Geschrieben am 29. August 2012 von für Musikmag

Laibach: Reproduction Prohibited – An Introduction To Laibach

Laibach: Reproduction Prohibited – An Introduction To Laibach

Für Auge und Ohr bestimmt

– Wer seinen Humor im Keller parkt und gerne in Schubfächer denkt, sollte sich auf keinen Fall das ultimative Best-of-Album des Jahres kaufen. An den Rest ergeht hiermit der ausdrückliche Befehl, „Reproduction Prohibited – An Introduction To Laibach“ beim Plattenhändler seines Vertrauens zu besorgen! Die größten „Hits“ (Darf man dieses Wort im Zusammenhang mit Laibach überhaupt verwenden?) aus mehr als dreißigjähriger Bandgeschichte auf eine Scheibe gepresst. Janine Andert ist hin und weg.

Laibach gründeten sich am 1. Juni 1980 in Jugoslawien und benannten sich nach der Stadt Ljubljana, zu Deutsch „Laibach“. Allein dieser simple Akt verweist auf einen Felsbrocken europäischer Geschichte und sprachlich zwielichtige Spitzfindigkeiten. Am 4. Mai 1980 verstarb der jugoslawische Nachkriegspräsident Marschall Josip Broz Tito in Ljubljana. Tito verfolgte eine von der Sowjetunion unabhängige Politik, überwarf sich mit Stalin und setzte sich für einen selbstbestimmten Sozialismus ein. All das mit der Selbstverständlichkeit und den Gräueltaten eines totalitären Herrschers. Sein Tod hinterließ ein politisches Vakuum, in dem unbeirrbare Stalinisten auf Liberale trafen. Eine brisante Lage in der Staatengemeinschaft Jugoslawien, die ohnedies genug mit schwer zu vereinbaren ethnischen Gruppen und staatlich subventionierten Vertreibungen zu tun hatte.

Laibachs Antwort auf die politische Situation im Jahr 1980 war ihre Außenpräsentation als totalitäre Organisation, die sie seit dem künstlerisch ausfeilen. Dabei ging es nie um die Verherrlichung faschistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts, sondern um die Aufdeckung der Strukturen totalitärer Staaten und deren Propaganda. Laibachs Kunstgriff ist dabei die Überstilisierung. Gleichzeitig geht es Laibach immer auch um die Auseinandersetzung mit der deutschen und italienischen Besetzung Sloweniens während des Zweiten Weltkriegs. In Laibachs auf Konfrontation ausgelegten Aufdeckung der eigenen Historie waren sie der Staatsobrigkeit ein Dorn im Auge. Bereits während ihres ersten Auftritts im September 1980, der sich lediglich kritisch mit der Lokalpolitik des Eventortes Trobovlje auseinandersetzen sollte, wurde die Show augrund des Gebrauchs faschistischer Symbole untersagt.

Wer sich einmal die Mühe macht, Laibachs Zeichengebrauch genauer unter die Lupe zu nehmen, wird auf eine Vielzahl faschistischer, nationalsozialistischer, kommunistischer und anderer politisch besetzten Symbole stoßen, deren Zusammenstellung im neuen Kontext die immanenten Ähnlichkeiten ausdrucksstark aufzeigt. Diese offenkundige Systemkritik zog 1981 vom jugoslawischen Militär durchgesetzte Auftrittsverbote des Kollektivs nach sich. Eine anheimelnde kleine Kriegsschlacht, in der uniformierte Staatsdiener gegen den laibacheigenen Militär-Look antraten.

Aber auch das Militär war machtlos gegen eine Laibach-Ausstellung in Belgrads studentischem Kulturzentrum. Diese Ausstellung umfasste Malerei, graphische Arbeiten, Texte und Musik – alles, nur keine flache Provokation mit kontroversen Symbolen, was ihnen in der Presse gern unterstellt wird. 1982 ließ man Laibach endlich in Ljubljana auf eine richtige Konzertbühne, weitere Shows in Jugoslawien folgten. In schwarzen Uniformen verbanden sie ohrenbetäubenden Lärm mit Kriegsreden von Tito und anderen Diktatoren.

Höhepunkt dieser Tour war, zurück in Ljubljana, Laibachs Auftritt beim New Rock Festival – ein fulminanter musikalischer Angriff gegen das Regime. Der damalige Sänger Tomaz Hostnik bekam die Aggressivität dieser Performance am eigenen Leib zu spüren, als ihm aus der Menge eine Flasche ins Gesicht geworfen wurde. (Liebe Kinder, so war das in den wilden 80ern auf Konzerten. Deshalb müssen heute brav alle Getränke in Plastikbecher umgefüllt werden. Hostnik war blutüberströmt …) Mit dem Suizid Hostniks nahm das Jahr 1982 im Dezember ein trauriges Ende für das Kollektiv.

Trotzdem lösten sich Laibach nicht auf. Im Juni 1983 hatten sie ihren ersten Fernsehauftritt im staatseigenen, sozialistischen TV. Die Frage, warum der absehbare Eklat überhaupt auf Sendung gehen konnte, lassen wir an dieser Stelle außen vor. In faschistischen Arbeitsuniformen, im Hintergrund Bilder, die unverkennbar Analogien zu den Nürnberger Aufmärschen darstellten, resultierte die Performance in Laibachs Brandmarkung als Volksfeinde und einer erneuten, noch vehementeren Verbannung des Kollektivs aus dem öffentlichen Raum, die nicht nur Auftritte, sondern auch das Verbot des Namens Laibach an sich implizierte.

Ungerührt von den Ereignissen begannen Laibach im November und Dezember auf ihrer „Occupied Europe Tour“ acht Länder und 16 Städte in Ost- UND Westeuropa zu erobern. Einerseits ist es ein Wunder, dass sie in den Ostblockstaaten noch spielen durften (außer in der Tschechoslowakai, dort durften sie nicht einmal über die Grenze.), andererseits waren osteuropäische Bands während des Kalten Krieges nicht unbedingt Exportschlager in Westeuropa. Auffällig, dass sich die Staatsobrigkeiten, von denen niemand Laibach gerne im eigenen Land begrüßte, nicht einigen konnten, welche politische Gesinnung sie dem Kollektiv vorwerfen sollten. Polen hielt sie für Kommunisten, andere für Faschisten. Die USA stempelten Laibach 1987 als radikale Kommunisten ab und ließen sie nicht einreisen. Genau diese Art von Provokation und Ambivalenz stärkte das Interesse am musikalischen Output des Kollektivs.

1984 gründeten Laibach zusammen mit IRWIN (Kollektiv der Bildenden Kunst) und dem Scipion Nasice Sisters Theater das Kunstprojekt NSK (Neue Slowenische Kunst). Ein Guerilla-Kunst-Kollektiv, das auf radikale Weise die Politik in Jugoslawien ändern wollte. Das in diesem Rahmen entstandene, spektakuläre Theaterstück „Baptism – Klangniederschrift einer Taufe“ (Soundtrack von Laibach) veranschaulicht am besten die Idee der NSK und auch von Laibach: Das Trauma der Vergangenheit beeinflusst Gegenwart und Zukunft.

Diese Beeinflussung kann nur durch die Rückbesinnung auf den auslösenden Konflikt aufgehoben werden – die Psychoanalyse lässt grüßen. In diesem Sinne ist das Laibachsche Spiel mit totalitärer Ikonographie auch immer eine Rückbesinnung auf die eigene Vergangenheit und der Versuch, die Zukunft neu, ohne Totalitarismus zu gestalten. Die überzeichnete Glorifizierung totalitärer Regime mit melodramatischen Wagner-Hörnern, marschierenden Beats, brachialen Industrial-Hymnen und neo-klassischen Einflüssen richtet den Fokus auf politische Kontroversen, veranschaulicht die traumatische Beziehung zwischen Musik und Macht, zwischen Kunst und Ideologie, auf verblüffend unterhaltsame Weise.

Lange hat es gedauert, aber 1985 erschien Laibachs erstes Album auf dem Slowenischen Label ŠKUC Robot. Der neue Sänger Milan Fras knurrt seine Texte, inklusive Tito-Reden. Ironie und politische Aufklärung im Gewand majestätischer Orchestralität, deren überboardende Erhabenheit den Hörer eiskalt erzittern lässt und verängstigt, ob der negativen Konnotation der Elemente. Man darf keinen Gefallen an der Musik des braunen Wahnsinns und des Militärfanatismus finden. Und man wird doch davon ergriffen. Wer diesen inneren Konflikt erlebt, nähert sich ein Stück weit dem Phänomen Laibach.

Das nächste Album erschien ebenfalls 1985, aber auf dem Hamburger Indielabel Walter Ulbricht Schallfolien (Schenkelklopfer!). 1986 folgt das erste internationale Release „Nova Akropola“ im UK auf Cherry Red. 1986 landeten die Slowenen bei ihrem Haus- und Hoflabel Mute Records, auf dem sie 1987 das kongeniale „Opus Dei“ herausbrachten. Die dazugehörigen Musikvideos avancieren zu gekonnten Parodien nationalsozialistischer Propaganda-Filme wie „Der Triumph des Willens“. Ein ästhetischer Kunstgriff, den Bands wie Rammstein bis heute gerne aufgreifen. Rammstein – die international kommerziell erfolgreiche Band, die sich offen zu ihren großen Vorbildern Laibach bekennt. Unausweichlich begehren politisch korrekte Kreise auf, ehe sie belehrt werden, dass die für Laibach typischen Äxte, die heute als Markenzeichen der Band gelten, ihren Ursprung in der gegen Nazis gewandten Kunst eines John Heartfield haben. Erkannt hat das auch der finnische Regisseur Timo Vuorensola, der mit dem Filmwerk „Iron Sky“ eine Hommage an Laibach abdrehte.

Ende der 1980er-Jahre entdeckte ein neues, provokantes Theater die Slowenen für sich. 1987 schrieben Laibach die Musik für Wilfried Minks „Macbeth“-Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus. 1994 besetzten sie unter der Intendanz von Frank Castorff die Berliner Volksbühne und riefen den NSK-Staat aus. (Wer einmal die Gedenktafel für dieses Ereignis besichtigen möchte: Oberparkett links, kurz vor dem Eingang zum Roten Salon.) Der NSK-Staat – das Projekt, das die „Neue Slowenische Kunst“ ersetzt. Es gibt Pässe, Visa und Botschaften für diesen extraterritorialen Staat. Er kann gar nicht physisch existieren, weil das die Idee eines friedlichen Landes ohne geographische Grenzen negieren würde.

Neben dem Bekenntnis zum politischen Diskurs spinnt sich der Diskursgedanke bei Laibach auch im musikalischen Stilmittel der Coverversion fort. Von „Opus Dei“ (1985) über „Let It Be“ (1988), einer Bearbeitung des gleichnamigen Beatles-Albums, über die acht Versionen von „Symphathy For The Devil“ (1988) verleiben sich Laibach bekannte Songs ein. Das dient nicht der besseren Vermarktung ihrer Alben, sondern wirft bewusst die Frage nach Originalität auf, die es für Laibach im herkömmlichen Sinne nicht gibt.

Der Begriff Neubearbeitung trifft ihren Umgang mit Songmaterial dann auch besser. Besonders deutlich wird das auf dem Album „Volk“ (2006). Dort unterwandern Laibach die Nationalhymnen großer Nationen und verpassen selbst ihrem NSK-Staat einen Song. Alle Hymnen sind große Popsongs und alle großen Popsongs sind Hymnen. Wieder ein Meilenstein in der Geschichte von Laibach, die mit „Volk“ ihre Kritik in der Verführung durch Entertainment und schicke Symbole diffiziler ausarbeiten als jemals zuvor.

Mit „Reproduction Prohibited – An Introduction To Laibach“ liefert Mute in seiner Reihe „An Introduction To …“ einen großartigen Überblick über das vielschichtige Schaffen des Kollektivs. Die von Laibach selbst ausgewählten Titel führen in der Tat an ihr ironisches Spiel heran. Es ist schon amüsant, wenn The Normals „Warm Leatherette“ zu „Warme Lederhaut“ wird, Bob Dylans „Ballad Of A Thin Man“ neue, brachiale Arrangements erfährt und der Drafi-Deutscher-Schlager „Mama Leone“ Einzug in die Laibach-Welt hält. Immer wieder für eine Überraschung gut lernt man dank Laibach Songs kennen, wie man sie noch nie gehört hat. Das ist dann eben der Schritt im Musikgeschehen, der eine schnöde Coverversion von einer genialen Neubearbeitung unterscheidet.

Selbstverständlich finden sich auf „Reproduction Prohibited – An Introduction To Laibach“ auch Klassiker wie „Across The Universe“, das Beatles-Cover, das durch den Soundtrack für Leander Haußmanns Film „Herr Lehmann“ bekannt wurde. Oder das legendäre Cover vom Gassenhauer „Live Is Live“, der bei Laibach zu „Leben heißt Leben“ transformiert wird. Aber nicht nur um und gegen die anderen geht es. Laibach covern mit „Germania“, „Anglia“ und „Bruderschaft“ auch ihre eigenen Cover von Songs. „Bruderschaft“ ist beispielsweise eine Adaption des deutschen Exportschlagers Kraftwerk, eine Imitation von Sprache und Klang der Krautrocker, der aufgrund seiner Eigenschaft als Cover eines Laibach-Covers eines Laibach-Covers eines an Kraftwerk angelehnten Songs ein Eigenleben führt: Eine Imitation der Imitation, auf die bereits das Artwork von „Reproduction Prohibited – An Introduction To Laibach“ verweist. Das 1982 von Laibach entworfene Bild ist René Magrittes „Not To Reproduced“ entliehen und zeigt die im Spiegel auf wenige, aber markante Merkmale heruntergebrochene Wirklichkeit. Die Fragen nach Originalität, Stilisierung, Botschaft, Wahrnehmung und Wahrheit kommen mit dem Zaunpfahl um die Ecke.

„Reproduction Prohibited – An Introduction To Laibach“ ist ob der Doppelbödigkeit und des Referenzenreichtums eine Steilvorlage für eine kulturwissenschaftliche Promotion oder einfach nur ein Meisterwerk, das sich nicht in belangslosen Songstrukturen verliert und gebetsmühlenartig 60 Jahre Popmusik widerkäut.

Eines dürfte klar geworden sein: Laibach ist für Auge und Ohr bestimmt. Das Kollektiv ist im September auf Deutschlandtour. Geht hin!

Janine Andert

Laibach: Reproduction Prohibited – An Introduction To Laibach. Mute/GoodToGo. Zur Homepage. Laibach auf Facebook. Reinhören auf Soundcloud und Vimeo.

On Tour

10.09.2012 München, Backstage Club
11.09.2012 Frankfurt, Batschkapp
18.09.2012 Bochum, Matrix
19.09.2012 Berlin, Berghain
21.09.2012 Leipzig, Schauspielhaus

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