„Klassische Musik ist prima, um dabei einzuschlafen“ (Elvis Presley)
„Summertime Blues“ von Eddie Cochran hätte diese 58er-Kompilation ebenso wie das geniale Rock-’n’-Roll-Instrumental „Tequila“ von den Champs um ein paar wichtige musikalische Facetten bereichert. Aber man kann nicht alles haben. Doch das, was man bekommt, deckt so ziemlich alle Stimmungslagen dieses Popjahres ab.
Mit solch markigen Statements sprach der frischgebackene G.I. Elvis Presley seinen jugendlichen Fans in Deutschland aus dem Herzen. Die konnten mit Bach, Beethoven und Mozart nichts anfangen und begehrten mit Radau und Randale gegen die spießige Elterngeneration auf. Den Frust reagierten sie vorrangig in den Konzerten ihrer Idole ab. Im Berliner Sportpalast machten die Halbstarken selbst vor Bill Haleys Ton- und Schweinwerferanlagen nicht Halt. Rund 30.000 Mark Sachschaden und 17 Verletzte war die zerstörerische Bilanz. Angesichts solcher Gewaltexzesse wurden zahlreiche Live-Acts in Deutschland und den USA abgesagt. Einige Radiosender nahmen Rock-’n’-Roll-Musik sogar ganz aus ihrem Programm. Tommy Steele musste sich sogar von einer Schuldirektorin vorhalten lassen, er und seine Musik wären für den Leistungsabfall ihrer Schützlinge verantwortlich.
Über die Rebellion der Jugend und Elvis verliert Jonathan Fischer in seinem einleitenden Essay zum Popjahr 1958 nur wenige Worte. Dafür aber umso mehr über Chuck Berry, den „genialen Bastard“ und „archetypischen Rock ’n’ Roller, der „wieder zusammenführte, was von jeher zusammengehörte. Bluesriffs und Countrymelodien. Gospel-Verve und Hillbilly-Boogie.“ Kein Wunder, dass sich bald auch weiße Jugendliche von diesem Stil-Mix magisch angezogen fühlten – und ihn mit dem Kauf seiner Platten zum reichen Mann machten.
Über den Erfolg entschied aber nicht nur musikalischer Einfallsreichtum, sondern auch die Wahl des richtigen Labels. Mit Ideenklau und Ausbeutung durch geschäftstüchtige Plattenbosse mussten die Newcomer auf dem mittlerweile heiß umkämpften Musikmarkt jederzeit rechnen. Und wer keine guten Beziehungen zu den Radio-DJs hatte, konnte lange auf eine erfolgreiche Karriere warten. Der legendäre Alan Freed und andere „Könige“ des Radios hatten es buchstäblich in der Hand, ob ein Song Millionen von Menschen über den Äther erreichte.
Diese Sorgen musste sich Lloyd Price mit seinem Titel „Stagger Lee“ nicht machen. Die Radiostationen spielten den Titel rauf und runter, obwohl er von schwarzer Selbstjustiz handelte. Trotzdem: Platz 1 in den amerikanischen Popcharts war ihm sicher. Ein Klassiker wie „Johnny B. Goode“ von Chuck Berry, der vom Aufstieg eines Jungen vom Lande zum Rockidol handelt. Unter den zwanzig Songs des Jahres 1958 finden sich aber auch weniger erfolgreiche Titel, die es musikalisch locker mit den Nummer-Eins Hits aufnehmen können. Nicht Elvis’ Superhit „Jailhouse Rock“, sondern Ruth Browns „This Little Girl’s Gone Rockin” fährt uns knappe zwei Minuten lang in die Beine. Und „Bop-A-Lena“ von Ronnie Self zwingt uns mit seinem „Energieausstoß“ vollends in die Knie.
Die balladesken Töne von Tommy Edwards „It’s All In The Game“, das schaurig-schöne „Try Me“ von James Brown oder „For Your Precious Love“ von Jerry Butler & The Impressions sorgen für die nötige Atempause. Mit poporientierter Country-Musik á la Don Gibson („Oh, Lonesome Me“) oder dem mehrstimmig elektrisierenden „I Wonder Why“ von Dion & The Belmonts kommt man wieder in Schwung. Eher zum Schmunzeln ist der deutsche Beitrag von Chris Howland. Aber lieber ein Lied über den Abschied eines G.I.s von seinem deutschen „Fräulein“ als die feuchtfröhliche Unbeschwertheit eines lachenden Vagabunds, den Fred Bertelmann besingt und damit 1958 zehn Wochen die deutschen Hitlisten anführt.
Der angeblich in nur 45 Minuten komponierte „Summertime Blues“ von Eddie Cochran hätte diese 58er-Kompilation ebenso wie das geniale Rock-’n’-Roll-Instrumental „Tequila“ von den Champs um ein paar wichtige musikalische Facetten bereichert. Aber man kann nicht alles haben. Doch das, was man bekommt, deckt so ziemlich alle Stimmungslagen dieses Popjahres ab.
Jonathan Fischer (Hg.): 50 Jahre Popmusik – 1958. Buch und CD. SZ Diskothek. Juni 2005. Gebundene Ausgabe. 80 Seiten. ISBN: 3866150555. Einzeln. 9,90 Euro. (im Viererpack zusammen mit drei anderen Jahrgängen: 28 Euro.)