Geschrieben am 6. Juni 2012 von für Musikmag

Paul Simon: Graceland. 25th Anniversary Edition

Paul Simon: Graceland. 25th Anniversary EditionDer Himmel über Afrika

– 25 Jahre ist das schon her?! Wie alt man selbst wird, merkt man an Kindern und an den guten Platten, die dann als Special Edition wieder neu auftauchen. So wie Paul Simons grandioses Album „Graceland“. Von Tina Manske

Das Album, im Jahr 1986 erschienen, verkaufte sich mehr als 14 Millionen mal; 1987 gewann „Graceland“ den Grammy als „Album Of The Year“, ein Jahr später wurde das Titellied als „Song Of The Year“ ausgezeichnet. Es hatte auf Generationen von Musikern eine enorme Wirkung – die zuletzt sehr erfolgreichen Vampire Weekend zum Beispiel berufen sich mit ihrem Sound ganz explizit auf „Graceland“. Das Album ist eines der erfolgreichsten in der Geschichte der sogenannten Weltmusik, und ihr Prototyp, denn wie besser könnte man zwei verschiedene Kulturen amalgamieren?

Man erinnert sich heute kaum noch daran, dass nicht jeder begeistert war dieser Platte und den Aktivitäten, die Paul Simon drumherum veranstaltete. Man beschuldigte ihn einerseits durch seine Reise nach Südafrika den weltweiten Boykott der Apartheidsreigierung zu unterlaufen und andererseits die schwarzen Musiker für seine Zwecke auszubeuten. Aus heutiger Sicht ein geradezu absurder Vorwurf: Die Musiker selbst wollten ja mit ihm spielen, und wer würde von Musikern wie den wunderbaren Ladysmith Black Mambazo, den The Boyoyo Boys oder Joseph Shabalala heute noch reden, hätte Simon sie nicht bekannt gemacht? Vertretern der Ausbeutungstheorie hielt Simon damals entgegen: „Ich soll also nicht mit denen spielen? Warum nicht? Nur weil ich weiß bin? Wir sind alle Musiker. Glaubt ihr nicht, dass es eine Zusammenarbeit zwischen Musikern geben kann?“ Bei einem Paul-Simon-Konzert in Südafrika soll es Morddrohungen gegeben haben – es fand trotzdem statt.

Starke Textebene

Nun kann man Paul Simons Meisterwerk in einer „25th Anniversary Edition“ neu (oder gern auch zum ersten Mal) erleben, in einem Package zusammen mit Bonustracks und Videos. Als DVD ist der sehenswerte Film „Under African Skies“ von Joe Berlinger Teil der Edition. Er begleitet Paul Simon auf einer erneuten Reise nach Südafrika und zeigt die Wiederbegegnung mit den damaligen Protagonisten. Sie kommen noch einmal zu Wort, denen „Graceland“ damals soviel gab und die es zu etwas Besonderem machten. Auch zur Entstehung des Albums erfährt man eine Menge.

Allein die Bonustracks mit Demosongs und frühen Versionen von „Homeless“, „Diamonds On The Soles Of Her Shoes“ (das ganz besonders), „All Around The World“, „You Can Call Me Al“ (zum Video hier) und „Crazy Love“ zeigen das beeindruckende musikalische Gewicht, das hier am Werk war, mit einem der besten Songwriter der westlichen Welt und großartigen afrikanischen Musikern. Unter den Kollaborateuren waren nicht zuletzt die 2008 gestorbene Miriam Makeba, Hugh Masekela, The Everly Brothers und Youssou N’Dour, der wenig später mit „7 Seconds“ seinen Durchbruch hatte.

Der Titelsong allein trägt schon soviel auf seinen Schultern, und ohne Zweifel ist er einer der größten Popsongs aller Zeiten. Wenn Paul Simon die Geschichte erzählt, die zum Song „Graceland“ geführt hat, könnte man ihm stundenlang zuhören. Hinterher hört man noch viel mehr heraus: Wie Simon hier tatsächlich zum ersten Mal über die Lyrics die Grenze zwischen Strophe und Refrain verschwinden lässt (das Wort „Graceland“ erscheint nicht nur im Refrain, sondern auch in den Strophen), wie der Rhythmus die alten Sun-Records-Platten der 50er-Jahre aufnimmt, und wie – transferiert durch den Rhythmus – auch der Text nach Memphis driftet: „The Mississippi Delta was shining/ Like a National guitar“ – der Rest ist Geschichte.

Die Songs sind auf so vielen Ebenen großartig, aber besonders auch auf der textlichen. Wie Whoopi Goldberg im Film ganz richtig feststellt: „The boy in the bubble and the baby with the baboon heart“ („The Boy In The Bubble“) – kann man es auf phonetischer Ebene noch besser machen? Außer vielleicht so: „And sometimes when I’m falling, flying/ Or tumbling in turmoil I say/ Oh, so this is what she means“… Charaktere entstehen vor unseren Augen: das Mädchen „who calls herself the human trampoline“, der „poor boy, empty as a pocket with nothing to lose“. Und auch die afrikanischen Texte: im Zweifel ist da nicht von Völkerverständigung die Rede, sondern von Mädchen in kurzen Röcken. Aber „Graceland“ übertrug, anders als etwa Peter Gabriels „Biko“, die politische Botschaft eben nicht genuin über den Text; die Musik war die Botschaft, die Fröhlichkeit, die sie herstellte, das Bewusstsein, dass es da in Afrika noch mehr gab als hungernde Menschen, nämlich Menschen mit einer Geschichte, die tanzen.

Tina Manske

Paul Simon: Graceland. 25th Anniversary Edition. Legacy Edition/Sony Music.

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