Geschrieben am 5. Oktober 2011 von für Musikmag

Feist: Metals

Stilles, unbehandeltes Erz steht Pate für Feists viertes Studioalbum „Metals“. Die Kost auf der Scheibe ist aber nicht so schwer wie der Titel. Unsere Autorin Janine Andert freut sich über entspannte Lebensansichten mit philosophischem Tiefgang.

Feist: MetalsLebensansichten mit Tiefgang

Puh! Mit extrem hohen Erwartungen fieberte ich dem neuen Album von Feist entgegen. Ende Juli gab es die Ankündigung des Covers auf Facebook. Die Seite der Künstlerin rief zu einem Wettbewerb der besonderen Art auf – Malen nach Zahlen.

Fand ich schick. Meinetwegen hätte das so bleiben können. Die Idee des noch im Werden befindlichen Albumcovers, mehr Spielraum für die Fantasie – hoch ambitioniert pinselte ich drauf los. Erstens wollte ich wissen, was da rauskommt, wenn alles ausgemalt ist, und zweitens, hey, MEIN Bild auf der Feist-Seite – Yeah! Bitte! Unbedingt! Nun ja, gute zwei Stunden und gerade einmal gefühlte vier ausgemalte Flächen später gab ich auf. Das ist echt nur was für Leute mit extremer Langeweile. Also hab’ ich lieber auf das Fertigprodukt gewartet, das entkrampfte Lebensansichten mit Tiefgang verspricht.

Feist - DIY-Cover

Malen nach Zahlen mit Feist.

Ackerbau und Musikbusiness – glaubt man Leslie Feist, liegt beiden dasselbe Prinzip zugrunde. Der Boden braucht Pausen und muss manchmal einfach nur in der Sonne liegen, austrocknen, nass werden, ruhen und dann kann die fruchtbare Phase von Neuem beginnen. Vier Jahre nach ihrem Erfolgsalbum „The Reminder“ meldet sich die Kanadierin mit „Metals“ zurück. So entspannt wie sie über die Notwendigkeit einer erholsamen Pause vom Rampenlicht erzählt, hört sich auch ihr viertes Studioalbum an.

Feist hat sich schon lange aus dem Schatten der kanadischen Musikszene um Broken Social Scene und Gonzales ganz nach vorn auf den Pop-Olymp gespielt. Nicht ganz unschuldig an diesem verdienten Erfolg ist ihr Song „1, 2, 3, 4“, mit dem Apple vor ein paar Jahren eine weltweite Werbekampagne unterlegte. In diesem Zuge brachte Leslie den Figuren der Sesamstraße auch das Zählen bei – das unbestritten beste Lied, das diese Kinderserie je hervorbrachte. Und es waren schon einige Burner dabei.

Im vergangenen Jahr zog sich Feist endlich für drei Monate in eine kleine Garage hinter ihrem Haus zurück, um dort mit der Arbeit an „Metals“ zu beginnen. Im Januar 2011 gesellten sich die langjährigen Weggefährten Chilly Gonzales und Mocky hinzu, um mit ihr in Toronto an neuen Songs zu arbeiten. Neu mit im Boot ist Valgeir Sigurdsson (Bonnie „Prince“ Billy, Kate Nash, Björk) als Produzent. Von Toronto aus ging es in die sonnigen Küstenregionen von Big Sur, Kalifornien. Ein bewusst gewählter Ort, der sich von Feists gewohnter Umgebung und ihrem Alltag streng abhebt. Inspiration durch das Neue, das Unbekannte. Sie selbst sagt über Big Sur, „dass es ein Ort ist, der sich noch vollkommen unentdeckt anfühlt, obwohl er schon in so vielen Büchern auftaucht. Steinbeck hat gewissermaßen 1000 Alben dort aufgenommen, Henry Miller und Anais Nin haben wahrscheinlich exakt diese Trennlinie zwischen Land und Meer betrachtet. Und obendrein haben wir dort den perfekten Raum gefunden, um darin ein Studio einzurichten – ganz oben auf der Klippe. Ein gewaltiger Raum, der vollkommen leer war.“

Das hört sich wildromantisch an. Die zwölf Tracks zeugen jedoch von einer geerdeten Ruhe, die sich meist erst im Alterswerk ganz großer Musiker finden lässt. Entgegen aller Erwartungen liefert Leslie keine Weiterentwicklung auf dem Sektor massenkompatibler Frühstücksradiomusik ab, sondern baut die melancholische Pop-Attitüde auf eingängige Art und Weise aus. Bläser-, Streicher- und Perkussionsarrangements vereinen sich harmonisch mit ihrem Gesang. Schon der Einstieg „The Bad In Each Other“ wächst ob seiner Vielschichtigkeit mit jedem Hören. Das Orchester nimmt sich derart zurück, dass dem besungenen Beziehungsbild noch Luft zum Atmen bleibt – Chamberpop mit mehr Pop als Chamber und Feists unverwechselbaren charmanten Stimme. „Graveyard“ erinnert besonders zu Beginn entfernt an Kristin Hersh, was die musikalische Bandbreite zum Singer-Songwritertum eröffnet. Und das macht die Größe von Feist aus: Der Song wächst allmählich zu einem Chor an. Das ist unvorhersehbar, ohne mit Überraschungsmomenten spielen zu wollen. All dies ist so entspannt und breitgefächert, dass sich dieser Tenor auf den Hörer überträgt.

Roter Faden

„A Commotion“ bricht aufgrund der drängenden männlichen Einrufe aus dem bisherigen Fluss aus und verweist gleichzeitig auf den roten Faden des Albums: Gruppengesänge. Die sind von Kate Bush her vertraut. Überhaupt hat „Metals“ irgendwie einen Kate-Bush-Appeal. Allerdings nur hintergründig, sodass man sagen kann, wer die Musik der einen mag, dem gefällt auch die der anderen.

Die Texte drehen sich um Wahrheiten, Veränderungen und Zeit. Feist sieht sich als Beobachterin, die allgemeine Betrachtungen über die Welt in Musik ausdrückt. Ihre Erkenntnis ist, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt, sondern nur temporäre, die einer Wandlung unterliegen können. „Die Zeit bleibt nun mal nicht stehen, sie packt einen, reißt einen mit und macht einen anderen Menschen aus dir. So entstehen neue Routinen und Muster“, sagt sie. Das ist philosophisch, ohne belehrend oder aufdringlich zu sein. Verpackt sind diese Gedanken in zeitlose Melodien, die immer wieder mit Reibungspunkten aufwarten.

„Metals“ ist ein fantastisches Album, das nicht an die Hitqualitäten des Vorgängers anknüpft. Feist wiederholt sich nicht, grenzt sich aber auch nicht ab. Eher ist eine konstante Entwicklung zu hören, die als perfekter Soundtrack für den Abend mit einem guten (!) Buch dient.

Janine Andert

Feist: Metals. Polydor (Universal). Zu Homepage, Facebook und Albumstream.

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