Ein Wust an Dialogen
Kunst, zumal Konzeptkunst, kann viele Gesichter haben. Kann sie auch als Thriller verkleidet daherkommen? Oder doch eher nicht? Joachim Feldmann kommt ins Grübeln …
Am Ende geht alles ganz schnell. Quasi im Eilverfahren klärt die irische Thriller-Autorin Alex Barclay all die rätselhaften Verbrechen auf, über deren Hintergründe sie uns auf den ersten 330 Seiten ihres dritten Romans Weiße Stille gezielt im Dunkeln gelassen hat. Stattdessen dürfen wir Dialoge wie den folgenden lesen: „‚Hier einen Parkplatz zu finden ist Glücksache’, sagte Bob. Er fuhr zum zweiten Mal die Main Street hinauf und bog dann links in die Jefferson Avenue ein. ‚Das kann ein Weilchen dauern.‘ ‚Da vorne ist was frei‘, sagte Ren und zeigte auf einen freien Parkplatz auf der anderen Straßenseite. ‚Stramme Leistung.‘ Bob warf einen Blick dorthin. ‚Genau vor der Eingangstür einer Arztpraxis.‘ ‚Oh …‘ ‚Ja, dann müssen wir wohl weitersuchen.‘ ‚Dann nehmen wir eben den Parkplatz an der Kirche und gehen zu Fuß.‘ Bob fuhr um den Block herum. ‚Eine Runde drehen wir noch … da, sehen Sie? Ein Parkplatz genau vor dem Restaurant.‘ ‚Stramme Leistung.‘ Ren lächelte.“
Der Stoff aus dem Thriller sind …
Dieses Lächeln wird der psychisch eh nicht sehr stabilen FBI-Beamtin Ren Bryce noch vergehen, wenn sie nämlich in dem schmierigen Restaurant, das sie gemeinsam mit dem örtlichen Sheriff aufsucht, einen Cheeseburger bestellt. Aber blenden wir uns kurz aus dem unerfreulichen Berufsalltag einer amerikanischen Bundespolizistin aus und wenden uns einem der Fälle zu, mit denen sie betraut ist. In einem Skigebiet im amerikanischen Bundesstaat Colorado ist eine Frauenleiche aufgetaucht, offenbar das Opfer eines Gewaltverbrechens. Dummerweise ist die Tote unter einer Schneelawine verschwunden, ehe sie von der Polizei geborgen werden kann. Doch Indizien helfen, ihre Identität zweifelsfrei zu ermitteln. Es handelt sich um Jean Transom, die wie Ren Bryce für das FBI arbeitete. Aber niemand scheint zu wissen, was sie in die Bergwelt Colorados geführt hat. Und auch die örtliche Polizei erweist sich als wenig hilfreich. Die Ermittlungsergebnisse bleiben entsprechend spärlich. Zumal Transom offenbar nicht die einzige Person ist, die in den letzten Jahren in der Gegend verschwunden ist.
Das ist schon der Stoff, aus dem man Thriller schneidert, doch leider scheinen Alex Barclay die dazu notwendigen handwerklichen Fähigkeiten irgendwie abhanden gekommen zu sein. So wird ein bei allen genretypischen Ungereimtheiten durchaus ansehnlicher Plot unter einem Wust von Dialogen der oben zitierten Art förmlich begraben. Das bedeutet harte Arbeit für Leser, ohne dass diese entsprechend entlohnt würde. Ein Problem, vor dem offenbar auch kapituliert hat, wer den folgenden, bemerkenswert kryptischen Klappentext verfasste: „Das beliebteste Skigebiet Breckenridge ist ein Urlaubsidyll – bis auf einem Gletscher die schneebedeckte Leiche einer Frau gefunden wird. Die FBI-Agentin Ren Bryce übernimmt die Ermittlungen. Scheinbar ein Routinefall. Doch Ren hat ein psychisches Problem. Aber davon weiß niemand. Eines Morgens findet man sie neben ihren erschossenen Kollegen auf – mit der Mordwaffe in der Hand. Hat Ren tatsächlich ihr ganzes Team auf dem Gewissen? Und warum verschweigt sie, dass die Tote auf dem Gletscher ihre Freundin war?“ Nur die ersten vier Sätze dieser Inhaltsangabe haben tatsächlich etwas mit der Handlung dieses seltsamen Romans zu tun, der Rest ist frei erfunden.
… ergibt nicht unbedingt einen guten Thriller
Aber vielleicht ist diese falsche Produktinformation gar kein Versehen, sondern Teil einer abgefeimten ästhetischen Strategie mit dem Ziel, dem spannungshungrigen Konsumenten zielgruppenorientierter literarischer Konfektionsware die Lektüre nachhaltig zu vermiesen. Dann nämlich handelte es sich bei diesem Paperback der „Thriller-Queen aus Irland“, wie das Börsenblatt Alex Barclay nannte, nicht einfach um einen misslungenen Kriminalroman, sondern um Konzeptkunst mit didaktischem Effekt. Und ich wäre tief beeindruckt.
Joachim Feldmann
Alex Barclay: Weiße Stille (Blood Runs Cold, 2008). Roman.
Deutsch von Karin Meddekis.
Bergisch-Gladbach: Bastei-Lübbe 2009. 381 Seiten. 16,95 Euro.