Zauberhafte Reise zum Smarties-Planeten
Berührend erzählt Aldo Nove vom schwierigen Erwachsenwerden in unübersichtlichen Zeiten
Die Kindheit ist ein buntes Zauberreich, in dem sich die Zeit auf geradezu magische Weise bis ins Endlose auszudehnen scheint. Doch mit den Jahren zeigt die Zeit ihre scharfen Zähne und entpuppt sich als „ein Krokodil, dass die Leute auffrisst, sobald sie erwachsen sind“.
Mit ungeheurem Einfühlungsvermögen erzählt Aldo Nove in „Amore mio infinito“ eine Geschichte vom Erwachsenwerden, vom schwierigen Abstieg aus dem Reich der Wunder und Träume in jenes der Notwendigkeiten und der Hektik, in dem plötzlich „alles das richtig ist, was du nicht willst“. Aus der Perspektive seines Ich-Erzählers Matteo, der 1972 in einem kleinen Dorf bei Mailand das Licht der Welt erblickt hat, führt er den Leser über vier entscheidende und natürlich immer mit „Amore“ verquickte Lebensstationen.
Unwiderstehliche Magie der Kindheit
Zum ersten Mal verliebt sich dieser Matteo, als die Welt noch aus Ferienspaß, Micky Maus, Robotern und Calippo-Eis für 200 Lire besteht. Da verzaubert ihn und seinen Freund Filippo ein Mädchen auf einem Balkon, dessen Lächeln „so groß wie ein Asteroid“ ist und die „jeder Hügel sich als Sonne wünschte“ – mit wenigen luftigen Prosa-Strichen schafft Aldo Nove, der in Italien auch als einer der führenden Lyriker der jungen Generation gilt, eine satte Atmosphäre und beschwört die unwiderstehliche Magie der Kindheit herauf.
Doch diese verblasst alsbald und für Matteo, dessen Mutter an Krebs erkrankt, beginnt mit dem dreizehnten Geburtstag eine Zeit der schmerzhaften Verwirrung und der Trauer. Die Welt wird zu einem großen Fragezeichen, „das Leben packt dich, stürzt deine Gedanken in ein riesiges Chaos“. Da fliegen „Susanna-Käsehäppchen“, TV-Nachrichten, das Sterben der Mutter und die verdammt prickelnde Werbung für Triumph-BH’s durcheinander und ergeben einfach keinen Sinn mehr. Dann kommt jedoch der erste entscheidende Kuss im Kino, die Welt wird für einen Moment wieder eins und in Matteo ist „dieser Duft, der Geruch ohne Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart“. Das Leben beginnt noch einmal von vorn, wie für einen Säugling, der noch nichts von dieser Welt weiß und sie jede Sekunde neu entdecken kann.
Mit siebzehn Jahren aber wächst für Matteo die Last des Lebens, das Ringen um Zukunft, Erfolg und Anerkennung ins Unermessliche. Über Aushilfsjobs und diverse Studiengänge in Mailand führt der Weg in das graue Berufsleben, das, er ist nunmehr 28, aus dem „Vertrieb von Fischtheken“ besteht – „garantiert FCKW-frei“. Doch irgendwo – und sei es bei McDonalds hinter der Theke – lauert noch einmal das Wunder der Liebe und vermag seine Existenz aufs Neue zu verzaubern.
Aldo Nove erzählt seine „éducation sentimentale“ mit einer großen Leichtigkeit und Poesie, aus der so wunderbare Metaphern wie „Der Mond war wie das Schlüsselloch zum Nichts“ am laufenden Band hervorsprudeln. Virtuos schmiegt der 36-Jährige seine Erzählweise den Entwicklungsstufen seines Protagonisten an und lässt hinter scheinbarer Naivität wahre Weisheit aufblitzen.
Karsten Herrmann
Aldo Nove: Amore mio infinito. Deutsch von Steve J. Klimchak. Rowohlt 2003. Kartoniert. 155 Seiten. 12 Euro. ISBN 3-499-23271-5