Geschrieben am 16. Oktober 2013 von für Musikmag

„The Clash Hits Back“ im Expertentalk

clash hits backAusnahmeband des Punk

Wie das Leben manchmal so spielt: Man hat sich irgendwie aus den Augen verloren und trifft sich nach nur dreißig Jahren wieder – zum Beispiel beim Konzert der B52s im glamourösen Hanau. Frau Mohr und Herr Fliegl verbindet eine Jugend im Vogelsbergkreis und eine bis heute ungetrübte Hingabe zu lauter Musik. Beim erwähnten B52s-Konzert entstand die Idee, sich via CULTurMAG über ausgewählte Neuerscheinungen auszutauschen. Den Anfang macht die Best-Of-Compilation „The Clash Hits Back“, die aus verschiedenen Gründen bestens für den Expertentalk Fliegl-meets-Mohr geeignet ist:

Aus dem Presseinfo:

Keine andere Band des British Punk Movement sorgte für so viel Furore wie The Clash. Die Liste der Pioniertaten des Quartetts mit den beiden charismatischen Frontmännern Joe Strummer und Mick Jones ist ebenso lang wie legendär: Als erste britische Punk-Band erhielten sie bei einer Major Company einen Plattenvertrag. Sie konnten sich als erste Band der Szene in den US-Charts platzieren und verließen ebenfalls als erste den traditionellen Punk-Stil, um Reggae, Dub, Soul, Rhythm & Blues, Funk, HipHop und Rock’n’Roll in ihren Sound zu integrieren. „The Clash Hits Back“ präsentiert 32 der bekanntesten Tracks der Band. Die Titelliste dokumentiert die Setlist bei der legendären Brixton Fairdeal-Show von 1982.

Jede Show war anders. Joe verbrachte eine Menge Zeit damit, den Ablauf der Songs zusammenzustellen. Dabei waren ihm die Dynamik, die emotionale Wirkung und die Tonart, in der die Songs waren, wichtig.“ (Zitat: Mick, Pail & Topper).

flieglMichael Fliegl: Ich starte mal mit Frage 1: “The Clash Hits Back” – in Deinen Augen eine “Just another Best-Of-Compilation” oder eine “Muss-ich-unbedingt-haben-Compilation”?

Christina Mohr: Auf jeden Fall ein “must-have”: Umfassende Songauswahl, tolle Gestaltung. Man kriegt quasi die Bandgeschichte anhand der Songs erzählt – was findest Du an der Compilation besonders gelungen?

Michael Fliegl: Man kann hier unumwunden von einem Vermächtnis sprechen – nicht nur angesichts der Tatsache, dass die drei verbliebenen Bandmitglieder die Compilation selbst produziert haben und Joe Strummer mit dem legendären Bandmanifest von 1976 auf dem Sleeve zitieren. Ich persönlich würde allerdings die 3er-Vinyl-Edition der CD-Box vorziehen!

So, jetzt sag Du uns bitte mal Deine persönliche Hitliste auf:

cm_cornfieldjpgChristina Mohr: Mein Lieblingsstück ist “Police on My Back”, obwohl ich (bis auf ein einziges Mal mit 18…) noch keinen Ärger mit der Polizei hatte und mit diesem Song (ist ja eine Coverversion von Eddy Grant) keine verspätete Selbstglorifizierung als Punk-Outlaw betreiben will 🙂

Aber mir gefällt dieser durchgängige Drive so gut, bei aller mitschwingenden Street-Fighting-Men-Attitude kriegen The Clash doch eine erstaunliche Leichtigkeit hin. Und “Hitsville UK” berührt mich sehr. Ich kann gar nicht genau sagen, warum genau. Und klar, „London Calling“ haut mich immer noch total um und “funktioniert” auf jeder Party – auch wenn das Wort „funktionieren“ in diesem Zusammenhang ziemlich unpassend ist. Habe auf meinem eigenen 40. Geburtstag beinah einen „White Riot“ ausgeloest, weil ich „London Calling“ nicht im Plattenköfferchen hatte und alle Gäste es hören wollten.

Welches Stück magst du denn am liebsten?

Michael Fliegl: Diese Frage kann man ja gar nicht so einfach beantworten, hmmm: *Brunnen, Schere, Stein* – also, „Clampdown“, sage ich. Ist von meinem Lieblingsalbum “London Calling”, hab ich damals in meiner Punkmetamorphose anno ’83 schon gerne gehört, hat bis heute eine besonders fußwippende Dynamik und macht mir zuverlässig gute Laune.

Nächste Frage: wie findest Du die Idee, die Songs nach der originalen Setlist von einem ’82er Gig in Brixton auszuwählen?

clash untersetzerChristina Mohr: Prima, weil man auch dreißig Jahre danach immer noch die Dynamik und Haltung der Band spürt. Man muss ja davon ausgehen, dass die Band die Songs so angeordnet haben, dass sie eine Story/Dramaturgie ergeben.

Wenn du eine “Rangfolge” deiner Lieblingspunkbands erstellen solltest, wo stünden The Clash und warum?

Michael Fliegl: Chronologisch gesehen an zweiter Stelle, meine ersten Lieblingspunkbands waren The Vibrators, dann The Clash und natürlich die Ramones. Aus der Distanz betrachtet stehen sie heute für mich von der Bedeutung, Aussagekraft und vom Gesamtbild her ganz oben in der Liste der wichtigsten Bands aller Zeiten, weil sie eben nicht bloß eine Punkband waren sondern ein Zyklon ihrer Zeit, musikalisch und streetcredibilitymäßig absolut authentisch. Eigentlich kann man The Clash in kein Genrekorsett zwängen, sie waren eher ein musikalischer Schmelztiegel. Je mehr man drüber nachdenkt, umso größer wachsen sie.

Christina Mohr: Bei mir stehen The Clash chronologisch auch auf Platz zwei, davor kamen – natürlich – die Sex Pistols. Ich fand Clash aber schon als junges Ding musikalisch viel interessanter als die Pistols und konnte meinen Opa (!) überzeugen, mir die erste Clash-LP zu kaufen. Mann, war ich stolz und glücklich!! Das Album lief dann auch in heavy rotation auf meinem kleinen roten Klapp-Plattenspieler, was meinen Opa nicht unbedingt erfreute … 🙂

Zu den Ramones kam ich relativ spät, und zwar auf einer Klassenfahrt im Schwarzwald in den frühen 1980er-Jahren, aber das ist eine Geschichte für sich, die gern im Dunkel bleiben darf…

Nächste Frage: Was bedeuten Punk im Allgemeinen und The Clash im Besonderen HEUTE für dich? Ich weiß, das ist eine eher epische Frage, aber trotzdem… bin gespannt!

clash skateboardMichael Fliegl: Eigentlich wurde mir erst klar, welche Rolle The Clash hatten, nachdem ich den Film “Rude Boy” gesehen hatte. Als ein Katalysator der Frustration der englischen Straßen wurden sie zum Sprachrohr derjenigen, die die Schnauze voll hatten von der reaktionären Politik, dem vorherrschenden Rassismus. The Clash bildeten die Speerspitze einer multikulturellen Subkultur, in ihren wütenden Texten getragen von ihrer Musik, die Rocksteady, Rock’n’Roll, Reggae und Ska aufsog und verschmolzen hat wie bisher keine andere Band. Deswegen sind The Clash in meinen Augen eine Ausnahmeband im Punk.

Während Rockmusik sich immer weiter verkomplizierte, mit Bands wie ELP, Yes, Pink Floyd in den Show-Gigantismus abdrehte und der Jazzrock sich im Perfektionismus verlor, reduzierten Bands wie die Sex Pistols, The Clash, The Damned oder die Ramones den Rock’n’Roll wieder auf seine Wurzeln, die Rotzigkeit, das Anders-sein-wollen wie die Alten, den Stinkfinger in der Spießerfratze der Gesellschaft. Provokation & Identifikationspotential für die Erwachenden war plötzlich wieder da, wie in den 50ern, im Beat, im FlowerPower. Musik, die die Faust in die Fresse des Establishments haut, Bands, über die die Eltern die Nase rümpfen – das ist es doch, worum’s im Rock’n’Roll immer ging. Aufbruch, Anderssein, es besser machen: genau das isses, was für mich Punkrock ausmacht.

Christina Mohr: Ah genau, “Rude Boy”: der Film hat mich auch sehr beeindruckt! Ich fand bei The Clash – bis heute – am Allertollsten, dass sie eben den “guten alten Rock’n’Roll” (und im Grunde war das PunkROCK – nur halt schneller und härter gespielt) aufgebrochen haben: wie du schreibst, mit Rocksteady, Reggae und anderem. Das machte ihre Musik so ungleich viel interessanter als andere Bands, die ich – bitte verzeih’ mir! – heutzutage ziemlich langweilig finde. Außer den Ramones natürlich, aber die sind ja ein Universum für sich. Kurz gesagt: Clash höre ich heute noch richtig, richtig gern; Exploited und UK Subs nicht mehr (ok, second wave of british punk rock; aber ich habe “damals” eh alles in einen Topf geworfen).

Michael Fliegl: Insofern stehen The Clash zwar im Kontext der Punk-Pioniere, aber nicht als typische Vertreter des “Un-Tu-Thi-Faw”-Speedpunk. Postmodern würde man sie wohl als “Crossover-Band” bezeichnen.

Jetzt zu Joe Strummer, als Kopf & Stimme der Band, was verbindest Du mit ihm?

Christina Mohr: Also Joe Strummer hat für mich – neben Mick Jagger und John Lydon – die beste männliche Rockstimme. Leidenschaftlich, rauh, wütend, aber auch sensibel und emotional (außerdem fand ich Strummer very attractive und charismatisch, aber das nur nebenbei). Perfekt für den politisch aufgeladenen Sound der Band, aber auch später noch toll mit seinen Mescaleros. Ich weiß natürlich, dass Strummer vor der Punkära ein langhaariger Hippie war – aber mein Gott, wer war das damals nicht?

Ich bedaure es unendlich, Strummer nie live gesehen zu haben und gucke mir immer wieder gern die Doku “The Future is unwritten” an. Rührt mich immer wieder sehr, wie er da am Lagerfeuer zusammen mit den Fans sitzt und zur Wandergitarre singt… Toll.

Als Klaus Walter damals vor knapp elf Jahren seine Radiosendung mit einem Clash-Song begann, wusste ich gleich, dass etwas Trauriges passiert sein musste: Joe Strummer war gestorben. Im Sessel, an einem angeborenen Herzfehler. Er hätte also jederzeit auch auf der Bühne zusammenbrechen können. Sadly missed, ‘til today.

Die anderen: Mick Jones‘ Big Audio Dynamite mochte ich nur so mittelgern, dafür Paul Simonons kurzlebige Band Havana 3am sehr. Und The Good, the Bad & the Queen mit Damon Albarn fand ich superb, so als generationenübergreifendes Projekt 🙂

Next question: für mich hielt mit The Clash und den Pistols Politik Einzug in mein kindliches Musikverständnis. Wie war das bei dir? Und findest du die Verknüpfung von (Pop-)Musik und Politik eher heikel oder notwendig?

clash hits back tracklistMichael Fliegl: … ich stimme sofort zu: Der Joe sah umwerfend aus und sang sensationell markant, ein stimmlicher Eckpfeiler des Rock’n’Roll sozusagen. (Ich bin übrigens auch gesangstechnisch Jagger-Fan und liebe Ozzy Osbourne, Robert Plant, Joey Ramone & Lou Reed).

Big Audio Dynamite gingen ähnlich an mir vorbei, dafür habe ich Simonon’s Havana 3am live in der Frankfurter Batschkapp gesehn, das war großartig!

Paul Simonon hätte, wenn ich mal salopp formuliere, auf mein weibliches Groupie-Alter Ego – sofern es das gäbe – die größte Anziehungskraft ausgeübt. Der hatte sowas verwegen-Geheimnisvolles an sich. Und als Kerl sage ich: so einer wär’ ich gern gewesen!

Politische (Rock-)Musik ist im Übrigen eine deutsche Erfindung der Post-68er-Ära, ähnliche statements hatten vorher vielleicht MC 5, oder Folkikonen wie Bob Dylan und Joan Baez, aber Punkrock war natürlich der Turbolader des Rock als Faust in der Fresse des Establishments. The Clash waren ganz vorn dabei, zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und mitten in der Hochphase der ultrarechten National Front in England.

Für mich war Rockmusik schon seit den 1950ern verbunden mit jugendlicher Rebellion, Auflehnung gegen überholte Werte: “The times they are a-changing” hat Bob Dylan gesungen, etwas später Rio Reiser mit Ton Steine Scherben, “Macht kaputt was euch kaputt macht”.

Ich war kein Punkfan erster Stunde, ich kam erst etwas später dazu, so in der Nachphase Anfang der 1980er, als hierzulande NDW und Deutschpunk mit Bands wie Extrabreit, Trio, DAF, ZK, den Toten Hosen und Die Ärzte aufkam. Und nicht zuletzt gab es 1983 ja auch Alsfelds erste Punkrocktruppe Die Geruchsaktiven / Los Geruchsaktivos mit unter anderem meiner Wenigkeit…

So weit so gut, meine Liebe, wie lautet also dein persönliches Fazit zu “The Clash Hits Back“?

Christina Mohr: Ich hab ja schon gesagt, dass ich die Zusammenstellung wirklich gelungen finde und man in diesem Fall nicht von Ausverkauf sprechen kann. „The Clash Hits Back“ ist ein Zeitdokument, das hoffentlich auch jüngere Leute erreicht – Du und ich wissen ja, wie toll die Musik von The Clash ist und wie wichtig die Band für das politische Punkbewusstsein war. Die Kids da draußen könnten etwas Nachhilfe gebrauchen…

The Clash Hits Back (Doppelalbum, Columbia/Sony). Zur Homepage der Band.

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