Geschrieben am 6. März 2017 von für Bücher, Litmag

Abenteuer: Ron Hall/ Nicholas Tomalin: Die sonderbare letzte Reise des Donald Crowhurst

hall_tomalinGrößenwahn, Einsamkeit und Täuschungsmanöver des Einhandseglers

Es war fast ein neuer Trendsport entstanden, nachdem der Einhandsegler Francis Chichester 1967 die Welt umsegelt hatte: Plötzlich fühlten sich viele englische Hobby-Segler auch dazu berufen, mit ihren Nussschalen das Kap Hoorn herauszufordern. Der Verrückteste und Großspurigste dieser Weltumsegler war Donald Crowhurst: 1968 hatte er sich spontan für ein Wettrennen um die Welt gemeldet, unter Termindruck einen Trimaran bauen lassen, der kaum seetüchtig war und schon stach er in See, wobei er mehr an maximaler Publicity als an der Sicherheitstechnik des Bootes interessiert war. Dann brach nach einigen Wochen der Funk-Kontakt zu ihm ab und ganz England rätselte darüber, was mit dem „Mystery Sailor“ passiert war. Die Reporter Ron Hall und Nicholas Tomalin hatten sich damals intensiv mit der rätselhaften Odyssee des auf See vermissten kapriziösen Skippers beschäftigt und darüber 1970 einen faszinierenden Thriller veröffentlicht: Ein Mix aus Psychogramm, Hochstapler-Drama und Abenteuer-story. Diese typisch englische, ebenso skurrile wie tragische Geschichte ist nun in einer Neuauflage in einer deutschen Übersetzung erschienen. Von Peter Münder

Viel deprimierender und ungünstiger hätten die Vorzeichen für dieses verrückte maritime Abenteuer nicht sein können, als Donald Crowhurst am 31. Oktober 1968 im kleinen Hafen Teignmouth bei Torquay an der englischen Südküste auf seinem Trimaran Teignmouth Electron zum Wettsegeln um die Welt in See stach. Dieser Starttermin war die letzte Möglichkeit, um an der „Sunday Times“-Regatta teilnehmen und den Golden Globe sowie die Siegprämie von 5000 Pfund (Wert heute: rund 100 000 Euro) gewinnen zu können. Und Crowhurst wollte sich, seine Firma und die Familie unbedingt mit dieser 5000 Pfund-Prämie sanieren. Denn seine kleine Firma für maritime Funkgeräte Electron Utilisation steckte in großen Schwierigkeiten; er wusste kaum noch, wie er seine Frau und die vier Kinder durchbringen sollte.

Der Freizeitsegler hatte weder Geld noch ein Boot, als er sich für die Regatta anmeldete; erst sein PR-Manager Hallworth und der mit ihm befreundete Wohnwagen-Händler Stanley Best fanden einen Sponsoren-Modus, der ihm den Bau eines Trimarans ermöglichte. Doch irgendwelche Erfahrungen mit diesen Dreirumpfbooten hatte Crowhurst bis dahin nicht. Sie schienen ihm einfach die idealen, leichtesten und schnellsten Boote für das Bezwingen des „Everest der See“, wie Chichester die Einhand-Weltumseglung genannt hatte. Da sie sich aber beim Kentern vornüber rollen, sich nicht wieder aufrichten lassen und dann unkontrollierbar sind, hatte der brillante Technik-Freak und Erfinder des „Navicator“-Funkpeilgeräts diverse Sicherheitsvorrichtungen wie einen am Mast hängenden Kenterschlauch konstruiert, der noch in letzter Minute eingebaut werden sollte. Seine potenziellen Sponsoren wies er nachdrücklich auf diese Sicherheitsaspekte hin und betonte immer: „Ich habe alles durchgerechnet und sehe bei dieser Weltumseglung kein besonderes Risiko“.

Aber Mitte Mai, als die ersten Weltumsegler Ridgway, Blyth und Knox-Johnston sich schon auf ihren Start vorbereiteten, hatte Crowhurst immer noch kein Boot. Als seine Sponsoren Hallworth und Best ihm die Finanzierung des Trimaran-Baus garantierten, konnte der Bootsbauer Eastwood in Brightlingsea die Fertigstellung dann innerhalb einer extrem knappen Frist zusagen, doch längere Probefahrten und Versuche waren vor dem Start nicht mehr möglich, weil aus der ursprünglich auf drei Tage veranschlagten Überführung des Boots aus der Werft nach Teignmouth dann mehr als zwei Wochen wurden. Es gab einfach zu viele Pannen und Defekte und Crowhurst hatte große Probleme, sich mit dem Trimaran überhaupt erstmal vertraut zu machen. Dass er eigentlich während der gesamten Überführung seekrank und kotzend über dem Eimer hing, war noch das geringste Problem.

Keine Frage: Der Stoff über den dilettantischen Mystery Sailor, der um die Welt segelt und die gesamte professionelle Abenteuer-Elite herausfordert, ist die ideale Vorlage für einen Hollywood-Streifen. Die Verfilmung des Crowhurst-Epos soll noch in diesem Frühjahr (Regie James Marsh) mit Colin Firth (Crowhurst) und Rachel Weisz (Clare Crowhurst) in die Kinos kommen. Crowhursts Fahrt um die Welt hatte aber schon seit seinem mysteriösen Verschwinden im Juli 1969 Dichter, Dramatiker und Filmregisseure fasziniert, es gab sogar eine Oper („Ravenshead“): Der US-Dichter Donald Finkel, der Dramatiker Chris van Strander, Film-Regisseur Nic Roeg, das französische Epos „Les Quarantiemes Rugissant („Die Brüllenden Vierziger“) und Robert Stone im Roman „Outerbridge Reach“ setzten sich alle mit dem tragischen, melodramatischen Crowhurst-Abenteuer auseinander.

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Hafen von Teignmouth

Es gibt kein zurück

Beim Start in Teignmouth herrschte ein furchtbares Chaos, weil Crowhurst kaum etwas richtig geplant oder zu Ende gebracht hatte. An Bord und am Kai lagen Pakete, Kartons und Taschen herum, in denen Segel, Ersatzteile, Weihnachtsgeschenke oder Lebensmittel steckten. Niemand fühlte sich für das Sortieren dieser Artikel zuständig, weil Crowhurst zwar überall herumwieselte, aber nie ansprechbar war, da er lieber Presse-Interviews gab und Termine mit Sponsoren wahrnahm. Wichtige Teile waren daher nur unvollständig eingebaut worden oder fehlten dann komplett. Schrauben lösten sich schon während der Fahrt und weil keine Gummidichtungen von der Werft eingebaut wurden, drang schon bald Wasser in Bereiche ein, wo dies gefährlich war – wie etwa in den unten im Rumpf eingebauten Stromgenerator. Die Halterung für den kleinen Außenbordmeter war so labil angebracht, dass sich der ambitionierte Weltumsegler schon bei der Überführung im Ärmelkanal am Auspuffrohr die Hand verbrannte – für seine Ehefrau Clare ein ganz übles Omen, weil Crowhurst dabei die Lebenslinie auf seiner Hand zerstört hatte.

So segelte er also auf seiner schwimmenden Baustelle Richtung „Brüllende Vierziger“ und Kap Hoorn. Mit vier Logbüchern an Bord, nach einem erfolgreich absolvierten Schnellkurs für Schiffsfunker. Mit mehreren Kilogramm Tee, Käse und Keksen und wasserdichten Tupperware-Behältern von großzügigen Sponsoren ausgerüstet.

Kurz vor dem Start rieten ihm einige Freunde und Experten angesichts des desolaten technischen Zustands der Teignmouth Electron, das verrückte Vorhaben lieber ganz aufzugeben – doch da hatte Crowhurst schon den Mund zu voll genommen, einen Presse- und PR-Mann angeheuert und überall angekündigt, das Rennen gegen acht Gegner überlegen zu gewinnen.

In mehreren Tabellen hatte er bereits Wochen vor dem Start berechnet, wie hoch sein absolvierter täglicher Streckendurchschnitt und der seiner Rivalen werden würde: Sein Speed, seine zurückgelegte Strecke war immer doppelt so hoch wie die der anderen – jedenfalls auf dem Papier. Im Jahr zuvor hatte Chichester noch bei seiner Rekordfahrt um die Welt Strecken von 131 Meilen pro Tag zurückgelegt – nun veranschlagte Crowhurst für sich glatt 220 Meilen täglich. Da wäre selbst der Fliegende Holländer vor Neid erblasst.

14 000 Meilen von der Wahrheit entfernt

Umso tragischer dann die Fallhöhe: Sein Trimaran konnte am Wind zwar gute Fahrt machen, aber technische Defekte, Undichtigkeiten usw. machten dem Aufschneider einen dicken Strich durch die Rechnung. Nach zwei Wochen auf See hatte er nie mehr als 130 Meilen täglich geschafft – da war er gerade bis zur portugiesischen Küste bei Kap Finisterre gekommen und musste sich dringend um die Reparatur eines Lecks kümmern. Die Konkurrenten waren ihm längst davon gesegelt, so dass er sich in aussichtsloser Position mit einem Betrugsmanöver aus seinem Dilemma retten wollte. Auf halber Strecke gab er die rasante Fahrt Richtung Süden auf, dümpelte bei totaler Funkstille vor der brasilianischen Küste herum und wartete auf die Kap Hoorn-Umsegler, denen er sich dann auf der Rückfahrt nach England unauffällig anschließen wollte. Irgendwann merkte er dann doch, dass seine gefälschten Positionsangaben auffliegen würden und seine Behauptung, die Kap Hoorn-Umrundung schon hinter sich zu haben, als dreiste Lüge entlarvt werden würde.

Was Crowhurst psychisch stark belastete, war der Knebelvertrag mit seinem Sponsor Best: Der hatte eine Vertragsklausel aufgesetzt, die Crowhurst zum teuren Rückkauf des Trimarans zwingen würde, sollte er die Regatta aufgeben. In diesem Fall wäre Crowhurst finanziell erledigt und hätte sich in der Öffentlichkeit total lächerlich gemacht.

GoldenGlobeRaceRoute

Route des Rennens

Der Chichester-Kompley

Francis Chichester hatte für seine Weltumsegelung 226 Tage (allerdings mit einem Stop in Sydney) gebraucht, Crowhurst dagegen kalkulierte in seinen Streckenberechnungen die eigene Gesamt-Fahrtzeit nach mehreren allzu optimistischen Einschätzungen schließlich mit 194 Tagen ein. Der große Seefahrer Chichester – der ja auch ein großer Pilot und Abenteurer war – stellte für ihn zweifellos ein leuchtende sVorbild dar, er war aber auch eine Autoritätsfigur, die Crowhurst noch übertrumpfen wollte. Und Crowhursts rebellisch-aufmüpfiges Naturell zielte natürlich auch darauf ab, den um Chichester zelebrierten Starkult zu pulverisieren, indem er selbst als revolutionärer Trimaran-Titan den Senior und seine konventionelle Gypsy Moth-Ketch überholte.

Offenbar hatte Crowhurst einen Chichester-Komplex: Er hatte vor dem Bau seines eigenen Trimarans zwei Monate damit vertrödelt, bei der Cutty Sark-Stiftung zu antichambrieren, die Francis Chichesters Rekord-Boot Gypsy Moth IV als Exponat ausstellte und als Monument in Beton verewigen wollte. Der Weekend-Sailor wollte sich die Gypsy Moth für die Regatta um die Welt ausleihen und betonte in Briefen und Gesprächen immer wieder, dass er ja das Rennen todsicher gewinnen würde und daher für die Stiftung kein Risiko, sondern eher noch mehr Prestige involviert wäre.

Wie fast alles bei Crowhursts Aktionen war auch hier viel Widersprüchliches und Ambivalentes im Spiel: Seine Heldenverehrung für Chichester war auch mit Neid und Aversion durchmischt: Als der umjubelte Held Chichester ein Jahr zuvor in Plymouth mit riesigem Medien-Hype begrüßt wurde, war Crowhurst wie ein grollender Teenie auf seiner kleinen Jolle herumstolziert und verhöhnte Zuschauer mit Grimassen und dummen Sprüchen. Und nun schlug man ihm einfach seine Bitte ab, mit dem berühmten Boot nochmal so eine ruhmreiche Weltumseglung durchzuführen! Crowhurst träumte wohl davon, dass bei seiner glorreichen Rückkehr nach Teignmouth ihm noch mehr Bewunderer zujubeln würden als die 250 000 Fans, die den 65jährigen Chichester am 28. Mai 1967 in Plymouth wie einen Popstar begeistert begrüßt hatten. „Rule Britannia“ hatte damals vorübergehend die Nationalhymne ersetzt und Chichester war von Queen Elizabeth II. mit demselben Schwert zum Ritter geadelt worden, das Elizabeth I. schon 1580 benutzt hatte, um den ersten berühmt-berüchtigten Weltumsegler und Kaperfahrer Francis Drake nach dessen dreijähriger Fahrt über die Weltmeere mit dem Ritterschlag zu ehren.

Keine Frage: Für die Briten waren beinharte Seefahrer immer noch die Helden der Nation – mochten die Amerikaner sich noch so weit mit ihren Astronauten in den Weltraum vorwagen. Doch abenteuerlustige Einhandsegler wie Knox-Johnston, Tetley im zweiten Trimaran und die beiden Berufsabenteurer Ridgway und Blyth, die ebenfalls an der Regatta teilnahmen, hantierten bei ihrer Standortbestimmung immer noch mit einem Sextanten. Das legendäre Duo Ridgway/Blyth hatte 1966 sogar im Ruderboot den Atlantik überquert; diesen abgebrühten SAS-Kämpfern konnte niemand etwas vormachen, wenn es um nautische Probleme ging.

In diesem Kontext muss man natürlich auch berücksichtigen, dass es damals noch keine Computer, kein Internet oder GPS-Systeme gab – der Betrug von Crowhurst wäre heute unmöglich, weil jeder Standort sofort auf dem PC oder Smartphone angezeigt wird. Chichester hatte jedenfalls von Anfang an Vorbehalte gegen den großspurigen Hobby-Segler, reagierte schon nach ersten von Crowhurst gemeldeten riesigen Tagesetappen äußerst skeptisch und befand dann einfach nur: „He´s a Joker“. Was den Nagel natürlich auf den Kopf traf. Der „Scherzkeks“ Crowhurst hatte nach langer Funkstille an seinen verzweifelten PR-Mann Hallesdale, der den Medien seit Tagen nichts zu berichten hatte, großspurig gefunkt, er habe gerade 243 Meilen an einem Tag zurückgelegt, was prompt für ein bombastisches Rauschen im Blätterwald gesorgt hatte.

Hysterisch-euphorisch bereiteten BBC und viele Zeitungen nach Hallesdales Erfolgsmeldungen den Heldenempfang in Teignmouth vor: Tausende wurden mobilisiert, Crowhurst sollte einige Tage vor seiner Rückkehr nach England rechtzeitig seine selbstgemachten Film-und Tonband-Aufnahmen auf hoher See an ein Hubschrauber-Team übergeben. Das war wohl der ultimative Alptraum für den segelnden Hochstapler, der sich vorstellte, nach dem bombastischen Empfang in der Heimat von Logbuch-Kontrolleuren als Fälscher zur Strecke gebracht zu werden. Jedenfalls entwickelte er nun paranoide Wahnvorstellungen und Halluzinationen.

Mit Einstein in die vierte Dimension

Nach dem Bergen des Trimarans am 10. Juli 1969 – dem Tag 252 der Regatta – machte sich das Regatta-Komitee daran, die Logbücher penibel nach falschen Angaben zu durchforsten. Man fand nicht nur die gefälschten Positions-Angaben in den Unterlagen, sondern auch noch Crowhursts wirre pseudophilosophischen Thesen über „Zeitwahnsinn“, Überlegungen zu „kosmischen Wesen“ und zur 4. Dimension von Einstein.

Wenn ich aus meinem eigenen freien Willen heraus festlege, dass der Mensch, indem er lernt, das Raum-Zeit-Kontinuum zu handhaben, Gott werden und aus dem naturgesetzlichen Universum, wie wir es kennen, heraustreten wird, dann gebe ich dem System einen Impuls“…

Crowhurst elaboriert auch seine Vision vom „kosmischen Schachspiel gegen den Teufel“ und vom erlösenden Trennungsprozess von Körper und Geist: Er wollte sich einfach auflösen und ins Meer eintauchen, um sich in dieser ultimativen Katharsis vom zivilisatorischen Gift zu reinigen. Die Auswertung der kompletten Unterlagen hatte laut Hall und Tomalin ergeben, dass sich Crowhurst mit einem Chronometer in der Hand über Bord stürzte. Das Reporter-Duo hat mit Dutzenden von Crowhursts Freunden und Bekannten gesprochen, Interviews mit der Familie und mit Segelsport-Experten geführt, die Logbücher überprüft. Der Bootsbauer John Eastwood äußert sich zur Kritik an der Trimaran-Konstruktion, der Navigationsexperte Captain C.A. Rich beurteilt die Navigationstechnik von Crowhurst, so dass wir den fatalen Törn dieser tollkühnen modernen Version des „Ancient Mariner“ unmittelbar begleiten und ihm in seiner Kajüte direkt über die Schulter schauen können, wenn er einen irreführenden Kurs im Logbuch einträgt.

Natürlich hatte der in Indien als Sohn eines Eisenbahn-Inspektors geborene Crowhurst andere soziale Erfahrungen hinter sich als seine in der englischen Provinz aufgewachsenen Kumpel: Er konnte eigentlich immer ungehemmter und ausgeflippter Grenzen ausloten und extremere Ausbrüche aus dem bürgerlichen Habitat wagen als alle anderen. Doch 1947, nach der Rückkehr der Familie nach England wurden diese Grenzüberschreitungen dann nicht mehr toleriert. Als Crowhurst bei der Armee und dann bei der RAF eine Offizierslaufbahn anstrebte, wurde ihm bald das Ausscheiden aus dem Dienst wegen seiner dreisten „spätpubertären“ Streiche empfohlen. Er hatte im Suff einen Sportwagen für eine Spritztour gestohlen und er war nachts mit einem Motorrad durch den Schlafsaal gedonnert, in dem Kumpel aus seiner Einheit zu schlafen versuchten. Eigentlich wollte er immer nur als wilde Rampensau im Mittelpunkt stehen und als toller Hecht bewundert werden.

Respekt und sogar Bewunderung kann ihm der Leser trotz seiner profilneurotischen Attitüden und seiner dreisten Täuschungsmanöver entgegen bringen. Denn wie schon Chichester in seinem Bestseller „The Lonely Sea and the Sky“ konstatierte, kann diese Einsamkeit auf See absolut grausam und mörderisch sein. Hall/Tomalin beschreiben auch detailliert, wie wir uns die einsamen Nächte des Seglers auf See vorstellen müssen: Crowhurst konnte nachts nie mehr als vier Stunden schlafen, seine Beleuchtung hatte er meistens ausgeschaltet, weil er Strom sparen wollte, vorübergehend war der Tee verschimmelt, Kontakte zur Außenwelt waren längere Zeit wegen der defekten Funkanlage unmöglich – der Leser im bequemen Sessel am warmen Ofen sollte daher nicht leichtfertig den Stab über diesen Fahrensmann brechen, der keinen passablen Ausweg aus seinem Dilemma fand.

Unfall oder Selbstmord?

Da Crowhursts Leiche ja nie gefunden wurde, rätseln manche Beobachter noch heute über sein mysteriöses Verschwinden. Hatte er vielleicht einen Unfall gehabt? Ist er irgendwo an Land gegangen und lebt jetzt inkognito in Südamerika? Er war ja schon bei der Überführung nach Teignmouth ausgerutscht und über Bord gegangen; er legte auch keinen großen Wert aufs Angurten oder auf das Anlegen der Rettungsweste auf See. Als Crowhursts verlassener Trimaran am 10. Juli 1969 – dem 259. Tag der Regatta – vom britischen Postschiff „Picardy“ in der Nähe der Azoren gefunden wurde, war Captain Box, der Kommandant der Picardy, mit einem chaotischen Szenario konfrontiert. Zwischen dreckigen Tellern, vergammelten Lebensmitteln, Lötkolben und zerlegten Funkempfängern lagen Geräteteile und ein Schlafsack in der stinkenden Kajüte („als hätte man Grünkohlsaft überall ausgekippt und wochenlang gären lassen“, schreiben Hall/Tomalin). Man hievte Crowhursts Boot auf das Postschiff, funkte nach London, um Lloyds zu benachrichtigen und untersuchte dann die gefundenen drei Logbücher – das vierte hatte Crowhurst offenbar vernichtet.

Vor seinem Start hatte Crowhurst seine Ehefrau Clare oft gefragt, ob sie mit den vier Kindern allein fertig würde, wenn er monatelang auf hoher See unterwegs war. Sie sollte sich ja auch noch um die Firma kümmern, deren Geschäfte – wenn auch mit halber Kraft – weiterliefen. „Ja natürlich schaffe ich das“, hatte sie immer geantwortet. „Erst im Nachhinein ist mir klargeworden“, berichtete sie dem Reporter-Team Hall/Tomalin nach dem tragischen Ende ihres Mannes im ausführlichen Interview, dass sie Crowhursts Frage völlig falsch interpretiert hatte: „Er wollte ja keine Bestätigung für die Teilnahme an diesem verrückten Rennen haben, sondern er wartete wohl immer darauf, dass ich endlich protestieren und sagen würde: „Höre auf mit diesem gefährlichen Abenteuer und bleib zu Hause!“

Den Sunday Times-Reportern Ron Hall (1934-2014) und Nicholas Tomalin (1931-1973, bei einem Raketenangriff auf Israel verstorben) ist mit ihrer 1970 veröffentlichten Reportage ein aufregender Klassiker gelungen: Das packende, tragische Seedrama des Donald Crowhurst wird zum einfühlsamen Psychogramm ausgeweitet, das Umfeld des erfolgsgierigen Tüftlers und Abenteuers wird so detailliert beschrieben, dass wir mit ihm an Bord steigen und ihn während der zurückgelegten 30 000 Kilometer bei den dubiosen Einträgen in seine Logbücher und beim Agieren in dieser exotischen Einhandsegler-Welt beobachten können – ein großer Wurf !

Peter Münder

Ron Hall/ Nicholas Tomalin: Die sonderbare letzte Reise des Donald Crowhurst. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Malik Verlag München 2016. 400 Seiten. 4 Abb., 1 Karte, 20,00 Euro. Abbildung Rennroute: Wikipdia, Quelle. Abbildung Hafen: Wikimedia Commons, Alex1011, Quelle

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