Kein einziger Hänger
Was soll man eigentlich noch sagen über ein Album, das Geschichte geschrieben hat wie dieses, das unter den Top-Ten der besten Alben aller Zeiten nicht nur des Rolling Stone rangiert und das Myriaden von Musikern als besonders einflussreich für ihre Sozialisation eingestuft haben? Von Tina Manske
„London Calling“ von The Clash, das Doppelalbum aus dem Jahr 1979, ist bereits selbst zur Ikone geworden. Schon allein das Cover spricht Bände: Bassist Paul Simonon zertrümmert sein Instrument auf der Bühne im New Yorker Palladium, aus Frust darüber, dass der Auftritt in so seltsamer Stimmung abgelaufen war, weil die Zuschauer nicht standen, sondern auf ihren Sitzen verweilten und so der Funke nicht übersprang.
Obwohl durch Zufall entstanden, nimmt das Coverfoto, geschossen von der Fotografin Pennie Smith, in seiner Symbolik auf das Debütalbum von Elvis Presley Bezug, bildet sozusagen dessen Gegenteil – wo Elvis den Rock’n’Roll begründete und die Gitarre hochhielt, wird das Instrument hier zerstört, wird das Ende von Rock’n’Roll manifestiert. Dazu der grün-violette Schriftzug, der das Elvis-Cover zitiert. (Der zertrümmerte Bass ist übrigens mittlerweile in der Rock and Roll Hall of Fame zu Hause.)
Dabei ging es The Clash gar nicht um Zerstörung (jedenfalls nicht musikalisch), eher um Wiederaufbau. „London Calling“ mischte die Musikwelt auf zu einer Zeit, als Punkrock gerade seinem vorzeitigen Tod entgegenzudämmern schien. The Clash ließen sich von keiner ‚Punk-Polizei‘ sagen, wie ein richtiger ‚Punk-Song‘ nach Meinung der ‚Experten‘ zu klingen habe. Irgendwie ‚dagegen sein‘, das war ihnen zu billig, sie wollten spielen – Rockybilly, Reggae, Ska, Jazz, Folk, alles hatte Platz und fügte sich ein in eine Platte, die keinen einzigen künstlerischen Hänger hat.
Auf der jetzt erschienenen Sonderedition zum 30-jährigen Jubiläum des Releases von „London Calling“ findet sich neben dem Album selbst eine DVD, unter anderem mit der Dokumentation „The Last Testament – The Making of ‚London Calling'“, die Interviews mit der Band und Filmaufnahmen der Recording-Sessions enthält – besonders unterhaltsam, wenn man sich vor Augen führen lassen will, wie irre Produzent Guy Stevens tatsächlich war. Regelmäßig flogen Stühle und Leitern in Richtung der Musiker, wenn ihm mal wieder was nicht passte, oder er schüttete Rotwein ins Klavier – anscheinend aber genau die Stimmung, die die Band brauchte, um sich und Punkrock neu zu erschaffen. Tatsächlich wurden aber auch reichlich technische Tricks benutzt, wie zum Beispiel das Overdubbing bei „The Card Cheat“, um einen „Phil-Spector-Sound“ hinzubekommen. Darüber hinaus bekommt man ein paar Aufnahmen aus dem Privatarchiv und drei Videos zu sehen.
Das alles aber verblasst vor dem schieren musikalischen Geniestreich, den Joe Strummer, Mick Jones und all die anderen von The Clash im Dezember 1979 ablieferten und dessen Einschlag die Erde noch heute beben macht.
Tina Manske
The Clash: London Calling. 30th Anniversary Edition. CD + DVD. Columbia (Vertrieb: Sony Music).