In der heutigen Folge der Soundcollage nimmt sich Tina Manske einige Neuveröffentlichungen schon etwas älterer Platten vor.
Avantgarde
Dieter Moebius kennt man als einen der wichtigsten Protagonisten der deutschen Elektronik-Avantgarde der 70er- und 80er-Jahre. Mit seinen Kollaborationen mit Roedelius und Brian Eno schrieb er Musikgeschichte und beeinflusste zahllose andere Bands, noch bis heute. Weniger bekannt ist seine Arbeit mit Gerd Beerbohm, mit dem er 1982 und 1983 zwei Alben aufnahm. „Strange Music“ trägt sein Hauptcharakteristikum bereits im Namen. Tatsächlich sind es sehr ungewohnte Töne, die man zu hören bekommt, aber es ist mehr als erstaunlich, welche Genres hier bereits am Horizont auftauchen, ganz zuvorderst natürlich New Wave und Punk. Moebius und Beerbohm hatten alle Freiheit, zu experimentieren, was das Zeug hielt, und das haben sie weidlich ausgenutzt. Auch „Double Cut“ bewegt sich weit vor in damals noch unbekannte Gefilde: Mit dem „Doppelschnitt“ betitelten Schlussstück haben die beiden nicht weniger als Techno mit erfunden. Dem Rhythmus als Herzstück der Popmusik wird auf dieser Platte bis in die Fasern nachgespürt. Der Stern von Moebius und Beerbohm hätte ein heller werden können, doch es sollte anders kommen. Diese Wiederveröffentlichung gibt die Gelegenheit, zwei große, weit blickende und lange Schatten in die Zukunft werfende Platten wiederzuentdecken. Sowohl „Strange Music“ als auch „Double Cut“ sind als CD oder als 180g-Vinyl-Platte zu haben.
Moebius & Beerbohm: Strange Music / Double Cut. Beide Bureau B (Indigo).
www.dietermoebius.de/
Übergang
Einer, der sich in den 70er-Jahren seine Inspiration unter anderem von Künstlern wie Moebius und anderen deutschen Elektronik-Avantgardisten holte, war David Bowie. Mit einer opulenten dreiteiligen „Collector’s Edition“ kann man sich nun wieder einmal an dessen Album „Station To Station“ erinnern, eine Platte, die den Übergang zu seiner Berlin-Phase und den späteren von Ambient und Krautrock beeinflussten Alben markierte. Im Booklet wird eine schöne Chronologie von Ereignissen in Davids Leben zu dieser Zeit gegeben. Trotzdem muss man sich kokaingetriebene Songs wie den titelgebenden mit seiner über zehn Minuten dauernden Entwicklung von leisen Rhythmussequenzen hin zu treibendem Funk auch heute noch mehrmals anhören, um die ganze Anziehungskraft dieses seltsamen „thin white duke“ zu ermessen. All die heutigen Modepüppchen mit ihren kleinen Koks-Stupsnasen können sich mal eine Line abschnüffeln von einem, der selbst am Rande der körperlichen Zerrüttung noch solche Kunst vollbrachte wie den Funk von „Stay“ oder die zarte Lyrik von „Word On A Wing“. Auf der ersten CD gibt es das Originalwerk zu hören, auf CD 2 und 3 dann einen bisher unveröffentlichten Live-Mitschnitt eines 1975er-Konzertes in Nassau, USA (war bisher nur als Bootleg ‚erhältlich‘), bei dem Bowie auch mitreißende Versionen seiner Hits „Life On Mars“, „Rebel Rebel“ oder „Changes“ zum Besten gab.
David Bowie: Station To Station (Collector’s Edition). 3 CD. EMI.
www.davidbowie.com
Von Natur aus unnatürlich
Ebenfalls einer, der sich den verschiedensten Drogenerfahrung nicht entzog, war die österreichische Ikone Falco. Der Mann mit dem Koks, der kam allerdings später. Auch schon wieder 25 Jahre her ist die Veröffentlichung von „Falco 3“, dem Album, das mit „Rock Me Amadeus“ und vor allem mit dem Skandalhit „Jeanny“ zu einem weltweiten Überraschungserfolg wurde. Wer das Album (die Musikkassette!) damals als Teenie auf dem Weg ins Schullandheim rauf und runter im Bus hörte (Anwesende selbstverfreilich ausgenommen!), der kann mit dieser Neuausgabe eine schöne Zeitreise machen, und alle anderen natürlich auch. Wer damals allerdings noch zu klein war zum Busfahren, kann hier lernen, wie man perfekten, zuckersüßen Pop mit dem gewissen Etwas macht. Wenn man dagegen hört, was die kleinen Brunzer von HURTS auf ihrem Bonus-Beitrag mit ihrer „Jeanny“-Version veranstalten, kann man den Wert eines Johann Hölzel aka Falco wieder ganz neu schätzen. Prätentiöses Getue hatte er nicht nötig, er war von Natur aus unnatürlich. Auf der DVD gibt es die bekannten und weniger bekannten Videos sowie Making-Ofs. Am Oarsch, Wöid, kennt’s ean kaputtschlogn, but he’ll Tango the night away, olé.
Falco: Falco 3. 25th Anniversary Edition. Sony Music.
www.falco.at
Tina Manske