Avanciertes Vexierspiel
Mit Zephyr begibt sich der vielfach ausgezeichnete Lyriker und Dramatiker Albert Ostermaier von seinen angestammten literarischen Hochebenen in die prosaischen Niederungen – und lockt den Leser dort in ein raffiniertes Spiegelkabinett, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Von Karsten Herrmann
Den Ausgangspunkt für Ostermaiers Roman bildet eine wahre Geschichte, die sich im Jahr 2003 zutrug: Die berühmte französische Schauspielerin Marie Tritignant wird von ihrem Liebhaber Bertrand Cantat, dem Sänger der Rockband „Noir Désir“, in einem Rausch aus Eifersucht, Alkohol und Drogen erschlagen. Statt die Polizei zu rufen oder zu fliehen, legt sich Cantat neben seine Geliebte und schläft ein: „Beide waren schwarze Engel, Fallwind in den Augen und unter den Achseln, beide zogen sie alles in die Tiefe und wollten doch nur fliegen.“
Ostermaiers Protagonist und Ich-Erzähler Gilles, der gerade selber in einer Beziehungskrise steckt, arbeitet an einem Drehbuch, mit dem diese Tragödie verfilmt werden soll. Doch „irgend etwas an dieser Geschichte bedroht mich, als wäre es ein Tumor.“ Die recherchierten und imaginierten Ereignisse fressen sich in seine Gedanken und schieben sich wie ein Negativ vor sein Leben. Die Menschen um ihn herum werden nur noch als Katalysatoren für das Nachempfinden dieser liaison dangereuse missbraucht: „Du lebst wie ein Film“ wirft ihm seine Frau Cathy alsbald vor: „Kamerafahrten, Vogelperspektiven, Close-ups, immer bist du zu fern oder zu nah. Du lebst in Möglichkeiten statt im Konkreten.“
Immer schwerer fällt es Gilles so, die Wirklichkeit von der Fiktion zu unterscheiden. Seine Drehbuch-Figuren rochieren mit denen aus seiner realen Umgebung und wie aus einer kafkaesken Zwischenwelt tritt ein Kommissar auf die Bühne, der Requiems liebt und mysteriöse Morde aufzuklären hat. Schließlich weiß Gilles selber – und der Leser weiß es schon längst nicht mehr – ob er nur über einen Mörder schreibt oder schon selber zum Mörder geworden ist.
Ein surrealer Sog
So wie Gilles filmisch denkt und wahrnimmt, so hat Ostermaier seinen ersten Roman mit rasanten filmischen Schnitt- und Überblendungstechniken geschrieben. Aus seiner Prosa funkeln dabei immer wieder geradezu atemberaubende lyrische Sentenzen auf.
Ostermaiers Debüt-Roman ist ein avanciertes Vexierspiel zwischen Kunst und Leben, zwischen Fiktion und Wirklichkeit, in dem der Autor kühn mit den Erwartungen seiner Leser spielt. Stück für Stück schieben sich die verschiedenen Wahrnehmungs-Ebenen und literarischen Genres ineinander. Es entsteht ein surrealer Sog, der dem Leser den Boden unter den Füßen verlieren und ihn durch wunderbare Wortwelten schweben lässt: „Diese Stelle des Requiems liebe ich besonders, wenn die Hoffnung ausblutet in den Tod, die Strafe, die Sühne vor einem zürnendem Gott, und dann mit einer fragilen Zärtlichkeit das Verzeihen einen ungeahnten Weg durch die Schwärze findet.“
Karsten Herrmann
lbert Ostermaier: Zephyr. Suhrkamp, 222 Seiten. 17,80 Euro.