Geschrieben am 4. Dezember 2013 von für Musikmag

„Higher“ von Sly and the Family Stone im Expertentalk

slyandthefamilystone_higherDer Cross-Culture-Cocktail als die Geburt des Funk

– Waldorf & Statler alias Fliegl & Mohr haben sich dieses Mal „Higher!“ angehört – ein Best-of-Album der wegweisenden, schillernden Funktruppe Sly and the Family Stone, allerdings das Einzel-CD-Extrakt und nicht das vier CDs bzw. Langspielplatten umfassende Boxset. Es scheint, als solle Slys Musik auf jeden Fall unter die Leute; wer sich das luxuriöse dicke Paket nicht leisten kann oder will, soll wenigstens beim schmaleren Format zugreifen, das zudem verspricht, „the best of the best“ zu präsentieren.

Mr. Fliegl:

Ich stelle hier also die Frage: warum sind Sly and the Family Stone so eine absolut trendsetzende Band gewesen? Und erlaube mir stante pede zu antworten: Zu einer noch immer vom alltäglichen Rassismus geprägten Dekade, der Hochzeit der US-Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King, entzündete diese Band durch ihren feurigen Cross-Culture-Cocktail die Geburt des Funk, einer bis dato neuen faszinierenden Musikrichtung, welche durch ihre absolut tanzbare, mitreißende, farbenprächtige Bühnenperformance Rassengrenzen förmlich & akustisch zu Fall brachte. Selbst in der sonst so vermeintlich weltoffenen Middle-Class-Hippiebewegung gab es nichts Vergleichbares, was ihre Präsenz bei allen wichtigen Festivals der späten 60er und frühen 70er belegt, unvergessen ihr Auftritt in Woodstock und bei Europas Gegenstück, der Isle of Wight ’70, folgerichtig sind auch zwei Live-Mitschnitte auf der Scheibe zu finden. Deren zwar grottiger Sound kaschiert trotzdem nicht den Groove und den Spaß, den Sly und seine steinernen Brüder und Schwestern bimssteinleicht rüberjammen, daher gibt’s hierfür von mir schon mal vorab die 5!

Überhaupt höre ich aus der Songzusammenstellung zig mir sehr bekannte Fragmente raus, vom Frere-Jacques-Refrain in „Underdog“, den loop-artigen, seltsam modernen Bläser-Sections, dem vertraut klingenden namenlosen Kinderlied in „Everyday People“, dem Band-Of-Gypsies-Basslauf in „Sing A Simple Song“, tja – nun weiß ich auch, welch‘ Quell den Lenny Kravitzschen Retro-Sound speist. Als Opener fungiert auf „Higher!“ das aus dem Woodstock-Medley bekannte „Dance To The Music“ in seiner leider sehr kurzen Singleversion, es wechseln sich Up-Tempo-Nummern wie „M’Lady“ mit Gospels & Souligem ab, gewürzt mit der kuriosen Mickey-Mouse-Scat-Nummer „Small Fries“ der French Fries, dies alles liefert einen Querschnitt für Jedermann und -frau als Einstiegsdroge in die Welt von Sly and the Family Stone.

Da wienern die stampfenden Plateauschuhe das Parkett und die Bad-Afro-Frisur hüpft im bunten Irrlicht über die imaginäre Tanzfläche, und ewig haut der irrsinnige Larry Graham seine verrückten Bass-Licks den Leuten aufs Zwerchfell, dass einem schier die Puste ausgeht. Gemeinheiten hat die Geschichte leider auch parat: Sly Stone konnte aus seinem stilprägenden musikalischen Wirken keine nachhaltige Rente erwirtschaften und verlebt seinen Lebensabend in Mittellosigkeit.

Daher, ihr lieben Leute: kauft seine Scheiben oder fahrt ihn wenigstens zuhause besuchen und ladet ihn mal zum Mittagessen ein.

Mrs. Mohr:

Diesem Lobgesang kann ich kaum noch etwas hinzufügen, außer vielleicht die Erinnerung an meine allererste Begegnung mit Sly Stone und seiner wundervollen Combo: als Pre-Teen durfte ich jeden Sonntag mit meiner besten Freundin in die Nachmittagsvorstellung unseres Kleinstadtkinos. Irgendwann lief der „Woodstock“-Film und wir zwei Zwölfjährigen folgten ein wenig ratlos dem Treiben der Hippies und FolkbardInnen, bis – Sly and the Family Stone kamen und endlich Farbe, Glam und Funkyness auf die Leinwand brachten. Ich war begeistert, verlor aber in den außerhalb des Kinosaals herrschenden Punkwirren die Funkpioniere aus San Francisco aus den Augen, Ohren und aus dem Sinn. Wenn man in den frühen 1980er-Jahren black music hörte, dann Rick James, Kurtis Blow oder Grandmaster Flash, Sly war damals ziemlich vergessen. Wie das so ist mit Pionieren, Vorreitern, Avantgardisten: alle möglichen Leute berufen sich auf einen, the real shit hat aber kaum jemand gehört.

Ich selbst horchte auch erst viel später wieder auf, als Arrested Developments Coverversion von „Everyday People“ im Radio rauf und runter lief… das Stück kannte ich doch von irgendwo und irgendwem? Ich begann, alte Sly-Platten zu hören und der crazy Groove packte mich – wie damals im Alsfelder Kino. Bis heute beeindrucken mich diese absolut positiven Vibes, die von Sly und seiner vielfach changierenden, ever changing Band ausgingen; auch bei schwierigen, sozialkritischen Themen in Songs wie „Stand!“ oder „Underdog“. Protest und Aufbegehren fand bei Sly Stone eben nicht mit Klampfe und im Sackgewand statt, sondern in vollem Glitzerornat und mit jubilierenden Orgeln, druckvollem Bass und Mördergroove. Zur Nachahmung unbedingt und jederzeit empfohlen!

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass auch ich bisher nur sehr wenig dafür getan habe, dass Sylvester Stewart alias Sly Stone ein würdiges Auskommen im Alter hat: „Higher!“ ist mein erstes eigenes Family Stone-Album, das nicht auf Cassette kopiert oder CD gebrannt wurde… sorry, Mr. Stone, ich hoffe natürlich inbrünstig, dass spätestens jetzt ein bisschen Kohle rüberkommt!

YOU CAN MAKE IT IF YOU TRY!

Sly and the Family Stone, Higher! Sony Music. Zur Homepage.

Tags :