Geschrieben am 21. August 2013 von für Musikmag

Mutazione: Italian Electronic and New Wave Underground 1980 – 1988

mutazioneKritisch betrachtet

– (MO) Das britische Label Strut hat sich vor allem durch die Bergung verschollener Dance-Schätze einen Namen gemacht: antike Calypso-Aufnahmen, Underground-Disco, Oldschool-Hip-Hop und Afrobeat landeten dank Strut Records auch in schicken Kaffee- und Cocktailbars. Mit der jüngsten Compilation „Mutazione“ begibt sich Strut erstmals auf dezidiert politisches Terrain: WALLS-Musiker Alessio Natalizia hat 26 weitgehend unbekannte Tracks zusammengestellt, die aus einer Zeit stammen, die in Italien „anni di piombo“ (Jahre des Bleis) genannt wird.

In den 1980er-Jahren sah sich Italien einer Welle internen politischen Terrors ausgesetzt, Opposti Estremismi bekämpften sich und das jeweils verhasste System, viele Zivilisten und Politiker wurden getötet. Diese Jahre waren aber auch die Ära des Postpunk, New Wave, frühem Elektropop, Industrial und Prä-Gothic: italienische Bands experimentierten wie ihre KollegInnen in England, Deutschland und überall auf der Welt mit neuen Sounds und Ausdrucksmöglichkeiten. Italienische Postpunk-Acts verarbeiteten nachvollziehbarerweise den politisch motivierten Terror in ihrer Musik, weshalb viele Tracks nur auf privat kopierten Cassetten erscheinen konnten.

Natalizias Recherchearbeit ist daher ein wahres Mammutwerk – und teilweise mit Vorsicht zu genießen. Promo-Info und CD-Booklet beschreiben die Tracks auf „Mutazione“ recht salopp und sorglos als „reaktionäre Raritäten“, die während „dieser turbulenten Zeit“ aufgenommen wurden. Darunter fallen z. B. etablierte Acts wie Die Form, die mit ihrem frühen Song “Are You Before” auf dem Sampler vertreten sind; aber auch zweifelhafte Combos wie Kirlian Kamera, die den üblichen Neo-Irgendwas-Quatsch daherreden, dass sie zwar mit verbotener Symbolik spielen, aber hey, schließlich sind es nur Symbole, oder etwa nicht? Da wären ein paar erklärende Worte durchaus wichtig.

Auch darf man von „Mutazione“ nicht erwarten, damit den nächsten Wave-Discoabend beschallen zu können: viele Tracks bestehen aus verstörenden Stimm-Fetzen und extrem experimentellem Elektro, der kaum zum Tanzen geeignet ist. Fazit: ein höchst interessantes Album mit vielen Entdeckungen, das aber in die Hände kritischer KonsumentInnen gehört.

Christina Mohr

Mutazione: Italian Electronic and New Wave Underground 1980 – 1988. Compiled by Walls. Doppelalbum. Strut.

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