Lässiger Groove, textlich stark
– Als der Dramatiker Heiner Müller in einem seiner zahlreichen, kongenialen Gespräche mit Alexander Kluge sein eigenes Wirken kommentieren sollte, stellte er mit leiser Stimme fest, er sei vor allem ein Landvermesser. Auch Peter Hein, Frontmann von „Düsseldorf’s Finest“, den Fehlfarben, beschreibt seine bevorzugte Tätigkeit auf „Bundesagentur“: „[…] der das Land vermisst“. Ronald Klein über das neue Album „Xenophonie“.
Lyrisch steht die Band seit Jahrzehnten für den politischen Kommentar auf hohem Niveau. Der Vereinnahmung mussten sie sich des Öfteren wehren. Als die Band 1980 ihren Albumklassiker „Monarchie & Alltag“ veröffentlichten, wurde die darauf befindliche Hymne „Ein Jahr (es geht voran)“ rasch von der Hausbesetzerszene okkupiert. Noch heute läuft der Track auf der Revolutionären-1.-Mai-Demonstration. Fehlfarben erklärten anfangs noch, dass sie sich weder als klar zu verortende politische Band im eigentlichen Sinne noch als Nachfolger der Ton Steine Scherben sahen. Diese Form der Sperrigkeit schien auch Müller eigentümlich. Als der Dichter am 4. November 1989 im damaligen Ost-Berlin auf einer Kundgebung sprach, erwarteten alle Zuhörer einen Dissidenten-kompatiblen Kommentar, doch statt dessen verlas Müller das Manifest einer unabhängigen Gewerkschaft, um dann zu ergänzen: „Wenn in der nächsten Woche die Regierung zurücktritt, darf auf Demonstrationen getanzt werden.“
Ein ähnlicher Impetus klingt auf der neuen Fehlfarben-Platte „Xenophonie“ durch: Ein lyrischer Tanz zwischen den Stühlen. So erklärt Hein im Song „Lang genug“ vom neuen Album: „Ich muss doch schon lange nicht mehr probieren / die Lage, wie sie ist, zu kommentieren./ Ich hab doch lang genug gelebt vom Kopieren / um jetzt noch den Durchblick zu verlieren.“ Vielleicht können diese Textzeilen als symptomatisch für das neunte Studioalbum verstanden werden. Die Düsseldorfer verstehen sich zwar schon lange als eigenständig und fernab der Szeneeinbindung, weil sie für Konventionen zu schlau, aber auch noch immer noch zu punkig sind. So enthält der Song „Bundesagentur“ die Selbstbeschreibung: „Anarchist“. Daher wehrten sich Fehlfarben, als die damalige Plattenfirma den Song „Ein Jahr“ 1982 noch einmal als Single auskoppelte, um auf den erfolgreichen Neue-Deutsche-Welle-Zug aufzuspringen. Fehlfarben hätten das Interesse an ihrem Wirken kommerziell ausschlachten können, doch Peter Hein weigerte sich, seinen Job bei Xerox, einem Hersteller für Kopierer, hinzuwerfen. Nichtsdestotrotz von der jungen Generation von Punks als „Kunstwichser“ beschimpft, zog sich der damals 24-Jährige aus der Szene zurück und gründete mit Family 5 eine Band, deren Stil sich eher durch Funk auszeichnete.
Wenn auch der Funk auf „Xenophonie“ nicht vordergründig durchklingt, so zieht sich ein lässiger Groove wie ein roter Faden durch die Songs. Textlich dominieren intelligente Wortspiele, derer sich auch nach mehreren Durchläufen immer neue finden lassen. Den Ideologien hingegen haben Fehlfarben über Jahrzehnte eine klare Absage erteilt. Das glauben überlassen sie anderen und staunen über die Konjunktur der Religionen und Ideologien in „Glauberei“: „Von allen Farben, an die man glauben kann / kommt das Laubige grad am besten an […] Und jeder Farbe Jüngerschar glaubt / Ihre Farbe sei alleine wahr / Ab sofort wird zurückgeglaubt / Werden Glaubensbrücken gebaut / Wer lauter glaubt als erlaubt / dem wird auf das Haupt gehaut“, um zum Schluss die Kurve Richtung gläserner Mensch zu bekommen: „Wer lauter glaubt als erlaubt / dem wird ins Hirn geschaut“.
Fehlfarben in diesen Tagen ins Gehirn zu schauen liefert Assoziationen und neue Fragen statt klarer Antworten. Textlich ist „Xenophonie“ seit dem Meilenstein „Monarchie & Alltag“ mit Sicherheit die stärkste Platte, aber auch musikalisch klang die Band schon lange nicht mehr so lässig und weise. Moses Schneider produzierte die elf Tracks in den legendären Berliner Hansastudios, in denen bereits Depeche Mode, U2 und Falco ihre Inspirationen klanglich umsetzten. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Düsseldorfer mit „Herbstwind“ ein Äquivalent zu „Riders‘ on the Storm“ der Doors kreieren. Mindestens so hypnotisch wie die gesamte Platte: ein großer Wurf.
Ronald Klein
Fehlfarben: Xenophonie. Tapete Records. Zur Homepage.