Geschrieben am 3. Dezember 2011 von für Bücher, Crimemag

Alan Bradley: Flavia de Luce. Halunken, Tod & Teufel

Fran Ray

heute … über Alan Bradley, äääh, über Flavia de Luce …

Ich mag keine Kinder.

Das habe ich auch CrimeMag nicht verschwiegen. Dennoch hat man mich auf dieses Interview angesetzt. Wollte man mich quälen? Das jedenfalls hat man jetzt davon: Anwaltskosten.

Waren Sie schon einmal im Gefängnis?

Hier mein Bericht, wie es überhaupt geschehen konnte, mich in eine solch fatale und unmögliche Lage zu bringen:

Im Auftrag von CrimeMag machte ich mich auf den Weg zu Flavia de Luce. Ja, sicher, ich hätte WISSEN müssen, dass es ein Fiasko werden würde.

Man hat ja schon gewisse Vorstellungen, nach zwei Büchern über dieses neunmalkluge Gör – einer frühreifen Miss Marple, wie die Frankfurter Rundschau meinte.

In „Mord im Gurkenbeet“ – und „Mord ist kein Kinderspiel“ horcht sie schamlos die Leute aus, lügt wie gedruckt, wenn sie es für nützlich hält und hält sich für ziemlich clever.

Und – nicht allein das Mädchen! Ich musste ins Mittelengland der 50er Jahre. CrimeMag erlaubte mir immerhin einen Triumph TR2 Cabrio – in Englisch-Rasen-Grün mit weißen Ledersitzen. Dass es regnen würde, ahnte man, aber nun gut. Ich sollte Flavia am sogenannten Gehölz treffen. Am Telefon – sie erklärte mir, dass sie es kaum benutzten, weil ihr Vater, ein leidenschaftlicher Philatelist (als ehemaliger Soldat und Witwer sowieso irgendwie eigenbrötlerisch und introvertiert) ganz außerordentlich gegen diese modernen Errungenschaften war – hatte sie mir den Weg beschrieben und auch gleich die Namen sämtlicher Anrainer genannt. Gut, ich fuhr also mit meinem schicken, etwas unkomfortablem Sportwagen über die holprigen Landstraßen – ohne Navi und ohne Handy.

Kein Wunder, dass ich mich verfuhr, oder?

Bishop’s Lacey, den Ort fand ich noch, aber plötzlich stand ich inmitten eines Jahrmarkts. Allerdings qualmte ein Zelt und Feuerwehrleute rollten gerade ihre Schläuche zusammen.

Man verstand sogar mein Englisch und erklärte mir, das Zelt der Wahrsagerin sei in Flammen aufgegangen, und jemand raunte mir zu, dass er die kleine Flavia dort habe herauskommen sehen. Aha, dachte ich, die Neunmalkluge  hat sich mal wieder einen Fauxpas erlaubt, wenn das ihr Vater erfährt!

Dass dies erst ein kleiner Vorgeschmack auf das war, was mich noch erwartete,  ahnte ich noch nicht. Jedenfalls erwartete mich gleich ein weiterer Schock, als ich am Gehölz eintraf, einem Wäldchen, das – hatte mir Flavia noch am Telefon erklärt – im 17. Jahrhundert der Schlupfwinkel eines gewissen Nicodemus Flitch gewesen sein sollte, der die religiösen Sekte der Humplers gegründet hatte.

Ich meine nicht den bunten Wohnwagen und das zottelige Pferd, das dort graste. Ich stieg gerade aus meinem Triumph und zog mir mein Kostüm glatt, als die Tür aufgestoßen wurde und ein Mädchen herausstürzte. Sie war schmächtig und hatte langes Haar – und Blut an ihrem Kleid und ihren Händen.

Ihr Blick war genauso entsetzt wie meiner wahrscheinlich, aber während ich sie noch stumm anstarrte, sagte sie schon: „Sie sind Mrs. Ray, richtig?

„Äh, ja …“

„Gut, Sie müssen mir unbedingt helfen! Aber ich verlange absolute Verschwiegenheit!“

Ich zögerte. Abgesehen davon, dass der Sinn dieser Reise darin bestand, etwas zu berichten, befremdete mich doch ihr Befehlston. Sie war erst elf!

„Los, kommen Sie schon, die Wahrsagerin verblutet!“, drängte sie, „und mein Vater darf nichts von der Wahrsagerin erfahren, denn er hat sie und ihren Mann von unserem Grund und Boden verjagt und  …“

Ich will Ihnen Details ersparen, aber Sie glauben nicht, mit welcher Kaltblütigkeit dieses Mädchen dann verlangte, alle Spuren zu verwischen.

„Wieso?“, fragte ich.

Sie sah mich an, als käme ich von einem anderen Stern – was in gewisser Hinsicht nicht ganz falsch war.

„Ihr schönes Kostüm, ich werde es Mrs. M geben, das ist unsere Haushälterin, sie hat immer eine Lösung. Aber, betrachten Sie sich! Sie werden zur Hauptverdächtigen: An Ihnen klebt Blut; sie sind eine Fremde, im Wohnwagen sind Ihre Fingerabdrücke und wieso kommen Sie hier überhaupt vorbei?“

„Weil ich mich mit dir …“

Sie fiel mir ins Wort: „Ich will Ihnen nur sagen, was Inspektor Hewitt denken wird. Er ist nämlich ziemlich pedantisch. Ich bewundere ihn, wirklich, aber wir sind meistens Gegner bei unseren Fällen. Und wissen Sie, warum?“

„Nein …“

Über ihr Gesicht zog sich ein listiges Lächeln. „Weil er mir keine Informationen gibt. Wir ermitteln sozusagen um die Wette, verstehen Sie? Schon bei Mord im Gurkenbeet …“

„Ja …“

„Er nimmt mich nicht ernst, weil ich erst elf bin.“ Sie zuckte die schmalen Schultern und seufzte. „Es ist wie in der Chemie … oft sind es winzige Spuren eines Elements, die etwas in Gang setzen. Das darf man nicht unterschätzen.“

„Ah, so.“ Chemie war mein meistgehasstes Fach in der Schule. Neben Physik.

„Kommen, Sie, wir müssen uns beeilen, dann zeige ich Ihnen auch mein Chemielabor!“

„Ich kann es kaum erwarten“, murmelte ich.

Wir brachten also die arme, blutende Wahrsagerin zu einem verschwiegenen Arzt, dann fuhren wir auf Schleichwegen zum Hintereingang von Buckshaw, dem Schloss der de Luces, um das Auto mit einem Mittel zu reinigen, das sie selbst hergestellt hatte. „ Es löst Blutflecken auf. Schließlich ist Blut nichts anders als ein Gemisch aus Wasser, Natrium, Kalium, Chlorid und Phosphor“, sagte sie und sprühte das Zeug auf die verschmierten weißen Sitze, „wunderbar, nicht wahr, ich habe es Flavia-Salz genannt. Sie verstehen, oder? Alle berühmten Chemiker haben ihre Namen verewigt, denken Sie an Marie Curie  und …“ Sie verstummte plötzlich und ich folgte ihrem Blick. Ich wusste, wer das war: ihre beiden Schwestern. Die große Blonde identifizierte ich sogleich als die eitle Feely, die andere mit dem Buch als das wandelnde literarische Lexikon als Daffy.

„Die verpetzen uns hoffentlich nicht, sie sind so gemein“, raunte mir Flavia noch zu, dann setzte sie ein zuckersüßes Lächeln auf. „Das ist Mrs. Ray von einem Magazin in Deutschland, sie schreibt etwas über mich.“

Feely zog eine Grimasse. „Das glaubst du doch wohl selbst nicht.“

Und Daffy kniff die Augen zusammen und musterte mich. Plötzlich wurde sie freundlich. „Ich stehe auch für ein Interview bereit. Fragen sie mich alles, was Sie wollen.“

Feely schüttelte ihr Haar. „Von mir dürfen Sie gern ein Foto abdrucken.“

Ich wühlte gerade meinen Fotoapparat aus meiner großen Handtasche, als ich Flavia aufschreien hörte. „Inspektor Hewitt!“

Das auch noch – und wir hatten erst die Hälfte des Blutes vernichtet.

„Flucht kommt nicht in Frage“, entschied Flavia und beruhigte mich dann. „Lassen Sie mich machen, ich kenne mich aus.“

Was blieb mir anderes übrig. Der ernste Herr, tatsächlich erinnerte er mich an Sherlock Holmes – allerdings ohne diese alberne Tweedcape und auch ohne Pfeife –, entstieg seinem schwarzen Auto und kam auf uns zu. Sein Blick war auf mich gerichtet und sofort wusste ich, dass die Sache nicht gut gehen würde.

„Ihr Wagen wurde an einem Tatort gesichtet“, sagte er ohne Umschweife und spähte auf den Schwamm in meiner Hand und den blutigen Rücksitz, „und gerade werde ich Zeuge, wie sie Beweismittel vernichten.“

„Das ist ein Missverständnis, Inspektor“, begann ich mich zu verteidigen, „ich bin …“

„Genau, Inspektor Hewitt, Mrs. Ray schreibt einen Artikel über mich und für ein dramatisches Foto haben wir Jod … in ihr Auto geschmiert …“

Doch da hatte mir schon ein junger Polizist die Arme auf den Rücken gefesselt.

„Das ist doch absurd!“, protestierte ich, „Flavia, bitte, du musst die Sache richtig stellen!“

Ich erwartete, dass sie nun gestehen würde, was passiert war, aber sie nickte bloß und flüsterte mir noch ins Ohr: „Ich verspreche Ihnen, ich finde den wahren Täter!“

„Aber, wie lange …“

„Vertrauen Sie mir!“, sie lächelte, „ich habe bisher jeden Fall gelöst!“ Dann wurde ich abgeführt und Flavia rief mir noch hinterher, „ich hätte noch so gern für uns Würstchen in meinem Chemielabor gebraten …“

Als der Polizeiwagen am Schloss vorbeirumpelte, konnte ich einen Blick auf eine heruntergekommene Parkanlage mit halbverfallenen Steinfiguren und wuchernden Büschen werfen, als der Fahrer plötzlich auf die Bremse trat.

Der Inspektor wandte sich nach hinten zu mir: „War das auch Ihr Werk?“

Wir standen vor einem Brunnen mit einem Poseidon, der einen Dreizack hielt.

„Nein!“, sagte ich, „nein!“, schrie ich, „natürlich nicht!“

Poseidon hatte eine Leiche auf seinen Dreizack aufgespießt.

Seitdem sitze ich also in Untersuchungshaft. Flavia ermittelt noch, ich hoffe bloß, ihr gelingt es auch diesmal, den Schuldigen zu finden!

Um dennoch anfallende Anwaltskosten begleichen zu können, wäre ich Ihnen für Spenden auf u.g. Konto sehr dankbar.

Fran Ray

Alan Bradley: Flavia de Luce. Halunken, Tod & Teufel (A Red Herring Without Mustard, 2011). Roman. München: Penhaligon 2011. 352 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.Mord im Gurkenbeet bei krimi-couch. Flavia de Luce-Homepage. Illustration: www.jonathanburtonblog.net

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