In dieser Woche hat Christina Mohr eine Doktorarbeit über die Arbeitsverhältnisse bei den Musikmagazinen „Rolling Stone“, „Spex“ und „Intro“ gelesen, die ihr einige erhellende Einsichten auch zum eigenen Schreiben bot. Warum sie danach über die neuen Alben von CSS und Yacht schreiben musste, war aber auch vorher schon klar: Weil man es von ihr erwartet, oder etwa nicht?
Über Musikjournalismus
Die Dissertation des Gießener Kulturwissenschaftlers André Doehring ist Pflichtlektüre für alle über Musik schreibenden und lesenden Nerds: In „Musikkommunikatoren“ werden zwar nur die drei Printmagazine „Rolling Stone“, „Spex“ und „Intro“ zur Untersuchung herangezogen, aber obwohl und weil große Unterschiede zu z. B. Onlinepublikationen bestehen, ist die Lektüre sehr erhellend, wenn man wissen möchte, warum Leute (resp. man selbst) über Musik schreiben wollen, ob man davon leben kann, wie die Arbeitsbedingungen aussehen und ob es überhaupt ratsam ist, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen und ob man nicht doch lieber Bankangestellte(r) werden sollte.
Doehring befragt jeweils zwei Musikredakteure (keine freien Autoren o. ä.) zu ihrer Arbeitsmotivation und -situation, musikalischen Sozialisation, über Bezahlung, Themengewichtung im jeweiligen Heft und vieles mehr. Dass alle Befragten Männer sind, kommt einem angesichts der behandelten Zeitschriften beinah völlig selbstverständlich vor, zeichnet aber in dieser Ballung/Konzentration mal wieder ein erschütterndes Bild von der Geschlechterverteilung im Popjournalismus.
Ob sich Frauen einfach weniger für (Pop-)Musik interessieren, oder ob sie angesichts von Fantum und Musikbesessenheit zur Chefsache erklärenden Herren einfach kapitulieren; ob Frauen aus Redaktionen verdrängt werden oder ob sie gar nicht erst dort hin wollen, können wir natürlich nicht beantworten, auch nicht nach der Lektüre von Doehrings Dissertation, aber man kann diese Fragen ja einfach mal wieder stellen, nicht wahr?
Hab ich mir gedacht …
Interessant ist vor allem, wie klar die Interviewpartner die Ausrichtung ihres Hefts sehen – vieles würde man selbst auch ohne intime Kenntnis der Redaktionsinterna vermuten, wie z. B. dass sich der „Rolling Stone“ vornehmlich Bands widmet, die den „test of time“ bestanden haben, dort also wenig Interesse am Promoten kurzlebiger Hypes besteht. Die „Spex“-Redakteure definieren erstaunlicherweise „Anwälte und Chirurgen“ als Kernzielgruppe, und „Intro“ als einzige Zeitschrift innerhalb der Erhebung, die ausschließlich über Anzeigen finanziert und kostenlos verteilt wird, traut sich immerhin, mit Reihen wie „Kochen mit …“ die übliche Interviewsituation aufzubrechen.
Beim traditionsreichen Herrenmagazin „Rolling Stone“ ist man sich einig, dass ein neues Album von Britney Spears niemals „Platte des Monats“ werden könnte, egal wie gut die Platte tatsächlich wäre – andererseits werden Künstler wie Badly Drawn Boy über Jahre hinweg „begleitet“ und sogar aufs Cover gepackt, selbst wenn sie keine nennenswerten kommerziellen Erfolge aufweisen. „Spex“ muss sich laut eigenen Angaben keine Sorgen darum machen, ob ein Covermotiv aus Werbegründen vorgeschrieben resp. abgeschossen werden könnte – bei „Spex“ reklamiert man völlige Gestaltungsfreiheit für sich. Alle Befragten äußern sich stolz darüber, wenn ihnen ein Hype gelungen ist, sich also durch ihre beharrliche Schreiberei ein singender, klingender Schmetterlingsflügelschlag zur Chartslawine entwickelt. Anhand der einige Jahre zurückliegenden Hypes um Franz Ferdinand und Maximo Park wird demonstriert, wie diese Bands in den drei Zeitschriften vorgestellt, angepriesen und vielleicht sogar ignoriert wurden.
„Intro“ und „Spex“ haben sich sehr rasch und engagiert den Bereichen Kunst, Mode und Computerspiele geöffnet, der „Rolling Stone“ tut sich mit so etwas erwartungsgemäß eher schwer, widmet sich aber ausgiebig dem Thema Film (siehe „test of time“-Gütesiegel).
Um Geld geht es in „Musikkommunikatoren“ auch: Man verdient als angestellter Redakteur nicht gut, kann aber davon leben. Verkauft man zusätzlich als freier Autor Texte an andere Magazine, kann man sich „dumm und dämlich“ verdienen, Zitat „Rolling Stone“-Redakteur. Die tägliche Auseinandersetzung mit stapelweise eintreffenden Promo-CDs wird als Belastung empfunden, man weiß aber um sein Jammern auf hohem Niveau, da sich alle Interviewten grundsätzlich als privilegiert empfinden, kontinuierlich neue Musik hören zu können.
Wir springen von Themenschnipsel zu Themenschnipsel? Richtig, aber wir wollen an dieser Stelle ja auf das Buch neugierig machen und es nicht in Gänze referieren. „Musikkommunikatoren“ ist trotz einiger „Hab-ich-mir-gedacht“-Momente äußerst lesenswert – die soziologischen Exkurse in Kapitel 2 + 4 ermüden zwar sehr, gehören in eine Doktorarbeit aber wohl hinein.
André Doehring: Musikkommunikatoren. Berufsrollen, Organisationsstrukturen und Handlungsspielräume im Musikjournalismus. transcript, Broschur, 324 Seiten. Zur Verlagshomepage.
Im Folgenden stellen wir zwei aktuelle Alben vor, bei denen es a) von vornherein klar ist, dass Frau Mohr sie im CULTurMAG präsentiert und dass sie sie b) total gut findet. Wir wollen ja schließlich nicht unser mühsam erarbeitetes Profil zerstören!
Feiern, aber wild!
„La Liberación“: Der Albumtitel ist Programm! Die brasilianische Band Cansei de Ser Sexy, abgekürzt zu CSS (vier Frauen, ein Mann) stand ja auch schon mit ihren ersten beiden Platten nicht im Verdacht, sich allzu leicht in irgendwelche Schubladen stecken zu lassen. Nach bester DIY-Manier nahmen CSS, die sich nach Beyoncés Stoßseufzer, „I´m so tired of being sexy“ benannten, ihre erste Platte ohne musikalische Vorkenntnisse auf. Das Ergebnis war erstaunlich: Funky und punkig, Riot Grrrl meets Disco. Bassläufe, die den Magen umgraben und Parolen, die sich super mitsingen lassen. Songs wie „Let´s Make Love (and Listen to Death from Above)“ erhitzen auch heute jede Studi-Party.
CSS wollten aber noch mehr musikalische Freiheit – die sie durch inzwischen größere Versiertheit an den Instrumenten erreichen. „La Liberación“ leistet sich so einiges, Flamenco-Gitarren zum Beispiel und sogar einen relativ braven, poppigen Einstieg mit „I Love You“. Filmmusik-Anleihen mit Klavier bei „Partners In Crime“ und Mitsing-Liedchen wie „Hit Me Like A Rock“ tragen bei aller vordergründiger Lieblich- und Eingängigkeit die CSS-typische, rotzige Riot-Attitüde in sich, die sich spätestens bei „Rhythm To The Rebels“ und dem gerappten „Red Alert“ ungebremst Bahn bricht. Musikalisches Können hin oder her, CSS wollen mit euch feiern, und zwar wild.
CSS: La Liberación. Cooperative Music (Universal). Zur Homepage der Band.
Sehnsuchtsorte
Viele neue Platten klingen derzeit wie buntgewürfelte Mixtapes: junge Bands wollen sich nicht durch die Wahl eines einzigen Musikstils einschränken, surfen im Netz nach alten und neuen Sounds und schrauben dann gesichtslose Track-Collagen zusammen. Ganz anders kommt in diesem Kontext das Duo Yacht (Claire L. Evans und Jona Bechtolt aus Portland, Oregon) rüber: schon ihr letztes Album „See Mystery Lights“ aus dem Jahr 2009 begeisterte Fans und KritikerInnen, mit „Shangri-La“ gelingt den beiden das mühelos auch.
„Shangri-La“, ein Konzeptalbum zum Themenkomplex fiktive und reale Sehnsuchtsorte, beginnt mit „Utopia“ wie eine neue Single von Vampire Weekend: perlende Palmweinklänge, afrikanisch angehauchter Beat, sehr sweet; aber dann geht es in komplett andere Richtungen weiter. Träger Hip-Hop bei „Dystopia (The Earth Is On Fire)“, super-hypnotischer Elektro-Wave bei „One Step“; Hall, Echo und viel spaciger Bass beim minimalistischen „Holy Roller“, futuristischer Funk bei „Paradise Engineering“, anderswo Supermax-, DAF- und Kraftwerk-Zitate. „Tripped And Fell In Love“ könnte von Chicks on Speed sein, ist aber viel runder, satter, cooler; der folkpoppige Titel- und gleichzeitige Schlusstrack wirkt so camp & cheesy, als wäre Kid Rock kurz ins Studio reingeschneit, um mit Yacht eine genießbare Neuausgabe von „All Summer Long“ aufzunehmen.
Claires statische Vocals halten alles zusammen, die Lyrics sind schlau und böse. Yacht klingen wahnsinnig selbstsicher und allmighty, haben aber zum Glück noch keinen Grund für Arroganz gefunden. „Shangri-La“ ist einer der wenigen Volltreffer dieses Musiksommers. Vergäben wir Punkte, bekämen Yacht zwanzig von achtzehn.
Yacht: Shangri-La. Cooperative Music (Universal). Yacht bei MySpace.
Christina Mohr