„We Want The World And We Want It Now!” (The Doors)
Protestbewegung und Rockmusik bildeten 1968 eine explosive Mischung. Studenten schrieben sich die Parolen ihrer Idole auf die Fahnen und kämpften – den rebellischen Sound im Blut – für eine bessere Welt. Die Herausgeber der SZ-Diskothek suchen nach dem revolutionären Potenzial der Musik dieses Jahres und machen überraschende Entdeckungen.
Eine ganze Woche zierte diese Zeile aus dem Doors-Song „When The Music’s Over“ die New Yorker Columbia University. Ausgewählt von Studenten, die im April 1968 ihre Hochschule besetzt hielten, um für direkte politische Mitsprache zu demonstrieren. Sowohl der Slogan als auch ihre Proteste gegen den Vietnamkrieg und die Rassendiskriminierung verbreiteten sich in den USA wie ein Lauffeuer. Frieden und soziale Gerechtigkeit wurden bald nicht mehr allein mit Worten, sondern mit Gewalt eingefordert – und die Rockmusiker lieferten die Parolen und den Sound für den revolutionären Aufbruch.
Zwiespältige Reaktionen
Der Song „Street Fighting Man” von den Rolling Stones wurde alsbald von einigen US-Sendern aus dem Programm gestrichen. Aus Furcht der Song könnte weitere Unruhen provozieren. Mick Jaggers Reaktion: „Solange die Single noch in den Geschäften erhältlich ist, finde ich den Boykott gut. Als sie das letzte Mal eine Single von uns in Amerika verboten haben, verkauften wir davon eine Million Stück.“ Kommerz und Konfrontation lagen in diesen Tagen dicht beieinander, aber nur wenige Musiker fanden den Weg zu den radikalen Demonstranten auf der Straße.
Stattdessen feilten Rock-Ikonen wie Frank Zappa an immer experimentelleren Alben und äußerten sich auch mal weniger provokant. In einem Interview mit der Zeitschrift „Konkret“ vom November 1968 kommentierte Zappa die unruhige Lage mit den Worten: „Selbstverständlich sollen junge Leute die Macht übernehmen, aber sie sollten sich auch darauf vorbereiten. Ich glaube, dass blutige Aufstände auf der Straße nirgendwo zu etwas führen, vor allem nicht in den USA, denn man ist dort auf jede Art von Aufruhr vorbereitet.“ Auf die Frage, was denn helfe, antwortete er noch allgemeiner: „Wir müssen in die Positionen der alten Leute einsteigen und ihre Arbeit tun.“
Das Gespräch findet sich als „Fundstück“ im 68er-Band der SZ-Diskothek und spiegelt eindrücklich die ambivalente Haltung dieses Undergroundstars wider: Während er in Interviews wie diesem Besonnenheit predigte, rief er in seinen Liedern massiv zu politischer und sexueller Befreiung auf. Unmittelbar wirksame Veränderungen konnten am Ende weder Zappa noch die Studenten auf der Straße herbeiführen. Johannes Waechter schließt im pophistorischen Essay dennoch mit einer optimistischen Diagnose: „Der Machtwechsel war ausgeblieben und doch hat die Musik dieses Jahres viel bewirkt, hat Veränderungen im gesellschaftlichen Klima, im Denken und Fühlen der Menschen hervorgerufen.“
Revolution auf Sparflamme
Doch nur die wenigsten der „20 besten Songs dieses Jahres“ dürften zu diesem Mentalitätswandel beigetragen haben. Tammy Wynette singt in „Stand By Your Man“ – jüngeren Hörern besser in der Coverversion von Heike Makatsch bekannt – ein vollkommen unzeitgemäßes, aber wunderbar schräg intoniertes Hohelied auf die weibliche Treue. Der Samba-Hit „Crickets Sing For Anamaria“ von Marcos Valle steht wiederum für südländische Lebensfreude, die dem rebellischen Zeitgeist ebenso fern steht wie die Tanznummer „Cold Sweat“ von James Brown. Die allgemeine Unruhe signalisiert am ehesten noch The Band mit ihrem gepresst vorgetragenen „This Wheel’s on Fire“. Oder Johnny Cash, der mit seinem „Folsom Prison Blues” das Schicksal eines Schwerverbrechers in einer mitreißenden Countrymelodie verpackt hat.
Aretha Franklin, Dusty Springfield, Fleetwood Mac oder Dorothy Love Coats wiederum bieten uns ihr Seelenleben in Soul-, Blues- und Gospelnummern dar. Richtig melancholisch geht es dann bei Townes van Zandt („Waitin’ Around to Die“) und Randy Newman („I Think It’s Going To Rain Today“) zu. Originell, aber nur ein schwacher Ersatz für die schwermütig dahingehauchten Balladen eines Leonard Cohn, der 1968 sein erstes und vielleicht bestes Album veröffentlicht hat. Den Gitarrenvirtuosen Jimi Hendrix mit „Electric Ladyland“ vermisst man genauso wie einen Song aus dem experimentierfreudigen „Weißen Album“ der Beatles.
Der um das Spannungsverhältnis von Politik und Pop kreisende Essay verspricht mehr als die ausgewählten Songs halten. Denn die lassen nur bedingt das Lebensgefühl der 68er erahnen. Die Auswahl zeigt dafür aber, dass das Protestjahr nicht nur Hits wie „People Got To Be Free“ von den Rascals hervorgebracht hat, sondern musikalisch wie textlich breiter gefächert war.
Jörg von Bilavsky
Jonathan Fischer (Hg.): 50 Jahre Popmusik – 1968. Buch und CD. SZ Diskothek. Juni 2005. Gebundene Ausgabe. 80 Seiten. ISBN: 3866150520. Einzeln. 9,90 Euro. (im Viererpack zusammen mit drei anderen Jahrgängen: 28 Euro.)