Geschrieben am 8. Februar 2006 von für Musikmag

SZ-Diskothek – 1982

Protestler und Profilneurotiker

Während wild bemähnte Friedensjünger im Sommer 1982 auf den Bonner Rheinwiesen die BAP-Hymnen gegen Krieg und Gewalt mitgrölten, ließen sich die frisch gegelten New Romantics von den sanften Synthesizerklängen der Edelpopper-Band „ABC“ einlullen. Das Popjahr 1982 spiegelt wie kaum ein zweites jugendkulturelle Gegensätze.

„Wir hatten Besseres zu tun, als uns in klassischen Politfeldern zu engagieren“, schreibt der SZ-Essayist Ralf Niemcyzk über seine popkulturelle Sozialisation Anfang der 80er Jahre. Lieber die kostbare Zeit auf einen perfekten Haarschnitt, grelle Outfits und coole Musik verwenden, als mit alternativen „Gummistiefel-Demonstranten“ Friedenschöre anzustimmen. Distinktion war für beide Seiten Pflicht und die Musik ihr trennschärfstes Zeichen. „Sag’ mir welche Band Du hörst und ich sag’ Dir, wer Du bist.“
Mit einer Antwort auf diesen Spruch hätte man 1982 das bestätigt bekommen, was sich am äußeren Erscheinungsbild der Jugendlichen längst abzeichnete. Hier Protestler, dort Profilneurotiker. Aber das sind wie immer nur die Extreme, räumt Niemcyzk ein. „Die so genannten Normalen stellten ungefähr 87 Prozent und nur ca. 13 Prozent definierten sich über Pop- und Subkultur“, rechnet der Pophistor mit Blick auf die großstädtischen Abiturientenklassen hoch. Woher er diese ungemein „exakten“ Zahlen nimmt, bleibt allerdings sein statistisches Geheimnis. Egal!

Wer bin ich?

Immerhin beweisen die auf die CD gepressten Titel, dass dieses Popjahr den Jugendlichen eine ganze Reihe von Identifikationsangeboten gemacht hat. Man musste sich nur „umhören“, dann konnte man sich gegen alles und jeden abgrenzen. Wer sich auf keinen Musikstil festlegen, aber jedem etwas abgewinnen wollte, der stand auf die Klänge des weltentrückten Prince, dem im Büchlein ein elegisches Porträt aus dem „New Musical Express“ gewidmet ist. Natürlich dürfen Klassiker des variantenreichen Synthie-Pops wie „ABC“ („Poison Arrow“), „Heaven 17“ („Let me go“) oder „Soft Cell“ („What“) nicht fehlen. Bands wie „Haircut o­ne Hundred“ mit ihrem saxofonisch aufgepeppten College-Song „Fantastic Day“ stehen eher für die schwächeren Momente des Popschaffens in diesem Jahr. Bleibendere Akzente setzen „The Gun Club“, denen zwei Minuten genügen, um das Feuer der Liebe („The Fire of Love“) mit einem Wild-West-Soundteppich zu ersticken. Munter machen den Hörer entweder Tequilas und Tortillas oder der Song „Mexican Radio“ von „Wall of Voodoo“, der weniger durch seinen rau-monotonen Refrain („I’m o­n the Mexican Radio“) als vielmehr wegen seiner mitreißenden Harmonien in die Gehörgänge kriecht und verweilt und verweilt… Rhythmischer und ungestümer kommt der Dance-Rock-Titel I Love A Man In A Uniform von der legendären britischen Formation „Gang of Four“ daher. Im letzten Jahr feierten sie Wiederauferstehung. Vielleicht um ihren Renegaten von Franz Ferdinand zu zeigen, wo die klassische Gitarre des Brit-Pop hängt.

Mehr alternative oder ursprünglichere Pop- und Rocktitel hat die Scheibe diesmal leider nicht zu bieten, obwohl die einzigartigen „The Smiths“ 1982 in den Startlöchern standen und „Men at Work“ zur gleichen Zeit sehr erfolgreich den Australien-Rock in alle Erdteile importierten.

Deutlich Deutsch

Die deutschen Rock-Pop-Punk-Beiträge von den „Toten Hosen“ („Nordsee“) und „DAF“ („Kebabträume“) haben vielleicht die sich totlaufende Neue Deutsche Welle hinter sich gelassen, aber keine neue angestoßen. Die Toten Hosen klingen mit ihrem Song „Nordsee“ wie angeheiterte Piraten in einem viel zu kleinen Rettungsboot und Delgado und Görl von DAF sonnen sich mit ihrer bereits 1980 erschienenen Single „Kebabträume“ auf alten flachgelegenen Ruhmesinseln. Hätte man einen versunkenen Spliff-Song aus den Tiefen des deutschen Liedermeers gehoben, hätten wir vielleicht eine kleine Perle bewundern können.

Biedere Discohäschen und knallharte DJs

Stattdessen wird hier dem Discosound ein letztes Mal die Ehre erwiesen. Die Band „Odyssey“ haucht dieser Mittesiebziger-Musik mit „Inside Out“ noch einmal kurz Leben ein, während die „Sugarhill Gang“ ihr in „The Lover in You“ mit samtweichen Sprechgesang und kuscheligen Chorpartien zahmen Rap angedeihen lassen möchte. Auslaufmodelle im Vergleich zu den immer kritischer und bekannter werdenden HipHop-Bands. „Grandmaster Flash & The Furious Five“ geben in „The Message“ deutlich zu verstehen, wie beschissen sie das Leben im schwarzen Ghetto finden. Von solchen sozialkritischen Tönen unbelastet, wagen die New Yorker DJs von „Afrika Bambaataa & The Soul Sonic Force“ mit „Planet Rock“ die Symbiose aus HipHop und Techno. Ebenso hörenswerte wie gewöhnungsbedürftige Exotismen bieten „Orchestra Baobab“ mit „Coumba“ und „Sun Ra Arkestra“ mit „Nuclear War“.
Erholung vom avantgardistischen Experimentieren findet man bei den beiden Musikdinosauriern John Cale und Willie Nelson, die ruhigere Töne anschlagen. Cale trifft mit „Close Watch“ die nachdenklicheren, Nelson mit „Always o­n My Mind“ die musikalischen Nerven der Hörer.

Die 82er-Auswahl wirkt – trotz einiger Glanzpunkte – angestaubt. Die Zahl der Bands, die das Popjahr 1982 entscheidend geprägt haben, war weitaus höher als die Kompilation es vermuten lässt. Zwanzig Titel sind oft, diesmal aber ganz bestimmt zu wenig, um dem Jahrgang gerecht zu werden. Vom Lebensgefühl der beginnenden 80er, wie es Niemcyzk in seinem Essay beschworen hat, ist auf dieser CD nur wenig zu spüren.

Jörg von Bilavsky

SZ Diskothek 1982. Süddeutsche Zeitung. Juli 2005. Gebundene Ausgabe mit CD. 80 Seiten. 9,90 Euro. ISBN: ISBN: 3866150563