Der Kreis schließt sich
Klingt, als ob Garbarek ein bisschen zu seinen Roots zurückgekehrt wäre, nach all den Ausflügen in die weiten Klangräume von Fjorden, Wüsten und pakistanischen Bergwelten. Von Thomas Wörtche
Man kann die Begeisterung schon verstehen. Nicht unbedingt wegen des Privilegs, erstmals ein Live-Album von Jan Garbarek hören zu dürfen – natürlich gab es Garbarek live längst z. B. unter dem Label „Keith Jarrett“, man denke nur an die grandiose „Nude Ants“-Session von 1979/80 aus dem Village Vanguard, sondern weil das Dresdner Konzert wirklich ein absolutes Highlight ist. Der Opener, „Paper Nut“, ist schon der Überhammer – eine Komposition des Violinisten Lakshminarayana Shankar, der man deutlich anhört, dass sie für die Geige geschrieben ist. Garbarek stürzt sich begeistert in die Phrasierung, als ob sein Sopransaxophon eine Violine wäre, und seine Mitmusiker heizen kräftig mit. Ziemlich sehr gut und vor allem ungeheuer robust und elegant gleichermaßen (das gibt´s nicht allzu oft) Manu Katché am Schlagzeug, unauffällig virtuos und für den Sound des Quartetts unabdingbar Yuri Daniel am Bass (der 2007, als das Konzert im Alten Schlachthof zu Dresden eingespielt wurde, gerade den erkrankten Eberhard Weber ersetzte) und der dito virtuos-pragmatisch agierende Rainer Brüninghaus an den Tasteninstrumenten (mit geringem elektronischen Effekt-Faktor).
„Paper Nut“ ist raffiniert, ausgekocht, energetisch, eingängig und swingt. Mit anderen Worten – „Paper Nut“ setzt die Stimmung der beiden CDs. Und diese Stimmung heißt Jazz. So, als ob Garbarek ein bisschen zu seinen Roots zurückgekehrt wäre, nach all den Ausflügen in die weiten Klangräume von Fjorden, Wüsten und pakistanischen Bergwelten. Das klassische Jazz-Set ohne Windspiele, Orgeln und andere wunderliche und kuriose Instrumente, vor allem aber auch der Verzicht auf eine gewisse Weihehaftigkeit, die manchmal Garbareks Musik in esoterische Gegenden zu rücken drohte (obwohl es Garbarek selbst immer um Klang und Klangmöglichkeiten ging), unterstreicht, dass hier Jazz gemacht wird. Mit dem Tenor spielt Garbarek zwar seine weiten Bögen, aber eben im Jazzidiom und so, wie er mit „Esoteric Circle“ 1969 angefangen hatte und im besten Sinne das damals noch spärliche Publikum aufhorchen ließ (um die Zeit oder kurz danach habe ich ihn zum ersten Mal in einem Mannheimer Jazzkeller gehört, wohin ich als Schüler des Abends ausgebüchst war – glücklicherweise, denn allzu viel Leute sonst waren nicht da, aber beeindruckend war´s schon sehr).
Jazz comme il faut
Seltsamerweise haben alle Menschen, die jetzt das aktuelle Dresden-Konzert hören und mit denen ich darüber gesprochen habe, wieder die alten, frühen Garbarek-Scheiben rausgeholt – „Afric Pepperbird“, „Witchi-Tai-To“, „Sart“ „My Song“ und „Belonging“ (auch wenn auf den letzten beiden wieder Keith Jarrett draufsteht). Denn irgendwie hat sich der Kreis geschlossen – Garbarek hat dem europäischen Jazz eine sehr eigene, akzentuierte und großartige Stimme gegeben. Und diese Stimme ist viel um die Welt gereist, um wieder, aufgeladen und vollgesogen mit musikalischen Erfahrungen, Jazz zu spielen. Man kann, wenn man die sechzehn Tracks der beiden CDs durchgehört hat, gleich wieder von vorne anfangen. Auch wenn unter den vielen bekannten Stücken nur fünf neue, d. h. zum ersten Mal auf CD zu hörende Kompositionen sind, stecken alle Titel voller Überraschungen, sind abwechslungsreich aneinandergefügt, langweilt man sich keinesfalls. Improvisation ist angesagt, fertige Module dienen höchstens der Neuformation aller Energien und Leerlauf gibt es so gut wie nicht. Jazz – comme il faut.
Thomas Wörtche
Jan Garbarek Group: Dresden. In concert. ECM (Vertrieb: Universal).