Pick of the Week N° 15
– Seit Jahren bibliografiert, archiviert und kommentiert der Ehrenglauser-Preisträger Thomas Przybilka in seinem BoKAS (= Bonner Krimi-Archiv Sekundärliteratur) wissenschaftliche und publizistische Arbeiten aus aller Welt, die sich mit den unendlichen Facetten von Kriminalliteratur befassen. In unregelmäßig regelmäßigen Abständen erscheinen dann seine unschätzbar wertvollen Zusammenfassungen der aktuellen Sekundärliteratur, die jeder zur Kenntnis nehmen muss, der sich auch nur ein bisschen über seine Lieblingsliteratur kundig machen möchte. Ein solcher „Newsletter“ hat leicht einmal 160 bis 200 Seiten; deswegen empfiehlt CrimeMag unregelmäßig ein paar Titel aus dieser Fülle, die uns besonders bemerkenswert erscheinen.
Chigidi, Willie L.: A Study of Shona Detective Fiction
Shona (auch Chishona) ist einer der Bantu-Sprachen, die von ca. 10 Millionen Menschen in Simbabwe und Mosambik gesprochen wird. In Simbabwe hat Shona den Rang einer Nationalsprache und ist seit Ende der 1980er Jahre dort Pflichtfach in den Schulen. Shona ist auch die Bezeichnung für eine Bevölkerungsgruppe, die in Simbabwe beheimatet ist. Die Shona-Kultur kennt selbstverständlich Lieder, Märchen und Erzählungen und Romane. Hat sich zunächst aus den traditionellen Märchen dieser Bevölkerungsgruppe der sogenannte Shona-Krimi entwickelt, im Anfang erst als rudimentäre Form des Krimis, hat er sich durch den Einfluss traditioneller britischer Autoren/innen, aber auch amerikanischer Thriller, weiterentwickelt und gewandelt.
Die Shona-Kriminalliteratur fokussiert sich hauptsächlich auf den männlichen Ermittler/Detektiv, weibliche Protagonisten sind mehr oder weniger Beiwerk und kommen bisher nicht als Helden in dieser Kriminalliteratur vor. Willie Chigidi behandelt in seiner Untersuchung die Entstehung und die Entwicklung des Shona Kriminalromans als selbstständiges Literaturgenre neben dem Mainstream-Shona-Roman.
Willie (William Lundisani) Chigidi ist Professor für Afrikanische Sprachen und Kultur an der Midlands State University in Simbabwe. Er lehrt Shona Dialekte und afrikanische „oral literature“. 1997 legte er seine Dissertation „The Emergence and Development of the Shona Detective Story as a Fictional Genre in Zimbabwean Literature“ an der University of South Africa vor.
Chigidi, Willie L.: A Study of Shona Detective Fiction. New perspectives. 2012. 92 Seiten. LAP Lambert Academic Publishing (VDM). 3-8484-2886-5 / 978-3-8484-2886-1. 49,00 Euro.
Hoppen, Kristof: The (double) Consciousness in African American Crime Fiction
1903 erschien das Werk „The Souls of Black Folk“ des Afro-Amerikaners William Edward Burghardt Du Bois. In seinem Buch prägte WEB Du Bois den Begriff „Double Consciousness“ für die alltägliche Situation, der sich Afro-Amerikaner in der „weißen“ amerikanischen Gesellschaft stellen mussten: Die Suche nach sich selbst durch die Augen anderer. Kristof Hoppen untersucht in seiner Arbeit, ob dieses „Doppel-Bewusstsein“ – der Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung – auch im afro-amerikanischen Kriminalroman zu finden ist.
Für seine Analyse hat sich Hoppen mit den Kriminalromanen „Cotton Comes To Harlem“ von Chester Himes und „Devil In A Blue Dress“ von Walter Mosley beschäftigt und fragt: Kann z.B. ein schwarzer Detektiv seine Integrität beibehalten, durchsetzen und verteidigen in einer Gesellschaft, die ihn im Prinzip verleugnet? Welchen Einfluss kann „Double Consciousness“ auf die Charaktere der Protagonisten in den Handlungen der Kriminalromane haben? Ist der afro-amerikanische Kriminalroman durch dieses Doppel-Bewusstsein möglicherweise zu einem eigenständigen Sub-Genre geworden, und spricht er auch die allgemeine Masse oder nur bestimmte Teile der Leserschaft von Kriminalromanen an?
Hoppen, Kristof: The (double) Consciousness in African American Crime Fiction. Popular literature as platform for social criticism. 2008. 88 Seiten. GRIN Verlag (Bachelor Thesis), 3-640-18245-6 / 978-3-640-18245-9. 24,99 Euro.
Rosenberg, Robin S. / O’Neill, Shannon (Hg): The Psychology of the Girl with the Dragon Tattoo
Stieg Larssons Protagonistin Lisbeth Salander dürfte wohl die interessanteste, faszinierendste, aber auch die wohl rätselhafteste Figur im zeitgenössischen Thriller sein. Mit Lisbeth Salander, der jungen Frau mit dem Drachen-Tattoo, hat Stieg Larsson einen Charakter in seiner Millennium-Trilogie geschaffen, der Mikael Blomkvist etwas blass aussehen lässt.
Wer ist Lisbeth Salander?
Ein weiblicher Outlaw? Eine weibliche Superheldin? Ein Racheengel? Und wie tickt diese Heldin und begnadete Hackerin? Die Herausgeberinnen haben zusammen mit 17 Kolleginnen und Kollegen – allesamt Psychologen, Psychoanalytiker und/oder Psychiater – Lisbeth Salanders Charakter und Psyche unter den verschiedensten Gesichtspunkten einer Tiefenanalyse unterzogen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen liegen seit Ende 2011 in dem Sammelband „The Psychology of the Girl with the Dragon Tattoo“ vor.
Inhalt:
- Robin S. Rosenberg & Shanno O’Neill: Introduction
- Part I – The Girl with the Armored Façade: Robert Young & Lynne McDonald-Smith: Lisbeth Salander and the „Truth“ about Goths / T.H. Eric Bui & Rachel Rodgers: The Body Speaks Louder Than Words. What is Lisbeth Salander Saying? / Misty K. Hook: Lisbeth Salander as a Gender Outlaw / David Anderegg: What to Say When the Patient Doesn’t Talk. Lisbeth Salander and the Problem of Silence / Prudence Gourguechon: Mistrustful. Salander’s Struggle with Intimacy
- Part II – The Girl with the Tornado Inside: Wind Goodfriend: Sadistic Pigs, Perverts, and Rapists. Sexism in Sweden / Joshua L. Gowin: Broken. How the Combination of Genes and a rough Childhood Contribute to Violence / Stephanie N. Mullins-Sweatt & Melissa Burkley: Men Who Hate Women but Hide It Well. Successful Psychopathy in the Millennium Trilogy / Hans Steiner: If Lisbeth Salander Were Real / Marisa Mauro: Confidential. Forensic Psychological Report – Lisbeth Salander
- Part III – The Girl Who Couldn’t Be Stopped: Sandra Yingling: The Magnetic Polarizing Woman / Pamela Rutledge: Resilience with a Dragon Tattoo / Bernadette Schell: Lisbeth Salander, Hacker / Robin S. Rosenberg: Salander as Superhero / Mikhail Lyubansky & Elaine Shpungin: The Cost of Justice.
Robin S. Rosenberg, Ph.D. (an der University of Maryland), ist klinische Psychologin und unterrichtet Psychologie an der Lesley University und der Harvard University. Sie veröffentlichte zahlreiche Artikel zu den psychologischen Hintergründen von Figuren der Popular Kultur. www.drrobinrosenberg.com
Shanon O’Neill, M.A. (an der Johns Hopkins University), ist Consultant einer Literaturagentur in Washington D.C. und Dozentin an der American University.
Rosenberg, Robin S. / O’Neill, Shannon (Hg): The Psychology of the Girl with the Dragon Tattoo. Understanding Lisbeth Salander and Stieg Larsson’s Millennium Trilogy. 2011. 256 Seiten. s/w Illustrationen. Smart Pop Books (BenBella Books). 1-936661-34-9 / 978-1-936661-34-3. US $ 14,95.
Thomas Przybilka