Geschrieben am 22. April 2010 von für Musikmag

Recoil: Selected

Erotik statt Esoterik

Alan Wilders Best-Of-Album bietet keine Musik für die Massen, sondern ausgesuchten Elektro-Sound für Einzelgänger. Von Jörg von Bilavsky

Alan Wilders geniale Komposition für Depeche Mode klingen uns noch immer in den Ohren. Von 1982 bis 1995 prägte der Keyboardvirtuose den typischen Sampling-Sound der britischen Kultgruppe. Dank Wilders kreativem Songwriting wandelten sich die Synthie-Popper zu einer ernsthaften Synthie-Band. Als Depeche Mode und ihr drogenberauschter Sänger Dave Gahan 1995 in eine existentielle Krise stürzten, stürzte sich Wilder voll und ganz auf sein musikalisches Soloprojekt Recoil. Vier Alben hat er seitdem veröffentlicht, weitgehend unbemerkt von den Fans des Elektropop-Mainstreams. Keine „Music For The Masses“ hat er in den letzten zwölf Jahren produziert, sondern eher Musik für alle Freunde des experimentellen Techno-Jazz. Seine Songs klingen nicht so martialisch-bombastisch wie Dave Gahans späteres Soloalbum „Hourglass“ und auch nicht so minimalistisch-melancholisch wie das „Counterfeit“-Projekt von Martin Gore, dem anderen großartigen Songwriter von DM.

Sphärische Spannweiten

Vierzehn seiner besten Songs hat er nun auf der CD „Selected“ versammelt, neu gemastert und neu editiert. Sie bilden Wilders ungemeine musikalische Spannweite ab. Allein im schroffen „Killing Ground“ verschmelzen Hip-Hop, Lounge und Country zu einer abenteuerlichen musikalischen Melange. Mystischer, aber ebenso eindringlich klingen seine sphärischen Songs „Want“, „Last Breath“ oder „Shunt“. Wobei letzterer mit seinem temporeichen Flow eher einem Turboritt durch die unendlichen Weiten des Weltalls gleicht. Überhaupt scheinen die meisten seiner Kompositionen nicht von dieser Welt zu sein. Trotz solider Bass-Beats, schneidender Samples und den geerdeten Soulstimmen seiner Sänger und Sängerinnen scheint der Recoil-Sound bisweilen von der hiesigen Schwerkraft befreit. Nicht esoterischer, sondern erotischer Elektro-Sound schallt uns von Wilders Best-of-Album entgegen. Die Masse verführt man damit freilich nicht, unerschrockenere und aufgeschlossenere Seelen aber ganz bestimmt.

Jörg von Bilavsky

Recoil: Selected. Mute (Vertrieb: Good To Go).

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