Geschrieben am 7. September 2011 von für Musikmag

Mohr Music: The Rapture – In The Grace Of Your Love

In dieser Folge ihrer Kolumne widmet sich Christina Mohr einem Album ganz allein. Immerhin ist es das vierte der Band The Rapture, die mit ihrem Album „Pieces of People We Love“ im Jahr 2006 nicht nur Frau Mohr zum Durchdrehen brachte.

The Rapture: In The Grace Of Your LoveZu schade für den Elektrogeräteladen

Zu den denkwürdigsten Konzerterlebnissen von Frau Mohr gehört ein Auftritt von The Rapture im September 2006 im Apple Store in Manhattan/NYC. Das Konzert war umsonst (alles andere wäre ja auch noch schöner gewesen!), dementsprechend zahlreich wickelten sich die anstehenden Fans in einer großen Schlange um den Häuserblock. Auf wundersame Weise kamen aber doch alle rein und verteilten sich im picobello aufgeräumten und gleißend hell erleuchteten Verkaufsraum. Bevor die Band anfing, konnte man sich die neuesten Apple-Erzeugnisse anschauen, beaufsichtigt vom Sicherheitspersonal. Dass in dieser Umgebung tatsächlich so etwas wie Partystimmung aufkommen konnte, war nicht selbstverständlich, aber The Rapture brachten mit ihrem tighten und dabei so dionysisch-entfesselten Spiel die Leute zwischen den Regalen zum Durchdrehen.

2006 befand sich die Band um Sänger Luke Jenner auf ihrem Zenit: Drei Jahre zuvor hatten sie mit der Cowbell-Dancehymne „House Of Jealous Lovers“ vom Album „Echoes“ das Revival von Postpunk, Funk und Disco eingeläutet. Mit !!! und Radio 4 bildeten The Rapture die Speerspitze eines Trends, dem sich viele anschlossen und den doch niemand so schlüssig, stimmig und schweißtreibend auf Platte und Bühne brachte wie diese drei. „Pieces Of The People We Love“, das Album, das The Rapture im Apple Store promoteten, wies allerdings erste leise Anzeichen des Ideenstillstands auf – sofern „Stillstand“ das richtige Wort im Zusammenhang mit dieser Musik ist, die sich auf Vorfahren wie Konk!, Gang of Four und Liquid Liquid beruft, und gleichzeitig unmissverständlich in die Zukunft weist.

Ob The Rapture das Treten/Tanzen auf der Stelle selbst bemerkten oder ob andere Gründe für die lange Veröffentlichungspause zwischen „Pieces…“ und dem neuen Album „In The Grace Of Your Love“ verantwortlich sind, ist Spekulationssache. Tatsache ist, dass fünf Jahre im Popgeschäft eine halbe Ewigkeit sind. The Rapture mussten also damit rechnen, im Nirvana des Vergessens verschwunden zu sein, aber bauten selbstbewusst darauf, dass eine neue Platte von ihnen immer heiß erwartet wird, egal wann sie kommt. Vielleicht sind ihnen solche Erwägungen auch völlig egal: The Rapture existieren seit 1998, „In The Grace Of Your Love“, das wie ihre ersten Singles wieder bei DFA Records erscheint, ist ihr viertes Album. Unüberlegten Output kann man der Band also nicht vorwerfen.

Bei aller Exaltiert- und Überdrehtheit ist „In The Grace Of Your Love“ das Ergebnis durchdachter Arbeit, bei der einige Änderungen am Bandkonzept vorgenommen wurden. Zuallererst: die Kuhglocke ist weg. Das ist ein durchaus bedeutsamer Schritt, schließlich war die Glocke neben Luke Jenners Falsett-Stimme das charakteristische Element des Rapture-Sounds. Dafür gibt es mehr Saxofon: Das einstige No-Go-Instrument erlebt derzeit eine neue Blüte und darf wieder ohne Kitschvorwurf eingesetzt werden. The Rapture erwiesen sich auch in diesem Punkt als Visionäre, schon auf ihrem letzten Album wurde ausgiebig getrötet – wenngleich eher in James Chance-Manier und nicht als Referenz an schmierlappige Achtzigerjahre-Hits.

Daneben zeigt sich eine Entwicklung vom Track zum Song: The Rapture, nach dem Ausstieg von Bassist Mattie Safer als Trio unterwegs, verstehen sich als Band, die Stücke schreibt, und nicht nur tanzbare Beats mit interessanten Soundeffekten aufhübscht. Das verfängt nicht sofort und komplett. Am unmittelbarsten zünden die Rapture-typischsten Songs: der Opener „Sail Away“, „Never Die Again“, „Can You Find A Way“ und „How Deep Is Your Love“ mit zisselnden, zischenden Hi-Hats, tief pumpendem Bass und fiebrigen Gitarren schubsen einen mitten ins urbane Clubgetümmel, euphorisch, treibend, pulsierend, elegant. „

Blue Bird“ und „Roller Coaster“ mit ihren Rock’n’Roll-Gitarren klingen aufgekratzt, aber nostalgisch, riechen nach Meer und Surf-Romantik. Der Titeltrack ist von minimalistischer Klarheit, reduzierter Elektro-House trifft auf Jenners hungrige Liebeslyrik. „Come Back To Me“ ist trotz der lustigen Ziehharmonika das am wenigsten gelungene Stück: Schunkelrhythmus und Eurodisco-Anmutung wirken halbgar und trashig. „Children“ ist big, beinahe Gospel, und am Albumschluss wartet mit „It Takes Time To Be A Man“, einer Verbeugung vor Siebzigerjahre-Singer-/Songwritern wie Leo Sayer die vielleicht größte Überraschung.

Mit Philippe Zdar, der unter anderem das letzte Phoenix-Album und die neue französische Disco-Hoffnung Housse de Racket produziert hat, holten sich The Rapture sich einen sehr offenen und wenig dogmatischen Mann ans Mischpult. Zdar liess The Rapture Neues ausprobieren, ohne dass Energie und Euphorie verloren gingen.

„In The Grace Of Your Love“ braucht ein bisschen Zeit, um seine volle Schönheit zu offenbaren, was viel verlangt sein mag von einer Band, die bislang für ungefiltert expressive und umstandslos körperliche Musik stand. Als Soundtrack für Elektrogeräte-Läden ist dieses Album jedenfalls definitiv zu schade.

Christina Mohr

The Rapture: In the Grace Of Your Love. DFA/Cooperative (Universal). Zur Homepage und zu myspace.

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