Geschrieben am 13. April 2011 von für Musikmag

Mohr Music: Interview mit Julianna Barwick

Julianna Barwick: The Magic Place„Der Wunsch Musik zu machen, war mir angeboren“

Die Musikerin und Sängerin Julianna Barwick lebt mitten in New York City – doch ihre Musik könnte keinen größeren Kontrast zum hektischen Metropolenleben bilden: mit schwebenden Vocals, Elektronik und Piano webt Barwick ätherische Gespinste, die “Tracks” zu nennen viel zu profan wäre. Barwicks Mischung aus sakralen Chorälen und sparsam eingesetzten Instrumenten macht ergriffen und doch leicht ums Herz, “überirdisch” ist ein Begriff, der einem beim Hören immer wieder durch den Kopf geht, ohne dass man es mit religiöser Ästhetik zu tun hätte. Christina Mohr hat Julianna Barwick ein paar Fragen gestellt.

Barwicks drittes Album “The Magic Place” klingt wie eine sonische Reise in längst vergangene Kindertage, weckt Erinnerungen, die einerseits ganz klar und farbig, andererseits fragil und instabil sind – war es ein Traum oder habe ich das tatsächlich erlebt? Julianna Barwick verwischt die Grenze zwischen Realität und Phantasie, oder anders: diese Grenze spielt keine Rolle. Der magische Ort kann überall sein, in der Großstadt, in der Natur und in dir selbst.

CM: Deine Platte heißt „The Magic Place“ – hat der Baum auf dem Cover eine Verbindung zu deinem persönlichen magischen Ort? Wo ist dieser Ort und was passiert dort?
Julianna Barwick: Der Baum hat keine Verbindung zu irgendwas – als ich darüber nachdachte, welches Motiv auf das Albumcover sollte, habe ich ein paar alte Fotos angeguckt, die ich mal gemacht hatte. Das Foto, das ich dann auswählte, war entstanden, als ich die Hochzeit von Freunden fotografierte. Man sieht nur die obere Hälfte des Bildes und ich habe es ausgesucht, weil man darauf nichts sieht, was von Menschenhand gemacht ist. Einer meiner damals neuen Tracks hieß „The Magic Place“ und Foto und Musik passten gut zueinander. Ich entschloss mich dazu, das gesamte Album „The Magic Place“ zu nennen, weil darauf alles ineinandergreift: die Gestaltung, der Titeltrack, und was „der magische Ort“ für mich bedeutet, heute und auch in der Vergangenheit.

CM: Was ist anders auf „The Magic Place“ als auf deinen früheren Platten?
JB: Ich habe diese Platte in einem richtigen Übungsraum mit Studio aufgenommen, nicht wie früher in meinem Schlafzimmer. Der Übungsraum war voll mit Instrumenten, auf die ich mich begeistert gestürzt habe, um sie auszuprobieren. Allen voran ein Baby Grand-Piano, das auf „The Magic Place“ häufig auftaucht. Deshalb ist „The Magic Place“ detailreicher als meine älteren Platten. Nicht zuhause in meiner üblichen Umgebung zu sein, gab mir ein anderes Gefühl beim Aufnehmen: ich wurde nicht von meinem Krimskrams abgelenkt und hatte einen Ort, an den ich ging, um zu arbeiten. „The Magic Place“ ist dynamischer als „Florine“, während „Florine“ reifer klang als mein erstes Album „Sanguine“.

CM: Spielst du gern live oder arbeitest du lieber zuhause bzw. im Studio?
JB: Das sind für mich komplett unterschiedliche Dinge – es ist schwer, sie zu vergleichen. Ich mag beides. Musik zu komponieren, zu kreieren ist so anders, als sich auf eine Show vorzubereiten oder vor Leuten zu spielen. Wenn ich alleine arbeite, bekomme ich nichts um mich herum mit, dann bin ich völlig in meinem eigenen Kosmos versunken. Wenn man auftritt, gibt es so viele verschiedene Variablen, mit denen man umgehen muss. Mir ist das eine so lieb wie das andere, aber ich arbeite am liebsten in kurzen Intervallen. Ich mache nur kleine Tourneen, ich kann weder viele Wochen am Stück touren noch aufnehmen – ich befürchte, ich habe nur eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne.

CM: Du lebst in New York City, deine Musik klingt aber gar nicht „urban“, sondern eher introvertiert und nachdenklich…
JB: Meine Musik ist weniger davon beeinflusst, was mich umgibt, sondern mehr von meinen Gedanken und Erinnerungen. Ich habe sehr spezifische Vorstellungen davon, welche Musik ich machen möchte, welche Sounds ich haben will – und ich schätze, dass das nichts damit zu tun hat, wo ich gerade wohne.

CM: Fällt es dir schwer, deine Musik „loszulassen“, also ins Netz zu stellen oder CDs zu verkaufen?
JB: Musikmachen ist ein extrem persönliche Sache für mich, die ich unbedingt allein tun muss. Das ist etwas, das ich schützen muss und nicht teilen kann, bevor es nicht wirklich beendet ist.

CM: Wo liegen deine musikalischen Wurzeln? Deine Musik ist für mich eine Schnittmenge aus klassischer Musik und Elektronika – oder sind solche Beschreibungen eher lästig?
JB: Ich war schon immer sehr musikalisch. Als Kind habe ich ständig gesungen oder habe auf dem Klavier herumgeklimpert. In der Schule war ich in allen Chören und habe dazu noch Gesangsunterricht genommen, Musik war also ein großer Bestandteil meiner Kindheit und Jugend. Am allermeisten inspiriert haben mich Chormusik, A-capella-Gesang, Hymnen und Choräle. Ehrlich gesagt fällt es mir ganz schön schwer, meine Musik zu beschreiben. Ich weiß nicht, welche Vergleiche den Hörern nützen könnten. Was ich sagen kann ist, dass meine Musik vorwiegend auf Vocal-Loops basiert, mit vielen Tonspuren, dabei sehr auf den Punkt gearbeitet und auf dein Innerstes zielend – alles ohne viel Planung. Jeder Track beginnt als Experiment, und dann arbeite ich so lange daran, bis er sich „fertig“ anfühlt.

CM: Wie machst du das?
JB: Zuerst stöpsele ich meinen ganzen technischen Kram ein und nehme irgendetwas auf – normalerweise eine Gesangslinie, auf der ich improvisiere. Ich baue alles andere um diesen Anfangsloop, füge die Instrumentierung hinzu oder zusätzliche Vocals.

CM: Gibt es MusikerInnen oder Platten, die dich dazu bewogen haben, selbst Musikerin zu werden?
JB: Ich glaube, der Wunsch Musik zu machen, war mir angeboren. Ich konnte es nicht nicht tun – verstehst du? In der Highschool war ich sehr beeinflusst von Björk und Tori Amos. Ich fühlte mich zu beiden wirklich stark verbunden und bewunderte sie dafür, so ungewöhnliche Musik zu machen und vor allem, dass sie das alleine taten. Ich glaube, seitdem war ich sehr motiviert, etwas Künstlerisches zu tun. Und das Musik-Ding nahm wesentlich schneller Form an als alles andere.

CM: Du benutzt deine Stimme wie ein Instrument – kannst du dir vorstellen, eine Platte nur mit Stimmen aufzunehmen?
JB: “Sanguine” und “Florine” waren schon 90 %-Vocal-Platten, also kann ich mir definitiv vorstellen, ein reines Vocal-Album aufzunehmen. Vielleicht mache ich es eines Tages!

CM: Was brauchst du um dich herum, um kreativ zu sein – bestimmte Dinge, Getränke, Tiere, Leute…?
JB: Ich brauche morgens jede Menge Kaffee! Und den Rest des Tages auch. Und Wasser. Und leckere Snacks. Aber sonst brauche ich nichts, nur meine Geräte.

CM: Heute ist Frauentag (die Interviewfragen wurden am 8.3. an Julianna geschickt, Anm. CM) – bedeutet dir dieser Tag etwas?
JB: Das wusste ich gar nicht! Das ist eine tolle Gelegenheit, die Ladies zu feiern: eure Freundinnen, Mütter, Schwestern, Tanten, etc.!

Christina Mohr

Julianna Barwick: The Magic Place. Asthmatic Kitty.
Die Website der Künstlerin. Julianna Barwick auf Myspace und bei Facebook.



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