die Atmosphäre entspringt keinen Grobreizen, keinen Gimmicks oder Tricks, noch nicht einmal einen Dämpfer braucht Ravas Trompete, um verhalten zu klingen bzw. verhalten zu strahlen, wenn das Paradox erlaubt ist. Vieles ist natürlich modal gehalten, die Kommunikation zwischen den Musikern ist phantastisch und das Niveau auch hier extrem hoch. Die Musik fließt dahin, ihr Puls ist das verbindende Element zwischen den einzelnen Titeln, die, hört man die CD öfters, unwichtig werden und ganz im Rhythmus und im Atem der Produktion aufgehen.

Beide CDs sind, möchte man fast sagen, schwarzer Edelsamt in schwarzen, heißen Nächten.

Thomas Wörtche

Enrico Rava/Ran Blake: Duo En Noir. Between The Lines.

Enrico Rava: New York Days. ECM.

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