Geschrieben am 12. Februar 2018 von für Musikmag, News

Rolf Barkowski: Vier Bluesmusiker, die uns 2017 verlassen haben

Even The Devil Gets The Blues 

Nicht mehr auf der Bühne – Ein Farewell von Rolf Barkowski.

Lang, viel zu lang ist die Liste der Musiker, die uns in 2017 verlassen haben.

Chuck Berry, Fats Domino,Tom Petty, Holger Czukay, Malcolm Young, Walter Becker, Glen Campbell, Joy Fleming, David Cassidy, Jacki Liebezeit, Butch Trucks, Johnny Halliday, Gregg Allmann – viele große Namen (und die Liste ist nicht vollständig). Allseits bekannt und vom Feuilleton gewürdigt.

1) DVD Hail! Hail! Rock`N` RollBesonders Chuck Berry.

Wer wissen will, welch schräger Vogel Berry tatsächlich gewesen ist, dem sei hier ausdrücklich die Doppel-DVD „Hail! Hail! Rock `n` Roll“ empfohlen. Das Material auf der Bonus-DVD (mehr als zwei Stunden) – lohnenswert! Zu sehen, wie Chuck Berry Keith Richard fast zur Verzweiflung treibt – einfach köstlich. Er ist wohl – neben Mick Jagger – einer der wenigen, die es schaffen, Keith Richard ein ums andere mal aus der Fassung zu bringen.

Oder die erste Begegnung zwischen Chuck Berry und Etta James …

So groß auch Berry`s musikalischen Verdienste sind (Keith Richards großes Vorbild) – hier wird deutlich, was für ein Typ Mensch Berry war. Ein – sagen wir mal ganz rücksichtsvoll – `Ausnahmetyp`.
Aber bitte: DVD in den Player, ab aufs Sofa und selber ein Bild machen.

Doch neben den großen Namen nun das Augenmerk auf ein paar kleine Namen, auf nicht sooo bekannte Künstler, Musiker. Schon zu Lebzeiten nur den Hardcore Fans bekannt (?) und – ich befürchte – jetzt nach ihrem Tod vielleicht schnell vergessen. Allemal Persönlichkeiten, allemal einmalig.

Die roten Schuhe blank geputzt, die Krawatte sitzt. Elegant eben, wie es sich für die Bühne gehört, sitzt Leo `Bud` Welch im Publikum. Schwer atmend, trotzdem die Zigarette im Mund, wartet er auf seinen Auftritt. Es ist soweit. Die ersten zwei Nummern singt Vencie Varnado, sein Freund, Förderer und Manager.

Ansonsten: am Schlagzeug Dixie Street, Leo `Bud `Welch an der Gitarre und Vocals –   mehr braucht es nicht für einen gelungenen Auftritt. Perfektion und Virtuosität sind nicht angesagt.

Energie und Gefühl pur.
Leo `Bud` Welch.

2) Leo`s red shoes

3) Smoking Leo `Bud` Welch

Im Alter von 81 Jahren entdeckt werden und einen festen Platz auf der Bluesbühne finden – was für eine Geschichte. Leo `Bud` Welch durfte dieses späte Glück erleben.

Jahrelang ist die Sabougla Baptist Church sein zu Hause. Leo spielt Gospels im Kirchenchor Sabougla Voices.Bis er beim Konzert zum 50.jährigen Geburtstag von Vencie Varnado, (seinem zukünftigen Freund, Förderer, Manager) auftritt. Vencie ist begeistert von der Energie und Musik Leo `Bud` Welchs und bringt den Musiker bei Fat Possum unter Vertrag.
Und so betritt Leo Anfang Januar 2014 mit seinem Gospel/Blues Album „Sabougla Voices“ die Bluesbühne. Zwei Monate vor seinem 82.Geburtstag.

4) Dixie Street -drums, Leo `Bud` Welch- guitar

5) Leo `Bud`Welch auf der Bühne

Unzählige Auftritte in Clubs und bei Festivals in Mississippi folgen. Und sogar bis Europa (London, Österreich, Schweiz) geht es für Leo `Bud` Welch.

Fast rastlos scheint die späte Reise, die der Musiker antritt. Große Pausen sind nicht sein Ding, er sprüht vor Energie bei jedem seiner Auftritte. Die Alben „I Don`t Prefer No Blues“ (2015) und die CD/DVD „Live At The Iridium“ (2016) erscheinen. Doch die gesundheitlichen Probleme werden leider immer größer.
Im Oktober 2017 war Leo `Bud` Welchs Gig beim King Biscuit auf der Lookwood Stackhouse Stage fest eingeplant, aber er konnte schon nicht mehr auftreten.
Am 19.Dezember 2017 nun die Nachricht vom Tod Leo `Bud` Welchs.
Bei aller Trauer – mit über 80 Jahren noch solch intensive und reiche Jahre erleben zu dürfen – dem Blues sei Dank.
Für alle die Leo Bud Welch noch `sehen` möchten: Wolfgang Almer (Filmproduzent) und seine Freunde waren von Leo `Bud` Welchs Auftritt in Österreich so begeistert, das sie (finanziert per Crowdfunding) in 2016/2017 die Dokumentation „Late Blossom Blues: The Journey Of Leo Bud Welch“ produziert haben. Hoffentlich auch bald in Deutschland zu sehen.

Auch er war im Oktober 2017 beim King Biscuit Blues Festival angekündigt: Cedell Davis
Am 6.Oktober auf der Dr. Ross Stage sollte er spielen. Doch da war er schon über eine Woche tot (27.9.2017). Gestorben mit 91 nach einem harten Leben voller Schicksalsschläge.
Mit zehn Jahren erkrankt er an Polio. Seine Arme, Finger und Beine bleiben ein Leben lang teilweise gelähmt.
Als 30jähriger tobt 1957 die Menge bei einer Massenpanik über ihn hinweg, seine Beine werden mehrfach gebrochen und zwingen ihn von da an in den Rollstuhl.
Slide spielen mit dem Buttermesser aus Metall – das ist sein Markenzeichen.

Bis 2005. Ein Schlaganfall macht das Gitarre spielen nun ganz unmöglich.
Cedell verschwindet in einem Pflegeheim. Doch mit der Hilfe von Greg und Zakk Binns (die nun als CeDell Davis Band fungieren) findet er 2009 zurück auf die Bühne. Die Stimme ist sein letztes `Instrument`. Sein Gesang, sein Charisma, die Band im Hintergrund – das funktioniert.
Cedell macht weiter – weitere Auftritte (zwei Touren in Europa!) folgen und 2016 erscheint sein letztes Album „Even The Devil Gets The Blues“. Ob dieses Lebenslaufes ist man doch nur sprachlos, oder?

6) Ankündigung CeDell DavisSamstag, 6.Oktober 2016. King Biscuit Blues Festival in Helena, Mississippi. Cedell Davis ist wieder da. Nicht auf der Hauptbühne, auf keiner Nebenbühne. Nein – zurück auf der Cherry Street. Da wo er als Jugendlicher an den Straßenecken Musik gemacht hat, in den Juke Joints Helenas aufgetreten ist. Als Helena noch eine blühende Metropole war und im Hafen die Baumwolle weltweit verschifft wurde.Wo er Robert Nighthawk kennenlernt, mit dem er von 1953 bis 1963 zusammenspielt.
Über 50 Jahre später zurück auf der Straße und der Kreis schließt sich heute. Cedell Davis wird begleitet von einer Band junger Musiker und promotet seine neueste Aufnahme: „Last Man Standing.“

Wir Zuschauer erleben einen berührenden Auftritt dieses gebrechlichen alten Musikers. Man meint, sein Schicksal in seinem Gesicht ablesen zu können. Doch wenn Davis anfängt zu singen, verfliegt all der Schmerz. Der Teufel verzieht sich für eine Weile, der Blues bleibt und lebt. In dieser Stunde heißt der Blues Cedell Davis.

7) CeDell Davis

8) CeDell Davis

9) CeDell Davis

Bis heute sehenswert: „Blues Back Home“, die Dokumentation von 1984 (zu finden auf YouTube).
Hörenswert: aus der Diskographie: „Living Country Blues, Vol.5″ (hier 4 von 12 Titeln)

9,a) Robert `Bilbo` Walker

Auch der nächste Musiker muss erst 80 Jahre alt werden, bis sich sein wohl größter Traum endlich erfüllt. Der Traum von einem eigenen Juke Joint – von Wonder Light City.

So nennt Robert `Bilbo` Walker den Club, den er 2017 endlich in New Afrika bei Aligator in Mississippi (zehn Minuten von Clarksdale) eröffnet.
Über fünf Jahre hat er geschuftet, um aus der vom Militär ausgemusterten Wellblechhütte seinen Club zu schaffen.

14) Wonderlight City, Bilbo`s Club

Robert `Bilbo` Walker – einer der wohl schrillsten Musiker aus dem Mississippi Delta.
Ein bunter Hund mit strubbeliger Lockenperücke und farbenprächtigen Anzügen, die Straßen von Clarksdale und Umgebung unsicher machend mit seiner Stretch Limousine.
Launisch, ungenießbar bis unberechenbar war er. Nicht jeder Musiker, mit dem er ein Konzert startet, konnte sicher sein, am Ende des Sets noch auf der Bühne zu stehen / Mitglied der Band zu sein
Als `Chuck Berry Jr`. macht sich Bilbo Walker zu Beginn seiner Musikerlaufbahn einen Namen. Auf der Bühne die absolute Chuck Berry Kopie: jede Menge Chuck Berry Songs und ein perfektes Duckwalkin, das beherrscht er bis ins hohe Alter perfekt. Hinzu kommt das `one hand guitar playing`: „… that nobody never seen und nobody ever did like me“ (Zitat `Bilbo´ Walker).

10) Bilbo Walker, Front Porch in Helena

11) Bilbo Walker

Bei seinen letzten Auftritten auf der Front Porch beim King Biscuit und beim Cat Head Mini Festivals in Clarksdale 2017 kommt er direkt aus dem Krankenhaus, direkt von der Strahlentherapie.
Sichtlich geschwächt und mit großer Halskrause kommentiert er seinen lädierten Zustand mit: „Ich habe versprochen zu kommen und eine Zusage ist eine Zusage. Also bin ich hier und gebe mein bestes….“ Gesagt, getan. Eigentlich ist er viel zu schwach. Doch die folgenden 40 Minuten zeigen, warum Bilbo Walker für Roger Stolle (Besitzer des Cathead Laden in Clarksdale) “ one of the greatest living performers of blues, rock and soul in the Misssissippi Delta“ ist.

Aber Bilbo Walkers Erschöpfung ist riesig. Mehr geht bei diesen zwei Gigs wirklich nicht. Am 29.November 2017 stirbt Robert `Bilbo` Walker an Krebs. Neben vielen You Tube Videos ist Robert `Bilbo` Walker zu sehen in:
„M For Mississippi“ (2008)
„Moonshine & Mojo Hands“ (2015), beide Dokumentationen Roger Stolle & Jeff Konkel.

12) Bilbo Walker, Cat Head Mini Festival

13) Bilbo Walker

Ohne große Ankündigung kommt er beim Pinetop Perkins Homecoming 2013 auf der Hopson Plantation in Clarksdale auf die Bühne. Der `special guest`: James Cotton.

Ein breites Grinsen, eine kurze Ansage. Die Stimme krächzt. Nach dem Kehlkopfkrebs 1994 und anschließender OP ist Cotton kaum noch zu verstehen. Gesang ist ihm so gut wie unmöglich.
Egal – James Cotton hat überlebt. Und sein wichtigstes Instrument war und ist noch immer die Mundharmonika. Los geht es. Begleitet von den zwei Bob`s – Bob Stroger am Bass und Bob Margolin Gitarre – folgt ein begeisternder Auftritt des Mr.` Superharp`.

15) James Cotton

16) James Cotton & Bob Margolin

Von den vier Bluesmusikern, an die hier erinnert und deren Tod in 2017 beklagt wird, ist James Cotton der bekannteste. Partner von Howling Wolf, zwölf Jahre Mitglied in der Muddy Waters Band, zehn gewonnene Blues Awards, die Aufnahme in die Blues Hall of Fame 2006 und ein respektable Diskografie – den Titel Mr. Superharp hat sich James Cotton in einem langen Leben erarbeitet und verdient.

James Cotton stirbt am 16.März 2017.

In Gedenken an ihn einfach noch mal seine letzte Aufnahme „Cotton Mouth Man“ anhören.

Zwölf Titel, davon sieben mit Tom Hambridge selbst geschriebene. Begleitet von großen Namen (Gregg Allman, Keb` Mo, Ruthie Foster etc.), zeigt Cotton noch einmal die ganze Facette seines Mundharmonikaspiels.
Der persönlichste Titel und gleichsam eine Art Vermächtnis, das letzte Stück: „Bonnie Blue„.
‚Colin Linden an der Gitarre, James Cotton Vocals & Harmonica – ja Cotton singt! Er erzählt seine Geschichte mit dem brüchigen Rest der Stimme, es knarzt und klingt wie Schmirgelpapier im Hals und die Harmonika jammert.

17) Mr.Superharp

18) James Cotton

CeDell Davis, geb.9.6.1926
Leo `Bud` Welch, geb.22.3.1932,
James Cotton, geb.1.7.1935
Robert `Bilbo` Walker, geb. 19.2. 1937

Wieder eine Generation von Bluesmusikern, die die Bühne verlassen hat.

In den 30er Jahren geboren, haben diese Menschen noch die tägliche Schufterei auf den Baumwollfeldern erlebt und mussten die Rassendiskriminierung in allen Facetten in ihrem Alltag ertragen. Musiker, die sich nie aufgegeben haben und nie aufgehört haben zu träumen. Jeder von ihnen mit einem einzigartigen Lebensweg voller Höhen und Tiefen. Deren Träume am Ende ihres Lebens in Erfüllung gegangen sind.

Musiker, deren Markenzeichen weder großartige Technik oder besondere Virtuosität war.

Ihre Haltung, ihr Herzblut – das hat sie ausgezeichnet.

Ich hatte das große Glück, diese Musiker noch bei ihren letzten Auftritten in Mississippi zu sehen. Sie live zu erleben, ihre Energie und Begeisterung zu spüren – eine unvergessene Erfahrung.

Die Musik, der Blues war ihr Lebenselixier. Gleichzeitig sind es genau diese Menschen, die den Blues leben und ausmachen.

„ As long as I stay around, I think (the blues) is going to stay around – `cause I`m gonna keep playing   `em. The blues is part of me. I could do something else if I tried, but the blues is me. I`m all right with the blues , and they`re all right with me.“ (James Cotton im Gespräch mit David Whiteis, Living Blues 224)

Es wird spannend zu sehen, wie die nachfolgenden Generation von Musikkern den Blues `leben`.
Welche Haltung und Leidenschaft können sie entwickeln? Welche Träume haben sie?
Braucht es ein Baumwollfeld um den Blues zu spielen?
Wie viel Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit oder Wut ist nötig?

Über eins brauchen sie sich – sofern ihre Hautfarbe schwarz ist – wohl leider keine Gedanken zu machen: das Thema Rassendiskriminierung. Sorgt doch gerade Trump dafür, dass die alten Gräben wieder aufgerissen und die Grenzen zwischen schwarz und weiß ebenso wie zwischen arm und reich täglich größer werden.

Rolf Barkowski, 10. Februar 2018
Seine mit eigenen Fotos üppig illustrierten CulturMag-Artikel und Reportagen von den Blues-Festivals am Mississippi hier.

19) ...die Zukunft des Blues...Akeem Kemp,2017 in Helena

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