Geschrieben am 24. November 2010 von für Musikmag

Kolumne: It still takes two

Die musikalische Zweierkiste geht in die nächste Runde. Dieses Mal sehr international: Christina Mohr hört zwei Japaner in Bayern, zwei Japanerinnen out of space, zwei Briten, ein französisch-amerikanisches Paar, ein schwedisches Ehepaar und liest ein Buch über glückliche und unglückliche Beziehungen, mehr oder weniger…

Freundlicher Seitenhieb

Ein Konzept wie Coconami könnte auch ganz schön in die Hose gehen: zwei Japaner in München entdecken Volksmusik und spielen auf der Ukulele. Klingt zunächst gefährlich nach Takeo Ischi, dem jodelnden Japaner in Lederhosen, plus ein bisschen Pizzicato Five. Dem ist aber mitnichten so, der gelernte Bäcker Miyaji und Musikpädagogin Nami nähern sich dem Fremden (deutscher bzw. bayerischer Volksmusik) vorbehaltlos und ohne jede schrille Niedlichkeit – abgesehen von den entzückenden Marzipanfiguren, die Miyaji für das Cover angefertigt hat. Ihr zweites Album „Ensoku“ ist nicht nur dem Titel nach eine Reise (Ensoku heißt auf japanisch Reise), auch musikalisch unternehmen Coconami fünfzehn Ausflüge, die klarmachen, dass die Welt doch recht klein ist. Urbayerische Landler, Polka, Pop und Rock, fernöstliche Harmonik, Instrumente wie Ukulele, Blockflöte, Tuba, Kalimba, deutsche und japanische Texte verschmelzen auf „Ensoku“ zu einem zauberhaften, selbstverständlichen Ganzen. Das Münchner Original Ferdl Schuster intoniert die „Kaiserbirne“, Nami singt japanische Weisen, allerdings mit einem Fragezeichen dahinter: ist es wirklich japanisch, was sie uns, den Unkundigen, vorträgt? Oder ein freundlicher Seitenhieb in Richtung „Leitkultur“ und Integrationsdebatte (und an dieser Stelle kein Wort mehr! Und schon gar keine Nennung von Namen, die uns viel zu oft in der Presse belästigen)? „Boarischer in C“ und die rasante „Stern Polka“ folgen auf das Tilman Rossmy/Lassie Singers-Cover „Loswerden“, die Leiber-Stoller-Komposition „Three Cool Cats“ erfährt dank Namis jazztauglicher Stimme neue chansoneske Weihen. „Ensoku“ ist ein ganz großes Geschenk, das wir dankbar entgegen nehmen sollten – und dabei natürlich nicht vor Ehrfurcht erstarren, sondern beherzt den Nachbarn unterhaken und lospolken! Ach, beinhahe hätten wir die große Überraschung am Schluss des Albums unterschlagen: Coconami befreien „Sweet Child O’Mine“ von aller hardrockigen Verschwitztheit. Ohne Miyaji und Nami hätten wir nie begriffen, dass Axl Rose zumindest ein schönes Lied geschrieben hat.

Coconami: Ensoku. Trikont (Indigo).
www.myspace.com/coconami

Heatley: Das Mädchen aus dem SongDie Geschichte zu „Sweet Child O’Mine“ und vielen anderen Popsongs, die einem schönen, unerreichbaren, langweiligen, rätselhaften oder verruchten Mädchen gewidmet sind, kann man in dem rundum empfehlenswerten Buch „Das Mädchen aus dem Song“ nachlesen. Der britische Musikhistoriker Michael Heatley schreibt hier, wer Rod Stewarts „Maggie May“ und The Knacks „Sharona“ waren, alles Wissenswerte über Patti Boyd und ihre sexy Schwestern, über die Beziehung von Bob Dylan und Joan Baez und viele tolle Stories mehr. Im Grunde ein Duo-Buch, weil es ja meistens um mehr oder weniger glückliche Paare geht, aber – sonst müsste man ja keine Songs darüber schreiben – die Geschichten gehen nicht immer glücklich aus. Lesetipp für lange Winterabende!

Michael Heatley: Das Mädchen aus dem Song. Übersetzt von Madeleine Lampe und Thorsten Wortmann. Schwarzkopf & Schwarzkopf. 248 Seiten.

Wildbirds & Peacedrum: RiversImprovisationscharakter

Zurück zur Musik: ‚Musiziere lieber ungewöhnlich‘ könnte auch die Devise des schwedischen Duos Wildbirds & Peacedrums lauten. Mariam Wallentin und ihr Ehemann Andreas Werliin arbeiten nur mit Stimme und Percussion. Diese so einfache wie radikale Vorgehensweise begeisterte schon Björk, die ein großer Fan der beiden ist; Bands wie Deerhoof, Efterklang und Bonnie „Prince“ Billy nahmen Wildbirds & Peacedrums als Supportact mit auf Tour. Mariam und Andreas lernten sich an der Göteborger Universität kennen, wo sie musikalische Improvisation studierten – den Improvisationscharakter tragen ihre minimalistischen Songs noch heute in sich. Jazz und Folk sind die Grundlagen, auf denen Wildbirds & Peacedrums etwas ganz Eigenes schaffen: die Musik des Duos ist einerseits zärtlich, emotional und intim, aber auch wild, experimentell und kühn. Etwas Unbeschreibliches, Ungreifbares schwingt durch das Album „Rivers“, das aus zwei vorab einzeln veröffentlichten EPs besteht. Auf „Retina“ dominieren Mariams klarer, kräftiger Gesang und sphärische Chöre, „Iris“ bezaubert durch Steeldrums, die Andreas‘ Schlagzeug ergänzen. Die Melodien sind einfach, aber betörend, Mariams Sirenengesang kann man sich nicht entziehen. Die Percussion ist mal tribalartig kraftvoll, um dann in ozeanisch anmutenden Wellenbewegungen auszuklingen. „Rivers“ ist dem Wasser gewidmet, die Tracks heißen „The Wave“, „The Drop“, „The Well“, oder „Under Land And Over Sea“. Auch wenn bis hierhin ein anderer Eindruck entstanden sein mag: wir sprechen nicht über das esoterische Projekt zweier abgedrehter Spinner. Wildbirds & Peacedrums mögen mit den Elementen spielen und schwedische Geister beschwören, „Rivers“ ist viel zugänglicher, als man denkt.

Wildbirds & Peacedrums: Rivers. Haldern Pop Recordings (Cargo).
www.wildbirdsandpeacedrums.com
www.myspace.com/wildbirdsandpeacedrums

Ultimate Pet Shop BoysZeitlos

Normalerweise würde die Rezensentin von einem Best-of-Album, das den Begriff „Ultimate“ im Titel trägt, unbedingt abraten. „Ultimate“ klingt nach zähen, lieblosen „Hit“-Kopplungen von Phil Collins, Jennifer Rush oder Joe Cocker. Ein wenig rätselhaft also, weshalb die in Stil- und Geschmacksfragen stets erhabenen Pet Shop Boys diesem Titel ihre Zustimmung gaben oder ihn gar aussuchten. Andererseits trägt dieses CD + DVD-Doppelalbum seinen Titel zu Recht, weil es sich um eine Sammlung handelt, die keine Wünsche offen lässt (nur das Village People-Cover „Go West“ fehlt, aber das kann man ja jedes Wochenende im Fußballstadion hören) – daran, dass man „ultimate“ auch mit „endgültig“ und „letzte/r/s“ übersetzen kann, wollen wir lieber nicht denken. Neil Tennant und Chris Lowe kennen sich seit fast dreißig Jahren, seit 1985 und „West End Girls“ sind sie Weltstars. Die Pet Shop Boys haben über 100 Millionen Platten verkauft, -zig Preise bekommen und den Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ neu vertont – sie hätten sich also schon vor Jahren zur Ruhe setzen und eine „Ultimate“-CD nach der anderen herausbringen können. Und doch sind Tennant und Lowe so aktiv wie eh und je, auf „Ultimate“ befindet sich mit „Together“ sogar ein ganz neuer Song, der erst im Oktober 2010 veröffentlicht wurde. Man darf also mutmaßen, dass sie einfach gerne tun, was sie tun. Die Pet Shop Boys sind das Pop-Duo schlechthin, undenkbar, dass es einen dritten oder vierten Pet Shop Boy geben könnte. Der distinguiert-intellektuelle ehemalige Journalist Neil Tennant (Gesang) und der distanziert wirkende einstige Architekturstudent Chris Lowe (Synthesizer) gehören untrennbar zusammen, und damit meinen wir ausdrücklich nicht eine eventuelle homoerotische private Beziehung. Lowe und Tennant holen aus der minimalistischen Zweierbesetzung das Maximum, das Ultimative heraus: ihre Songs sind oft pompös, aber nie überladen. Die Melodien sind einfach, eingängig (ist das nicht das Schwerste im Pop?) und einzigartig. Tennant und Lowe sind glamourös und comichaft zugleich – das ist ihre Kunst. Und wer ihnen je Künstlichkeit vorwarf, darf sich bestätigt fühlen, aber anders als beabsichtigt: die Songs der Pet Shop Boys sind so künstlich, dass sie nicht altern. Der Verzicht auf Gitarrensoli bewahrt vor der Flohmarktkiste: Hits wie „West End Girls“, „Being Boring“, „Love Comes Quickly“ oder „Rent“ klingen damals wie heute zeitlos, alterslos. In Neil Tennants zärtlicher Stimme schwingen Hedonismus und Trauer über die Vergänglichkeit des Lebens immer mit (besonders in „Domino Dancing“), geben der unbedingten Tanzbarkeit der meisten PSB-Songs eine tiefere, dunkle Ebene. Musik zum Tanzen und Denken. Dem Sound der Pet Shop Boys ist eine zwar sanfte, aber bestimmte Unerbittlichkeit eigen, niemand klingt wie sie und die Pet Shop Boys klingen immer wie sie selbst. Sie machen sogar aus einem U2-Song einen PSB-Song („Where The Streets Have No Name“) und wer „Always On My Mind“ zuerst von den Pet Shop Boys gehört hat, wird mit der Elvis-Version und gar dem Original nichts mehr anfangen können. Bevor wir uns in Details verlieren: „Ultimate Pet Shop Boys“ ist eine tolle Compilation. 19 Hits auf der CD, 27 BBC-Auftritte und das komplette Glastonbury-Set von 2010 (PSB als Headliner) auf der DVD lassen, wie bereits erwähnt, keine Wünsche offen.

Ultimate Pet Shop Boys. CD + DVD. EMI.
www.petshopboys.co.uk

LAfrirampoaut und wild

Erinnert sich noch jemand an Sylvia Juncosa? Juncosa, die nach einer langen Pause wieder Musik machen soll, war Mitglied der Leaving Trains und SWA, am allerstärksten war sie aber allein: sie spielt(e) eine durchgedrehte, wilde, harte Heavy Metal- und Punkgitarre, ohne Rücksicht auf Verluste. Ihre Platten hießen u. a. „Lick My Pussy, Eddie Van Halen“ und so hört sich ihre Musik auch an. Unvergessen Juncosas „Coverversion“ von Madonnas schrecklichstem Lied „La Isla Bonita“, das sie genüsslich zerschredderte. Juncosa rockte so hart, dass sie, wenn man sie nicht sah, selbstverständlich für einen männlichen Gitarristen gehalten wurde. Selbstverständlich? Tja, so ist das leider immer noch. Frauen an der E-Gitarre wie zum Beispiel Marnie Stern sind zwar keine Seltenheit mehr, wohl aber Musikerinnen, die richtig hart zulangen. Ob das japanische Female-Duo Afrirampo (was so viel heißt wie „purer, nackter Rock“) Sylvia Juncosa kennt, muss Spekulation bleiben, liegt aber nahe. Die aus Osaka stammenden Schwestern Oni (Gitarre/Gesang) und Pikachu (Drums/Gesang) – ein Duo qua Geburt also – gründeten Afrirampo 2002, nachdem sie in anderen Bands gespielt hatten, die ihnen zu soft und poppig waren. Afrirampo sind zwar auch ab und zu soft und poppig, in der Hauptsache aber sehr hart, sehr laut, sehr wild. Ungefähr wie zehn Sylvia Juncosas. Ähnlich wie viele andere japanische KünstlerInnen überzeichnen Afrirampo ihre niedliche und ihre harte Seite bis zur Karikatur – hier verspieltes, mangamädchenhaftes Gezirpe, dort monströser Donnerhall, das Ergebnis erlaubt nur Liebe oder Abscheu. Geliebt werden Afrirampo von populärer Seite: Ihr Distortion-Noise-Prog-African-Tribal-Psychedelic-Rocksound begeisterte Sonic Youth und Lightning Bolt, die Afrirampo als Supportact engagierten, und Yoko Ono, die sich 2005 von den beiden bei einem Festivalauftritt begleiten ließ. Vergleiche mit Melt Banana bleiben für Afrirampo nicht aus, was aber auch daran liegt, dass es nicht so viele international bekannte Acts aus Japan gibt, schon gar keine Frauenbands. Leider haben Afrirampo im vergangenen Juni beschlossen, sich zu trennen. Beziehungsweise hat ihnen das ihre persönliche Schutzgöttin befohlen, so steht es sinngemäß auf Afrirampos Website. Das auf Mogwais Rock Action-Label erschienene Album „We Are Uchu No Ko“ ist Fanal und Werkeinführung in einem, wer Afrirampo bisher nicht kannte, sollte zugreifen. Die Göttin kann Afrirampo übrigens jederzeit wieder zusammenführen. Falls ihre Entscheidung auf sich warten lässt: vielleicht gibt’s ja bald eine neue Platte von Sylvia Juncosa.

Afrirampo: We Are Uchu No Ko. 2 CD. Rock Action (Pias)
www.afrirampo.com
www.myspace.com/afrirampo

Dinner At The Thompson'sOhne Biss

Die Gründungsstory von Dinner at the Thompson’s klingt eigentlich ganz spannend: von der Bush-Regierung enttäuscht macht sich Sängerin Lucille Tee auf den Weg von Santa Cruz nach Prag, später Paris. Im Urlaub am Strand lernt sie den französischen DJ und Musiker Fablife kennen, mit dem sie die die Liebe zu Hip-Hop, Soul und Funk teilt. Die beiden beschließen, fortan zusammen Musik zu machen. Das war vor sechs Jahren, Gigs im Viper’s Club in Los Angeles und das hochgelobte Debüt „Lifetime On Planet Earth“ folgten. Beim Bandnamen waren sich Lucille und Fablife einig: er sollte heimelig und warm klingen, wie ein nettes Abendessen bei den Nachbarn. Genau da liegt Thompson’s Hund begraben: DATT mixen zwar ein nettes, heimeliges Gebräu aus moderaten Breakbeats, R’n’B, Soul, HipHop und Funk, wirken in Gänze aber harmlos und austauschbar. Fablife gelingt es nicht, den fünfzehn Songs plus Bonustrack einen eigenen Stempel aufzudrücken. Tracks wie „How Can I“, „Rise Up“ oder „Western Spaghetti“ sind tadellos instrumentiert und produziert. Die Beats flowen mal gemächlich, mal knackig, die Platte taugt zum Tanzen wie zum Nebenbei-Laufenlassen – aber es fehlen Biss und Schärfe. Gastsänger Lee Fields und Rapper Guilty Simpson bringen zwar Abwechslung, unterm Strich sorgen sie aber noch mehr dafür, dass „Off The Grid“ wie ein Mixalbum für die schicke neue Cocktailbar klingt. Einzig Lucille Tees Soul- und jazzerprobte Stimme hat einigen Wiedererkennungswert. Vielleicht sollte sie mal wieder auf Reisen gehen – und Coconamis „Ensoku“ dabei hören.

Dinner at the Thompson’s: Off The Grid. Earth at Word (Rough Trade).
www.myspace.com/dinneratthet

Christina Mohr