Neue alte Platten von und mit Asmus Tietchens, Pyrolator, Conrad Schnitzler und Günter Schickert, wiederveröffentlicht auf dem Label Bureau B und gehört von Tina Manske.
Zum Heulen schön
Asmus Tietchens zum Beispiel, der sonst gerne kundige Linernotes für die Platten seiner Kollegen verfasst (und vom dem ich immer wieder einiges lerne), hat ja auch selbst coole Platten gemacht. Zwei davon werden jetzt wieder unters Volk gebracht, nämlich „In die Nacht“ (1982) und „Litia“ (1983), ursprünglich veröffentlicht auf Sky Records.
Tietchens zeigte sich auf diesen beiden Alben als Meister des abstrakten Pops. Zwar sind die Titel ungemein verkopft, fast mathematisch aufgebaut, und doch sind sie auch quietschig genug, um auch Hörer abseits des Pop-Intellektualismus zu finden. Bei „In die Nacht“ konnte Tietchens zum ersten mal mit einem Polymoog arbeiten und Akkordeon verwenden. Das ließ die bisher verwendeten Minimoog und Rhythmusmaschine in den Hintergrund treten, was den Titeln eine höchst atmosphärische Stimmung verleiht.
So wenige Instrumente, und doch so eine stilistische Bandbreite – vom düsteren Titeltrack bis hin zu beinahe Uptempo-Melodien. Tatsächlich hört sich manches auf „Litia“ so an, als werde da gerade der allererste Rave vorbereitet. Sprachspielerische Andeutungen gibt es mit Titeln wie „Unterhaltsmusik“ auch schon, Ansätze, die Tietchen dann in den 90er-Jahren sehr explizit machte. Auf „Litia“ erweiterte er im Übrigen seine Auswahl an Instrumenten: so konnte er an der digitalen Rhythmusmaschine mit Samples arbeiten, zusammen mit dem neuen Korg Polysix (merke: die Geschichte der elektronischen Musik ist immer auch Technikgeschichte!) stand ihm damit eine ganze Phalanx an echten und behaupteten Instrumenten zur Verfügung.
„’Wunderland‘ ist so schön – als ich die Platte das erste Mal hörte, musste ich weinen“, sagt Andreas Doraus über Pyrolators 1984 erschienene Platte „Pyrolator’s Wunderland“. Man kann ihm da nur zustimmen bzw. in das Klagelied der Alten einstimmen: so was wird ja heute gar nicht mehr gemacht.
Das Album entstand in New York, wo das Indielabel Ata Tak so etwas wie eine US-Dependance unterhielt. Beste Zeiten, um mit auf der Welle aus Elektronika, Rap und Hip-Hop zu schwimmen, die dort damals gerade Schwung aufnahm? Denkste: Kurt Dahlke aka Pyrolator machte genau das Gegenteil, nämlich ein Album, das mit seinen naiven Melodien, knuffigen Sounds und Einsprengseln von Tierstimmen auch bei Kindern ganz wunderbar ankommen dürfte. Allein so ein Track wie „Der Hängebrückenbauer“ mit seinen Holzmarimbas und fluffigen Rhythmen treibt einem ja die Tränen in die Augen (s. o.).
Auch vom Vorreiter der Avantgarde par excellence Conrad Schnitzler gibt es neue alte Platten zu hören. In diesen Tagen erscheinen „Silber“ und „Gold“, die einmal mehr zeigen, wie abwechslungsreich dieser Musiker agierte. „Silber“ schien zum ersten Mal 2009 auf einem kleinen italienischen Label und vereint Archivaufnahmen aus den Jahren 1974 und 1975, die Schnitzler selbst zusammenstellte. Von Songs im eigentlichen Sinne kann hier natürlich keine Rede sein; Schnitzler verwendet Töne lieber als Steinbruch für die atmosphärische Experimentalküche. Das ist Musik, die kein bisschen gestrig klingt, sondern im Gegenteil noch heute von der Zukunft zu
träumen scheint.
„Gold“ wiederum, erstmals erschienen 2003 auf dem Label Marginal Talent, ist eine Zusammenstellung von Archivtiteln der Jahre 1976 bis 78 – was beim Hören kaum zu glauben ist, denn Schnitzler war auch hier seiner Zeit weit voraus und entlockt dem Instrumentarium aus analogen Synthies Töne, deren Ursprung man in späteren, digitaleren Welten vermuten würde.
Dem Dunstkreis um den Zodiak-Club in Berlin, den Schnitzler zusammen mit Hans-Joachim Roedelius Ende der 60er-Jahre gegründet hatte, entstammte auch Günter Schickert. Er gehört mittlerweile zu den legendären Figuren des Krautrocks, nicht zuletzt wegen des Albums „Kinder in der Wildnis“, erstmals veröffentlicht 1983 und entstanden als Auftragsarbeit für die Krautrock-Enzyklopädie „The Crack In The Cosmic Egg“ von Steven und Alan Freeman.
„Kinder in der Wildnis“ ist ein „Höllentanz“, wie der Opener bereits ankündigt. Unglaublich dicht und intensiv ist das folgende „Rabe in der Nacht“, das fast neun Minuten lang die Dunkelheit mit lautem Getöse feiert. Beim Gitarren „Es ist schon kurz vor 12“ konnte sich Daft Punk sicherlich eine Menge abschauen, und „Gitarre Wahnsinn“ spricht schon im Titel für sich selbst. Irre Platte, die mal wieder zeigt, wie weit die deutsche Musik Anfang der 80er schon war.
Tina Manske
Pyrolator: Pyrolator’s Wunderland; Günter Schickert: Kinder in der Wildnis; Conrad Schnitzler; Silber; Conrad Schnitzler: Gold; Asmus Tietchens: Litia; Asmus Tietchens: In die Nacht. Alle Bureau B (Indigo).