Geschrieben am 31. Dezember 2007 von für Bücher, Litmag

A.L. Kennedy: Day

Grandioses Psychogramm des Krieges

Grandios, atemberaubend, wagemutig – ohne Übertreibung ist mit diesen drei von Rezensenten immer sparsam und vorsichtig zu verwendenden Attributen der neue Roman von A.L. Kennedy beschrieben. Von Karsten Herrmann

Nach ihrem gefeierten Überraschungs-Erfolg Gleissendes Glück und einigen nicht voll und ganz überzeugenden Romanen läuft A.L. Kennedy mit Day nun zu neuer Höchstform und Meisterschaft auf. Sie erzählt die Geschichte des jungen Sergeants Alfred F. Day. Als Sohn eines trinksüchtigen und brutalen Vaters hat er sich im Zweiten Weltkrieg freiwillig zur Royal Airforce gemeldet und gehört nun als Mitglied einer britischen Bomber-Crew zu den „Jungs, die den Sturm bringen.“ Schicksalsergeben fliegt er mit seiner Crew, die ihm zur Familie wird, einen Bombenangriff nach dem nächsten und verwandelt Hamburg dabei in eine rot glühende Feuerhölle. Schließlich wird sein Lancaster-Bomber jedoch von der deutschen Flakabwehr getroffen, seine Kameraden sterben und er gerät in Gefangenschaft.

Im Verlaufe des Krieges erfährt Day „die äußersten Grenzen des Menschen, die verdammt riesigen Türen ins Nichts“. In diesem Nichts verliert er sich und nach dem Ende des Krieges versucht er sich hinter den Traumata, dem Grauen und der Schuld mühevoll wieder zu finden – unter anderem in einer absurden Wiederholung seines Gefangenenlebens als willfähriger Statist in einem Lager-Spielfilm.

Bildern von großer Poesie und Metaphorik

Konsequent hat Kennedy ihren Roman aus der (Innen-) Perspektive des jungen Anti-Helden aufgebaut. Sie wechselt dabei zwischen den verschiedenen Zeitebenen, lässt Erinnerungen, Ängste, Hoffnungen und die ständig mitlaufende unkontrollierbare Gedankenflut sich ineinander verschieben. Mit packenden Kamerafahrten dringt sie in die innersten Bewusstseinsebenen von Alfred F. Day vor und erfasst sie mit Bildern von großer Poesie und Metaphorik: „Er stellte sich einen Augenblick lang vor, wie er seine Gedanken mit Waschbenzin säuberte, die Flecken entfernte.“

Schicht um Schicht legt Kennedy in ihrem Roman das Unfassbare und Schockierende des Krieges frei. Sie offenbart, dass der Krieg im Innersten von Alfred F. Day noch eine viel schlimmere Angst nagen lässt als die Angst vor dem Tod – es ist die Angst, zu überleben.

Bewegender Anti-Kriegsroman

Day ist ein bewegender und emphatisch mitfühlender Anti-Kriegsroman vom Kaliber eines Im Westen nichts Neues. Dieser Roman ist aber noch viel, viel mehr: Eine intensive Meditation über die Chance zur Freiheit und Entscheidung, eine Meditation über Freundschaft und Liebe, über Familie und Glück. Vom ersten Satz an zieht A.L. Kennedy den Leser dabei in den Sog ihres unverwechselbaren Sounds, der rhythmisch-rhapsodisch und mit einem lyrischen Grundton dahinströmt. Auf bemerkenswert unverkrampfte Weise gelingt es ihr, der existentiellen Schwere und Tiefe ihres Themas gerecht zu werden. Am Ende lässt sie sogar ein Fünkchen Hoffnung aufglimmen, doch für Alfred F. Day bleibt eine Frage unausweichlich offen: „wie kannst du dich selbst vor dir verstecken: Wo sollst du hin, ganz allein in dir selbst?“


Karsten Herrmann

A.L. Kennedy: Day. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Wagenbach-Verlag 2007. 350 Seiten. 22,90 Euro.