Deutsche Elektronikvorreiterschaft
– Es sind gute Zeiten für die Wiedergeburt der sphärischen elektronischen Musik aus Deutschland, gerade jetzt, wo einer der Vorreiter dieser weltumspannenden Erfolgsgeschichte sein neues Projekt vorstellt. Cluster haben sich nämlich aufgelöst, Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius gehen getrennte Wege, aus Cluster (vormals Kluster) wird Qluster, und mit „Fragen“ erscheint in diesen Tagen die erste CD von Hans-Joachim Roedelius und seinem neuen Kompagnon Onnen Bock. Letzterer, studierter Musiker und Klanginstallateur, ist bereits positiv im Ensemble zeitkratzer aufgefallen. Nachdem sich die beiden seit Jahren immer wieder über den Weg laufen, haben sie sich nun zusammengetan. Am Anfang ihres neuen Albums „Fragen“ steht die Entscheidung für analoge Instrumente i. e. Keyboards und konsequentes Improvisieren, also größtmögliche musikalische Freiheit.
Tatsächlich sind Krautrock-Anleihen noch deutlich in den sphärischen Partien der Stücke erkennbar, die „Los geht’s“ heißen, „Haste Töne“ oder „Auf der Alm“ (wo dann Alphörner erklingen, klar). Qluster verzichten weitestgehend auf Percussions, die Stücke schweben mit leichtem Gewicht glasklar über den Horizont, ohne dabei in irgendeiner Weise esoterisch zu werden. Im Gegenteil: Qluster sind tief verankert im Weltlichen, dem sie immer wieder wunderbar exakte Klangbilder entlocken. Autodidakt Roedelius, der immer sehr intuitiv an seine Kompositionen herangeht, und der gelernte Musiker Bock ergänzen sich sehr gut. „Fragen“ ist der erste Teil einer geplanten Trilogie, das Abenteuer der deutschen Elektronikvorreiterschaft geht also weiter.
Qluster: Fragen. Bureau B (Indigo). Die Website der Band. Hans-Joachim Roedelius bei Facebook sowie auf Myspace.
Analoges Minimal Techno
Aber auch sonst hört man den Sound des Krautrock so mancherorts. Die neue CD des Düsseldorfer Pianisten Volker Bertelmann alias Hauschka ist unzweifelhaft von Bands wie Can oder eben Cluster beeinflusst. Bekannt bisher vor allem für seine Arbeit in Sachen präpariertes Solo-Piano, schwimmt sich Hauschka mit seinem neuen Werk weiter frei in Richtung Beats und Dance, ja sogar Minimal Techno. Auf „Salon des Amateurs“ ist das Piano der Rhythmusgeber, die Stücke heißen „TwoAM“, „NoSleep“ oder „Tanzbein“. Bertelmann sorgt mit dieser Platte für ein sehr stilvolles Kopfnicken und Beinwippen, oder anders gesagt: Wer sich bei einem Stück wie „Ping“ nicht bewegen will, der ist wahrscheinlich schon tot. Trotzdem die tonale Ebene manchmal technisch wirkt, ist ein Sinus-Bass der einzige Sound, der auf dieser Platte von einem Computer stammt.
Mitgewirkt an „Salon des Amateurs“, das nach dem Club der Düsseldorfer Kunsthalle benannt ist, in dem sich Kunst und Disco guten Abend sagen, haben unter anderem Mitglieder John Convertino und Joey Burns von Calexico, die klassische Geigerin Hilary Hahn, der Posaunist Bernhard Voelz sowie Samuli Kosminen von múm. Herausgekommen sind 10 Stücke, die sowohl Freunde klassischer wie Neuer Musik als auch anspruchsvolle Clubbesucher glücklich machen.
Hauschka: Salon des Amateurs. Fat Cat (Roughtrade). Der Pianist bei Facebook und auf Myspace sowie die Website des Künstlers..
Nochmal zurück zum Ursprung…
Doch gibt uns das Label Bureau B gerade auch wieder die Gelegenheit, eine der frühen deutschen Elektronik-Bands neu zu entdecken. Das Krefelder Quartett Udo Hanten, Albin Meskes, Uli Weber und Harald Großkopf alias You war im Jahr 1979 eine der angesagten Bands der Stunde, wenn man sich für die sogenannte Berliner Schule um Tangerine Dream und Klaus Schulze interessierte. Genau in diesem Umfeld nämlich bewegten sich die Ruhrpöttler (und eben nicht, wie man sich geografisch leicht denken könnte, im Einzugsbereich von Kraftwerk und Konsorten). Zwei Alben der Band werden jetzt vom Label Bureau B neu aufgelegt.
1979 erschien Yous Debüt „Electric Day“, eine begeisternd elektrifizierte und fiebernde Reise durch Sequenzerpatterns und Synthesizerwahnsinn inklusive Sologitarre und Schlagzeug. Großkopf steuerte die Drums bei, während Uli Weber seine Gitarre mit einer geradezu manischen Eleganz bearbeitete. 1983 folgte „Time Code“, diesmal ohne Beteiligung von Großkopf und Weber – das Quartett war zum Duo geschrumpft. Hanten und Meskes verzichteten auf die akustischen Instrumente wie Schlagzeug und Gitarre und wurden noch elektronischer, der Drumcomputer übernahm die Rhythmisierung.
„Time Code“ spielt direkt an der Grenze, die die 70er- von den 80er-Jahren trennt; während die Synthesizer noch klar mit den ästhetischen Vorgaben der Berliner Schule verhaftet sind, nimmt insbesondere der omnipräsente Drumcomputer die dominierenden Bands der 80er schon vorweg. Die Re-Issues der beiden Alben enthalten insgesamt sechs Bonustracks, und beide Platten sind es wert, wieder einmal aufmerksam gehört zu werden. Es gibt keine Zukunft ohne Herkunft – bei You hört man beides.
You: Electric Day; Time Code. Beide Bureau B (Indigo).
Tina Manske