„Die moderne Demokratie ist eine Erfindung indianischer Frauen“
– Die New Yorkerin Phoebe Legere arbeitet als Malerin, Dichterin und Komponistin. Rosa von Praunheim lud sie anlässlich seines 70. Geburtstages nach Deutschland ein, wo sie im Berliner BKA-Theater am 22. November zum ersten Mal auf einer deutschen Bühne stand. Ronald Klein hat mit ihr gesprochen.
Phoebe, erst einmal herzlichen Dank für die Möglichkeit des Interviews!
Die Freude ist ganz meinerseits! Vielen Dank. Ich freue mich sehr, in Berlin zu sein!
Sie lernen derzeit Deutsch. Woher stammt die Motivation?
Ich war sofort vom Klang der deutschen Sprache fasziniert, als ich sie zum ersten Mal gehört habe. Das war, als Rosa von Praunheim mit seinem Kameramann sprach. Sie hört sich bisschen wie die englische Sprache in ihren Kinderschuhen an. Ein schönes, nacktes Baby. Süß und unschuldig! Die deutsche und amerikanische Sprache sind wie Bruder und Schwester: Sie stammen aus derselben Familie, Kinder der großen Mutter. Und wer ist diese gemeinsame Mutter? Friesisch! Ja! 40 % unseres englischen Wortschatzes stammt aus dem Friesischen. Und, wie jeder weiß, haben die Menschen den Klang der menschlichen Sprache entwickelt, indem sie den Klang von Tieren imitierten.
Wenn Deutsch und Englisch aus dem Friesischen stammen, wenn man sorgfältig hinhört… dann kann man den Klang von Rentieren hören, die wegen der Situation an der Börse laut schnauben! Man könnte sich nun fragen: Wenn Englisch und Deutsch so eng miteinander verwandt sind, warum hört sich Englisch dann so anders an? Warum spricht man dann nicht einfach Deutsch? Wäre das nicht für alle einfacher?
Die Antwort lautet, dass Englisch zu 30 % aus Französisch besteht. Dies ist eine Konsequenz der Invasion von England durch die Normannen im Jahr 1066. Die französische herrschende Klasse hat Anglonormannisch eingeführt, ein nördlicher Dialekt des Altfranzösisch. Als die Sprache der Macht – und natürlich wollte jeder diese Sprache sprechen.
Rosa von Praunheim hat Sie zu seinem 70. Geburtstag eingeladen. Was verbindet Sie mit Rosa von Praunheim?
Rosa und ich sind wie zwei Schwestern. Wie Gertrude Stein so schön sagte: “When I meet a genius a bell goes off in my head.” Rosa und ich haben uns sofort verstanden. Wir wurden einander vom Freund meines großartigen Freundes und Lehrers vorgestellt, dem überragenden Filmregisseur Jack Smith.
Rosa ist ein entzückendes Genie. Er rief mich eines Tages an und sagte, dass er einen Film über Kannibalismus machen möchte. „Kann ich dich filmen und dabei das Thema improvisieren? Meine Antwort war: „Na klar!” Ich sah dies als Gelegenheit, ein Statement abzugeben über die Wichtigkeit, ein Vegetarier zu sein.
Ich hätte nie gedacht, dass dieser improvisierte Film – ohne Kostüme, Set oder Budget samt der aus nur einer Person bestehenden Crew – eine Sensation auf YouTube werden würde, mit mehr als 3 Millionen Klicks! Ich hatte einfach nur Spaß. Der Titel ist von mir improvisiert – eine Hommage an meine Freundin in Berlin – Ich nannte ihn „Germans taste the best“. Ich habe auch den Anfangssong namens „Love You So Much I Could Eat You“ improvisiert.
Als ich dieses Jahr in Mexiko auftrat, erhielt ich einen Anruf von Rosa. Er wollte mich in seinem neuen Film „New York Sisters“. Ich habe ihn nicht gefragt, worum es ging, denn ich wusste, alles würde sich auf sagenhafte Weise ergeben. Aufgrund meines vollen Terminkalenders hab ich es nicht zu den ersten beiden Tagen des Shootings geschafft. Als ich ankam, hatte die Story schon Form angenommen. Rosa ist genial. Er versteht, dass Phantasie Realität ist. Er reitet auf dem Puls des kreativen Moments und seiner Transmission und gibt sich diesem ganz und gar hin. Ich habe zum Film zwei Songs beigetragen. „(Sistergirl!)I Hate 2C What U R Doin 2 Urself!“ – ein Rapsong – und einen 10.000 Jahre alten indianischen Heilgesang: „Creation Hymn“. Beide sind auf meinem neuen Album „East Village/East Berlin“. Das neue Album kommt diese Woche auf iTunes heraus.
Die erste Single ist ein Dance Song: „Sweet Bitch“. Ich habe diesen Song selber geschrieben und produziert und beim Video Regie geführt. Man kann sich das Video auf meinem YouTube-Kanal anschauen.
Grade habe ich „New York Sisters“ zusammen mit Rosa in seinem Appartment angeschaut und von A bis Z genossen! Ein ausgesprochen schöner Film.
Sie haben mehrere Musicals geschrieben. „The Queen of New England“ beispielsweise beinhaltet ein sehr ernstes Thema, den Genozid an den Native Americans. In Europa ist das Musical für heitere Themen besetzt…
Die englischen Puritaner folterten und töteten die Indianer von Neuengland. Sie machten sie zu Sklaven, verkauften sie an Zuckerplantagen. 1666 gab es 20.000 Indianer in Massachusetts, und 1676 waren es noch 400. Nur Musik kann die unsägliche Brutalität der Menschen thematisieren, ihre Angriffslust, ihren Machthunger. Es ist die Grausamkeit des Egos auf niedrigster Ebene. Dieses Musical handelt von einem großartigen weiblichen Häuptling, von der ich abstamme. Sie erschien mir in meinen Träumen und bat mich, ihre Geschichte zu erzählen. Der Holocaust an den Indianern findet in den amerikanischen Schulbüchern für Geschichte nicht statt.
So wie sich die Europäer über das Sprechtheater definieren (man denke an Lessings Idee eines Nationaltheaters), funktioniert das in Amerika über das Musical?
Ich habe das große Glück, dass es zwei gemeinnützige Gruppen gibt, die meine Stücke regelmäßig aufführen: Das Theater for the New City produziert und performt hochpolitische Arbeit. Sie haben „Hello Mrs. President“, ein Stück über die erste schwarze Präsidentin der Vereinigten Staaten, aufgeführt. Mit Roulette Intermedium in Brooklyn bin ich auch eng verbunden. Sie haben mein Musical „The Queen of New England“ produziert. Roulette ist zudem auch meine Plattenfirma: Einstein Records. Sie sind Spezialisten für Avantgarde/experimentelles Arbeiten. Einer meiner Songs, der live in Roulette aufgeführt wurde, ist auf meiner neuen CD „East Village/Berlin“ zu finden. Der Song ist komplett improvisiert und voller ausgedehnter Stimmtechniken und freier Tonalität. Er heißt „Ein Supersexy Toller Tag“.
Sie erwähnen Lessing! Wie cool! Ja, ich bin abhängig von dauerhaften, persönlichen Beziehungen mit New Yorker Theaterkompanien! In meiner Arbeit geht es voll und ganz um Freiheit und religiöse Toleranz, Freundschaft und Kommunikation! Lessing sagte zudem “Truth is never solid or something which can be owned by someone but is always a process of approaching.” Und das ist eine Idee, mit der man den künstlerischen Prozess der Improvisation verstehen kann… in meiner Arbeit und in der Arbeit von Rosa von Praunheim.
Erst in kürzester Zeit hat die Geschichtsschreibung den Einfluss der Native Americans auf die amerikanische resp. westliche Demokratie erforscht. Benjamin Franklin und George Washington erkannten bereitwillig, was sie den Indianern schuldig sind. Alte indianische Frauen erfanden die Demokratie, und zwar im Jahr 1000: Die Frauen des Stammes hatten die Nase voll von der Brutalität des Krieges – der Kannibalismus und andere Gräueltaten beinhaltete.
Die Frauen schufen eine Verfassung und ein System des Friedens, wo die Frauen männliche Stammesführer wählten, die aber die Mehrheit der älteren Frauen brauchten, bevor sie irgendeine wichtige Regierungsentscheidung treffen durften. Der Ältestenrat der Frauen hatte eine Verfassung namens Großes Gesetz des Friedens, die aus einer Bildsprache bestand unter Verwendung von Wampum, einer Art Muschelschmuck. Die ursprüngliche US-Verfassung hingegen verweigert den Frauen Gleichheit. Mehrheit ist entscheidender als Konsens. Übrigens, was auch interessant ist: Frauen und Menschen aus Lateinamerika (in der Hauptsache von südamerikanischer Herkunft) trugen maßgeblich zu Obamas Wiederwahl bei.
Robert Pirsig schrieb in „Lila“ (1991) bereits über demokratische Strukturen bei den Indianern, er ist ohnehin eine faszinierende Persönlichkeit. Auf gewisse Weise erinnert seine Arbeit an Nietzsches „Umwertung der Werte”, ebenso sehr wie es auch eine Art Nu American Zen ist.
„Sweet Bitch“, mein neuer elektronischer Dance-Track, ist meine Kritik an amerikanischer dance music und ihrer geradezu sklavischen Vergötterung von Maschinen und Vulgarität. Ich habe die gesamte Musik selber gespielt und auf meinem Laptop produziert. Der Track entstand in der Nacht des Hurrikans. Der Wind heulte mit 70 Meilen pro Stunde und meine Freunde drängten: „Get out! Get out! Mach dass du aus deinem Studio raus kommst!” Aber unsere Computer halten uns wie Haustiere, und mein Computer fütterte mich… und fütterte mich… Ich spielte die Klavierimprovisation, die man am Ende von „Sweet Bitch“ hört, als die Lichter ausgingen. Wenn ich Musik spiele, dann bin ich in einer anderen Welt, in einer andere Dimension. Ich dachte „Jetzt hab ich’s wirklich geschafft. Ich hab mich zu Tode gespielt.” Aber dann merkte ich, ich war nicht tot… Das gesamte East Village war dunkel! Ich zündete also eine Kerze an, öffnete ein Bier und hab weiter auf Papier komponiert, auf die altmodische Art und Weise.
In Deutschland erleben wir gerade das Phänomen, dass einige erfolgreiche Popstars konservativer erscheinen als die konservativen Parteien.
Ich bin eine politisch engagierte Künstlerin. Ich glaube an zivilen Ungehorsam, sexuelle Ausdrucksfreiheit, und mein Leben ist ein offenes Buch. Wir werden ständig von der Regierung beobachtet und kontrolliert, wie alle US-Bürger, als Schutz gegen Terrorismus. Ich akzeptiere das. Was mich ankotzt, ist die Art und Weise, wie mittelmäßige amerikanische Corporate Artists mich auf Facebook, YouTube und Twitter beobachten und ständig meine Ideen stehlen.
Interview Ronald Klein
Übersetzung: Ann-Kathrin Meinhardt (Dipl.-Übers./MA)
Zu Phoebe Legeres neuem Album „East Village/East Berlin“ auf iTunes.