Geschrieben am 5. Juli 2016 von für Musikmag

Kembrew McLeod: 33 1/3 Parallel Lines

McLeaod_linesDer Verlag Bloomsbury kann für die Buchreihe “33 1/3” gar nicht genug gelobt werden: Seit einigen Jahren erscheinen in erstaunlich rascher Folge kleine Bände über wegweisende Alben der Popgeschichte – und zwar nicht nur über die allfälligen Konsensplatten, die ohnehin in jeder Bestenliste à la „Die hunderttausend allerbesten Rockalben“ auftauchen. „33 1/3“ startete mit „Dusty in Memphis“, huldigte My Bloody Valentines „Loveless“ ebenso wie „Definitely Maybe“ von Oasis. The New York Times Book Review pries die „cleveren Herausgeber“ für die Erkenntnis, dass es ein Publikum gibt, das gewisse Platten genauso ernst nimmt wie „Der Fänger im Roggen“.

Die Autorenschaft von „33 1/3“ rekrutiert sich aus popbegeisterten angelsächsischen und amerikanischen JournalistInnen und SchriftstellerInnen – so schrieb zum Beispiel Jonathan Lethem über „Fear of Music“ von den Talking Heads, übrigens der einzige auch auf Deutsch erschienene Titel (bei Tropen). In Planung sind Bände über Platten von The Raincoats, The Geto Boys und „Psychocandy“ von The Jesus and Mary Chain.

Band Nr. 111 widmet sich dem 1978 erschienenen Album „Parallel Lines“ von Blondie und ist deshalb natürlich ein Fall für yours truly: Geschrieben hat das Buch allerdings der amerikanische Performance-Künstler und Professor of Communication Studies, Kembrew McLeod, der als nerdiger Fan und kundiger Wissenschaftler in Personalunion so etwas wie die Idealbesetzung für einen „33 1/3“-Autor ist.

„Parallel Lines“ ist eine treffsichere Wahl: Mit diesem Album erlangten Blondie Weltruhm, schufen Popsongs für die Ewigkeit. Die Singles „Heart of Glass“ und „Sunday Girl“ werden Nummer-Eins-Hits, Songs wie „Hanging on the Telephone“, „One Way or Another“ und „Picture This“ verbinden Underground-Attitüde mit Pop-Appeal in beispielloser Weise – verstärken allerdings auch die Vorbehalte eingefleischter Punkfans, die vor allem angesichts des Riesenerfolgs mit dem DISCO-Song „Heart of Glass“ Verrat und Ausverkauf wittern. „Parallel Lines“ ist ein Hybrid aus Avantgarde und Bubblegum-Pop, zitiert nostalgischen Sixties-Sound und flirtet gleichzeitig mit moderner Elektronik („Wir dachten bei ‚Heart of Glass’ an Kraftwerk“, so Chris Stein). Mit diesem Album hatten es Blondie „geschafft“ – und zahlten einige Jahre später den Preis für den Erfolg: Blondie lösten sich erschöpft und frustriert 1983 auf. Vorerst, wie wir heute wissen: Mit der Reunion und dem Superhit „Maria“ anno 1999 begann Blondies zweite enorm erfolgreiche Inkarnation, die noch längst nicht an ihr Ende gekommen ist.

Dass Blondie schon immer eine erfolgreiche Popband sein wollte, die nicht nur ein Häufchen Eingeweihter, sondern „Millionen von 13-Jährigen“ (Zitat Jimmy Destri) erreicht, verhehlten Debbie Harry, Chris Stein, Clement Burke (vor allem er!), Destri, Frank Infante und Nigel Harrison nie, auch nicht zu ihren Anfangszeiten im legendären New Yorker Punkclub CBGB. Wie ihre Freunde von den Ramones wussten Blondie, wie wichtig ein guter Look ist – dass die Ramones ausgerechnet die Bay City Rollers zu ihren Vorbildern auserkoren hatten, ist nur eins von unzähligen überraschenden Details, die Kembrew McLeod in dem schmalen Bändchen unterbringt.

McLeod holt weit aus, um „Parallel Lines“ zu würdigen: Die Factory-Szene um Andy Warhol spielt eine wichtige Rolle, aber auch die Club- und Disco-Bewegung. Debbie Harry und Chris Stein liebten Girlgroups wie die Shirelles und die Shangri-La’s, Garagenbands und natürlich Disco. In Blondies Musik vereinten sich all diese Einflüsse, und anders als viele ihrer CBGB-KollegInnen hatten Stein und Harry keine Angst vor dem Mainstream – sie wollten genau dorthin, freilich nicht ohne edgyness.

Besonders plastisch wird Blondies Haltung in Harrys Persona: Sie kreierte einen ureigenen Style als Tongue-in-cheek-Sexbombe, platinblond – aber mit sichtbaren dunklen Ansätzen. Leider geriet ihr das eigene Image außer Kontrolle, so Harry, ihr Look wurde oft missverstanden, sie selbst als singendes Ex-Playboy-Bunny verunglimpft, die nach den Vorgaben von „Svengali“ Chris Stein tanze – dass dem keineswegs so war, dass Debbie Harry bis heute ein Paradebeispiel für weibliche kreative Selbstbestimmung ist, hebt McLeod dankenswerterweise deutlich hervor.

Auch wenn Kembrew McLeod viele Nebenschauplätze bespielt (so schreibt er seitenweise über Lou Reed und John Cale, deren Einfluss auf die New Yorker Musikszene der 1970er-Jahre natürlich immens ist), verliert er sein Hauptthema nicht aus dem Blick. Er schreibt so informativ und begeisternd, dass man nicht nur „Parallel Lines“ sofort auflegen möchte, sondern auch die gesamte andere Musik, von der im Buch die Rede ist.

Parallel Lines erschien 1978 bei Chrysalis und enthält folgende Songs:

Hanging on the Telephone
One Way or Another
Picture This
Fade Away and Radiate
Pretty Baby
I Know But I Don’t Know
11:59
Will Anything Happen?
Sunday Girl
Heart of Glass
I’m Gonna Love You Too
Just Go Away

Christina Mohr

33 1/3 Parallel Lines by Kembrew McLeod. Bloomsbury, Broschur. 154 Seiten