Geschrieben am 8. August 2012 von für Musikmag

Interview mit Photek

DJ PhotekFrüher war alles nur Rave

– Dunkles Bassgrollen und zerfahrene Melodiefetzen: Der Umgang des englischen Musikers mit Drum’n’Bass revolutionierte vor 20 Jahren die Szene. Photek legte den Fokus nicht allein auf Tanzbarkeit und Clubtauglichkeit, sondern näherte sich dem Klang respektvoll. Die EP „The Hidden Camera“ (1996) sorgte selbst in anspruchsvollen Jazzkreisen für euphorische Anerkennung. In den letzten Jahren trat der 40-Jährige vor allem als Remixer in Erscheinung. Soeben erschien ein von ihm kompiliertes Album im Rahmen der „DJ-Kicks“ auf dem Berliner Plattenlabel K7: Ein hermetischer Klangkosmos, der Drum’n’Bass in die heutige Zeit überführt. Nach langer Zeit legte er im Kreuzberger Club Gretchen mal wieder auf. Ronald Klein sprach mit ihm über die Tradition der Mix-Tapes, Verständigungsprobleme als Engländer in Kalifornien und erhielt zu guter Letzt noch Buch-Tipps.

Letztes Jahr erwähntest Du, dass für Mitte 2012 ein neues Album geplant sei. Dachtest Du zu dem Zeitpunkt an „DJ-Kicks“ oder erscheint noch eine weitere Platte?

O ja! Ich mixe es, sobald ich zurück in L.A. bin. Somit sollte es Mitte Oktober erscheinen. Mal wieder etwas später als geplant.

Photek: DJ KicksIch nehme an, die „DJ-Kicks“-Kompilation ließ sich auch nicht von einem Tag auf den anderen bewerkstelligen. Hast Du Dich im Vorfeld viel mit der Reihe beschäftigt?

Ja, durchaus. Ich habe die Serie sehr ausführlich gehört, bevor ich mit meiner eigenen Arbeit begann. Meine Favoriten stammen von Motor City Drum Ensemble und Apparat. Es gibt noch einige weitere aktuelle DJ-Kicks-Scheiben, die mir ausgezeichnet gefallen.

Die ursprüngliche Idee der Serie ist, Musik zu mixen, die sowohl in den Clubs als auch zu Hause funktioniert. Dein Mix geriet sehr episch und dunkel, folgt gleichzeitig einer nachvollziehbaren Dramaturgie. Wird da der Einfluss der Filmmusik deutlich, für die Du Dich seit Jahren verantwortlich zeigst?

Vielleicht unbewusst. Ich meine, meine Musik war schon immer tendenziell düster. Worum es mir bei der Compilation ging, war etwas zusammenzustellen, das wie zu den guten Zeiten des Mix-Tapes funktioniert. Das von vorne bis hinten mit Spannung gehört wird. Ähnlich war ja auch das DJ-Set zuletzt im Berliner Club Gretchen eine Reise durch verschiedene Stile und Zeiten. Von Drum’n’Bass bis Techno. Diese zeitlose Komponente schwebte mir auch bei der CD vor.

Du hast sehr oft im Berliner Drum’n’Bass-Club Icon gespielt, der Ende letzten Jahres schließen musste. Ein weiteres Opfer der Gentrifizierung.

Das ist echt irre. Ich legte damals bei der Eröffnung auf. Ich erinnere mich, wie damals der Putz und Staub von der Decke rieselte. Der Club hatte kaum eröffnet, aber man spürte sofort, dass hier etwas Magisches entstand. Schließlich wurde der Name Programm. Der Keller galt unter den DJs als Ikone unter den Clubs.

Das Gentrifizierungs-Problem ist Dir aus London bekannt. Wie sieht es denn in Los Angeles aus?

Schlimm! Dort passiert es zeitgleich in mehreren Ecken. Besonders Silver Lake und Downtown sind davon betroffen. Es ist eine merkwürdige Situation. Die Preise für Wohnraum sind wahnsinnig aufgeblasen, aber bei den miesen Einkommen kann sich keiner einen Kredit oder eine Hypothek leisten.

Wie sieht denn die dortige IDM-Szene aus?

Ach, die gibt es noch gar nicht. Es ist ein bisschen so wie in Europa vor 15 bis 20 Jahren. Es gibt in der elektronischen Musik so eine gewisse Goldgräberstimmung, von der aber nur eine Handvoll DJs profitieren. Vielleicht ist es vergleichbar mit einer evolutionären Phase. Die Frühzeit muss überwunden werden, bevor etwas wirklich Kreatives passiert.

Du giltst ja in Europa hinsichtlich dessen als Vorreiter, besonders was Deine Rolle im Drum’n’Bass betrifft.

Ja, danke. Damals hieß es noch Hardcore, ich glaube, daran erinnert sich keiner mehr. Für uns war es alles nur Rave Music. Drum’n’Bass war dann der Versuch der Abgrenzung vom Jungle, bei dem der MC eine große Rolle spielt. Letztlich basiert beides aber auf Hip-Hop-Rhythmen. Früher habe ich viel Hip-Hop gehört.

Wir hätten jetzt die Gelegenheit Off-Topic zu gehen.

Warum werden DJs nie gefragt, was sie lesen?

Was liest Du denn zurzeit?

Oh, ich habe ein völlig neues Themenfeld für mich erschlossen. Ich verschlinge alles, was ich zur Neurobiologie finden kann. Von Oliver Sacks gibt es ein spannendes Buch, das heißt „Musicophilia“ (der deutsche Titel lautet „Der einarmige Pianist. Über die Musik und das Gehirn“, Anm. v. RK). Außerdem kann ich von Malcolm Gladwell „Blink“ empfehlen.

Dann ist es Zeit, Dir guten Flug zurück nach L.A. zu wünschen. Hast Du Dich denn in Kalifornien assimiliert?

Aber ja! Mit meinem englischen Akzent verstand mich dort ja kein Mensch. Den habe ich inzwischen abgelegt. Dafür halten mich jetzt alle für einen Australier. Naja, ich arbeite an der richtigen Aussprache.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ronald Klein

Aktuelles Album: DJ Kicks. !K7. Zur Homepage des Musikers.

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