Spielwiesen
Immense Intensität und Spannung mit einem der besten Ensembles der Neuen Musik. Von Tina Manske
Das zeitkratzer-Ensemble um Reinhold Friedl hat eine neue Reihe ins Leben gerufen. [old school] will sich in den nächsten Monaten den Werken verschiedenster Komponisten nähern, unter ihnen Morton Feldman und Alvin Lucier.
Den Auftakt der neuen Reihe aber bestreiten zwei Veröffentlichungen, die schon aufsehenerregend genug sind. Dass John Cage unter anderem die Maxime pflegte, der Komponist sei keineswegs immer der alleinige Herr im Haus, sondern der Interpretation von Kompositionen sei ebensoviel Platz einzuräumen, ist bekannt. Sein Werk „ORGAN²/ASLSP As Slow As Possible“ wird beispielsweise gerade für die nächsten Jahrhunderte in einer alten Sakristei in Halberstadt ‚gespielt‘ – mit einem Tonwechsel alle paar Monate bis Jahre. Möglich, dass es langsamer nicht mehr geht. Cage war sicherlich auch wegen dieser seiner avantgardistischen musiktheoretischen Auffassung seit Anbeginn eine feste Größe im zeitkratzer-Repertoire. Die Band bezeugt ihm ihre Ehrerbietung, indem sie auf [old school] experimentelle Stücke wie „Four6“ oder „Hymnkus“ auf konventionelle Art und Weise interpretiert. Es gibt für diese Stücke keine Partitur, sie bestehen nur aus Einzelstimmen. Bei den Nummernstücken ist nur die Stimmenzahl vorgegeben, nicht die Art der Besetzung. Zeitstrukturen werden lediglich durch Timebrackets, also Zeitbänder vorgegeben. Exzellente Spielwiesen also für das Ensemble, das dem Hörer drei äußerst intensive Bissen Neuer Musik vorwirft.
Fast ohne Vorgaben
Ebenso beeindruckend ist die Auseinandersetzung mit James Tenney, der zusammen mit u. a. Cage zur Liga der New Yorker Avantgarde der 1970er-Jahre gezählt wird und sich dabei große Verdienste um die Entwicklung der elektronischen Musik erworben hat. Eine Maxime von Tenneys Herangehensweise war sozusagen eine Erweiterung der Cageschen Arbitrarität: bei Tenney war ein Klang nicht einfach nur zufällig, sondern unvorhersehbar – was ein großer Unterschied ist. Sein „Critical Band“ beispielsweise trägt schon im Namen die Herangehensweise: der Kammerton A wird vom Ensemble umspielt, geringfügige Veränderungen in der Tonhöhe, die für das menschliche Ohr meistenteils eben nur als Modulation hörbar sind, werden erprobt – eben die ‚kritische Bandbreite‘, innerhalb derer ein Ton noch als identisch identifiziert wird und nicht als ein Tonwechsel. Diese Art der Musik ist eine große Herausforderung für jedes Ensemble. Den Abschluss bildet Tenneys „Koan: Having Never Written A Note For Percussion“, das zeitkratzer zu einem fulminanten Crescendo anschwellen lassen. Swell pieces sind alle drei Stücke, in verschiedenster Weise wird hier die Musik zum Ein- und Ausatmen gebracht.
Beide CDs wurden live aufgenommen und erhalten dadurch eine immense Intensität und Spannung. Auf die weiteren Veröffentlichungen dieser Reihe darf man sich definitiv freuen.
Tina Manske
zeitkratzer: [old school] John Cage; [old school] James Tenney. Beide zeitkratzer Productions (Vertrieb: Broken Silence).