Geschrieben am 1. Dezember 2010 von für Musikmag

Take That: Progress

Was für ’ne Zumutung!

– Christina Mohr war bereit, wirklich bereit. Zwanzig Jahre nach Take Thats ersten Tanz- und Sangesversuchen wollte sie der wiedervereinten Boygroup gern bescheinigen, dass Gary Barlow und Robbie Williams, Jason Orange, Mark Owen und Howard Donald zu richtig tollen Musikern gereift sind, deren Songwriting sich hören lassen kann. Aber leider, leider…

Obwohl nie ein Die-Hard-Fan gewesen, darf die Schreiberlingin an dieser Stelle nicht verheimlichen, Hits wie das Dan Hartman/Lulu-Cover „Relight My Fire“, „It Only Takes A Minute“ und vor allem die Schnulze „Back For Good“ samt verregnetem Video (Robbie im peinlichen Flokati-Mantel!!) echt gut gefunden zu haben. Auch dass Take Thats erste Auftritte in kleinen Schwulenbars stattfanden, wird als Punkt auf der Sympathie-Seite verzeichnet. Und die Rezensentin erinnert sich verschwommen, dass sie vor wenigen Tagen nach dem Genuss zweier Weißweinschorlen übermütig in eine dargebotene Hand einschlug, die möglicherweise an Tickets für die kommenden Deutschlandkonzerte herankommen kann…

Aber leider, leider: die späte Würdigung der einstigen Boygroup, jetzt Mengroup Take That kann nicht vorgenommen werden. „Shine“, die einige Wochen vor „Progress“ veröffentlichte Single der beiden ehemaligen Erzrivalen-und-jetzt-wieder-beste-Buddies Gary und Robbie hätte eine Warnung sein können, denn sie klang schon nur so mittel … und damit fängt das Elend an. Wenn einem schon nicht mehr als „ist doch gar nicht so schlecht“ oder „na ja, so mittel“ zu einem Song/Film/Buch/Kleidungsstück einfällt, wäre es besser, betreffendes Produkt wäre gar nicht erst hergestellt worden. Mediokrität ist die wahre Verschwendung.

„Progress“ hingegen ist richtig schlecht, die Veröffentlichung also nicht ganz umsonst, weil man so wenigstens wunderbar daran herumkritteln kann. Take Thats Comeback-Alben ohne Robbie, also „Beautiful World“ von 2006 und „The Circus“ (’08) und die Hitsingle „Patience“ waren vielleicht ein bisschen schwülstig, aber okay (‚okay‘ steht über ‚mittel‘), die zugehörigen Tourneen selbstverständlich ausverkauft. Allen Beteiligten schwante aber wohl, dass, wäre Robbie dabei, die Hysterie der 35+-Damen und vereinzelten Herren im Publikum ins Unermessliche anschwölle. Ein erstes Zeichen dafür, dass Robbie DOCH nach all den Jahren, dem Streit, den hässlichen Worten wieder in den TT-Schoß zurückkehren würde, war das Hologramm mit seinem Konterfei, das zur Performance von „Could It Be Magic“ aufleuchtete…

So geht das doch nicht!

Bei „Progress“ leuchtet nichts. Es stampft, es eiert, es dampft, es leiert. Take That mühen sich redlich, eine echte Band zu sein: „All tracks written by Barlow/Donald/Orange/Owen/Williams“ steht im Booklet, und „All tracks programmed by Gary Barlow“. Howard D. spielt bei einigen Stücken Schlagzeug, produziert hat Madonna-Super-Producer Stuart Price von Zoot Woman. Ja, aber wie klingt „Progress“ denn nun? Das Beste ist das kumpelige Ruder-Video zur Single „The Flood“, vor allem Mark sieht echt gut aus… Die Musik? Ach so… „The Flood“ ist eine uninspirierte Nummer-Sicher-Stadionhymne mit vorhersehbarer Dramaturgie (Textkostprobe: „Standing on the edge of forever / At the start of whatever…“ soll ich fortfahren?), ohnehin sind alle Stücke ohne Tanz-Choreografie nicht denkbar, auf CD also nur halb vorhanden. „Kidz“ möchte gern aufrüttelnd und sozialkritisch sein, „The monkeys learnt to build machines (….) there’ll be trouble when the kidz come out“ tollschockt es aus den Boxen, die Stimmen modisch verzerrt, aber wirkungslos verpuffend. Ähnlich „SOS“. „Pretty Things“ und „Happy Now“ hätten sweete Popsongs, also Take That at their best werden können, wären sie nicht so hoffnungslos überladen worden mit all dem Bombast und den in die Luft gemalten Tanzschritten. „Underground Machine“ soll wohl die erwachsene (oder erst erwachende?) Sexualität Take Thats repräsentieren: aus dem Wischiwaschi-irgendwie-Beatles-zu-Sgt. Pepper-Zeiten-Klanggewand hört man Textzeilen heraus wie „When the Boy meets Girl / and the Girl meets Boy / And the Boy / Thinks the Girl’s all right / Get your head out the library / Get the courage of the cavalry…“ – seufz. So geht das doch nicht! Doch nicht in 2010…

Die Ballade „Eight Letters“ am Schluss versöhnt dann beinahe mit der Zumutung, die man bis dahin geboten bekam, aber leider auch nur beinahe, denn auch dieser Song wird zugekleistert, zugestampft mit Kram, den niemand braucht. Take That scheinen im Übrigen auch selbst ihrem Opus Minimum nicht zu vertrauen: der „Hidden Track“ folgt ganz knapp auf „Eight Letters“, als wüssten sie genau, dass das Album nach den vermeintlich letzten Tönen ganz schnell aus dem Player fliegen wird. Wir geben Take That noch eine Chance, und zwar bei den kommenden Konzerten. Dann setzen wir uns die mittlerweile notwendigen Gleitsichtbrillen auf, damit wir euch gut SEHEN. In die Ohren stopfen wir keine Papiertaschentücher, sondern Kopfhörer mit irgendwas drauf, kann auch nicht schlechter sein als „Progress“.

Christina Mohr

Take That: Progress. Polydor (Universal).
www.takethat.com