Gut möglich, dass es nur meine persönliche Wahrnehmung ist, aber zurzeit werden so viele wichtige, gut zusammengestellte Compilations veröffentlicht, dass diese Kolumne in zwei Lieferungen erscheinen muss: die erste heute, die zweite im Oktober.
Interessant bei Samplern ist weniger das reine Tracklisting, oder ob der eine, lang gesuchte obskure Song drauf ist, von dem man höchstens noch die Refrainzeile erinnert, sondern ob sich über die Zusammenstellung eine Geschichte erzählen lässt – im besten Fall lernt man ja sogar etwas beim Hören; über KünstlerInnen, Labels, Stile, Städte, Mythen. Die im Folgenden vorgestellten Sampler haben jede Menge Stories zu bieten, wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit:
Early Soul Music: Soul City New York
Nach dem Doppelalbum „Soul City Detroit“ führt das Londoner Label Fantastic Voyage seine Serie fort, in der Schlüsselstädte für die Entwicklung der Soulmusic präsentiert werden. Weil New York City – anders als Memphis, New Orleans oder eben Detroit – keinen explizit eigenen Rhythm’n’Blues-Background hatte, verbindet man die Stadt an der Ostküste nicht unbedingt mit dieser Musik.
New York war aber schon immer ein extrem anziehender Magnet für KünstlerInnen, die es in die Stadt zog – und im guten alten melting pot dann doch ab den frühen 1960er-Jahren eine sehr lebendige, kreative und richtungsweisende Soulszene entstehen ließen. Buchautor und Soul-Koryphäe Clive Richardson hat „Soul City New York“ kompiliert und beschränkte sich dabei auf ganze zwei Jahre: 1961 und ’62. In dieser kurzen Zeitspanne passierte so viel: Ike & Tina Turner begannen ihre Zusammenarbeit, Dinah Washington, Jackie Wilson, Gladys Knight, Tommy Hunt, Sam & Dave die Isley Brothers nahmen erste Singles auf – mit teilweise riesigem Erfolg, siehe „Twist And Shout“, das von den Beatles zum Welthit gemacht wurde, aber im Original von den Isleys stammt.
Richardson stellt die New Yorker Soul-Men und -Women in Clustern (z. B. sechs Stücke hintereinander von Sam & Dave) vor, sodass man sehr gut die unterschiedliche Herangehensweisen in einer Epoche nachverfolgen kann, in der sich Soul erst aus dem rauen Rhythm’n’Blues herausbildete. Die Compilation schließt sehr eindrucksvoll mit dem wunderbar durchgedrehten Screamin‘ Jay Hawkins („I Hear Voices“ – indeed!).
Soul City New York. Doppel-CD. Fantastic Voyage.
Kölner Elektronik: 20 Jahre Kompakt / Kollektion 2
Ebenfalls eine „Nummer zwei“ ist „Kollektion 2“ aus dem Hause Kompakt: anlässlich des 20. Geburtstags des Kölner Labels, Vertriebs und Plattenladens entschieden sich die Betreiber sehr nachvollziehbar dazu, Schätze ihres beeindruckenden Back-Katalogs auf handliche Sampler zu packen.
Seit zwei Jahrzehnten ist Kompakt die erste Adresse für Elektronik aller, nein sagen wir, vielerlei Art: gegründet als Plattform für Minimal Techno, dem damals rasch das Siegel „Sound of Cologne“ aufgedrückt wurde, erweiterten Jürgen Paape, Michael Mayer und Wolfgang Voigt (zur Gründungscrew gehörten auch noch Reinhard Voigt und Jörg Burger) die Kompakt-Palette im Lauf der Jahre um Techno, House, Funky Beats, melodische Vocaltracks z. B. von Justus Köhncke, und und und – bei stets gleichbleibender Qualität.
Innovationen wurden in Kompakt-Händen umgehend zu Klassikern, siehe Jürgen Paapes eigene Tracks wie „So weit wie noch nie“. „Kollektion 2“ ist daher auch kein verwässerter Aufguss oder liebloser Nachklapp zur erfolgreichen ersten Kollektion, sondern ein weiterer tiefer Schritt ins gut bestückte Archiv, das gewiss noch einige Sammlungen hergibt.
Mit Tracks wie Schaeben & Voss‘ „Ach komm“, „Teaser“ von Lawrence oder Superpitchers „Irre“ ist „Kollektion 2“ schlicht und einfach ein Muss für alle FreundInnen elektronischer Musik, bei der auch mal um die Ecke gedacht und nicht nur stur im 4/4-Takt nach vorne getanzt wird.
20 Jahre Kompakt / Kollektion 2. Doppelalbum. Kompakt.
Bedtime Stories: Sunday in Bed Vol. 6 – sexy sounds for lazy lovers
Also ehrlich: Wer auch immer auf die Idee zu Compilation-Titel und Cover-Konzept gekommen ist, gehört geohrfeigt. Denn die „Sunday in Bed“-Reihe, die inzwischen bei Folge sechs (hahaha, 6/sechs, das klingt ja wie – hihi, Sie wissen schon) angelangt ist, verdient einen besseren, weniger zweideutigen Namen, und Fotos, die nicht so aussehen wie Werbung für ein eindeutiges Gewerbe.
Aber genug über Äußerlichkeiten geschimpft, denn wenn man sich erstmal traut, einen Blick auf die Trackliste zu werfen, ist das freudige Erstaunen groß: die Kompilierer Stefan & Leo Schmidt beweisen nämlich wieder ihr treffsicheres Händchen für eine geschmackvolle, jedoch nicht zu vorhersehbare Musikmischung, die Übelwollende als Easy Listening oder Lounge-Muzak bezeichnen könnten, die aber wesentlich mehr zu bieten hat.
Grob gesagt reicht die Bandbreite von Jazz über Deep House, Chanson, Soul und Pop aus mehreren Jahrzehnten, es werden aber nicht die üblichen Verdächtigen eines mittelmäßigen Barjazz-Samplers aufgefahren (na gut, ein paar doch: Tosca oder Smoove & Turrell), sondern viele echte, in Samt eingeschlagene Perlen wie zum Beispiel „I Dream With An Angel Tonight“ von Sally Shapiro, Adam Greens aktueller musikalischer Partnerin – oder Retterin, je nach Sichtweise. Oder der immerhin schon sechzehn Jahre alte Drum’n’Bass-Track von Adam F, für den er niemand Geringeren als Tracey Thorn als Gastsängerin engagierte.
Oder „I Just Can´t Get You Out Of My Mind“, ein großer Hit der Four Tops von 1974; Schmuse-Funk-Altmeister George Benson mit „My Woman´s Good To Me“ und Rufus Wainwright mit „Out Of The Game“. Ein paar Youngster, die ihr Stehvermögen (hihi, bitte verzeihen Sie, aber der Albumtitel verleitet einfach zu kleinen Zoten) erst noch beweisen müssen wie Mayer Hawthorne und Jessie Ware sind auch dabei und fügen sich harmonisch in diesen Songreigen, mit dem man den Sonntag vortrefflich zubringen kann – muss ja nicht unbedingt im Bett sein.
Sunday in Bed Vol. 6 – sexy sounds for lazy lovers. Doppelalbum. 25 Records/Clubstar Records). Zur Facebookseite.
Christina Mohr