Geschrieben am 24. Januar 2007 von für Bücher, Litmag

Alexander von Schönburg: Lexikon der überflüssigen Dinge

Die feinen Unterschiede

Alexander von Schönburg leistet sich ein „Lexikon der überflüssigen Dinge“.

Endlich spricht jemand offen aus, welche „Objekte, Angewohnheiten oder Geisteshaltungen“ in der zivilisierten Welt wirklich überflüssig sind. Jemand, der darüber aufklärt, womit wir unsere freien Stunden vergeuden, woran wir unsere Gedanken verschwenden und wofür wir unser Geld sinnlos ausgeben. Ob wir mit dem Kauf und der Lektüre seines Buches aber vielleicht genau das tun, möge nach dieser knappen Besprechung jeder selbst entscheiden.

Die Grenzen zwischen „Überfluss und Notwenigkeit“ sind natürlich ständig „in Bewegung“, schreibt Schönburg im Vorwort und rechtfertigt mit atemberaubender Dialektik sein Projekt, dem selbstverständlich „etwas Willkürliches“ anhafte. In den elegant und flüssig formulierten Artikeln wird denn auch eine kräftige Portion Unterhaltung serviert, gewürzt mit einer Prise ironischer Kulturkritik. Schönburg gibt sich nicht nur als Kritiker, sondern auch als Konsument und Opfer „überflüssiger Dinge“ zu erkennen. Denn nur wer wirklich einmal mit „Billigfliegern“ gejettet ist oder „Fertiggerichte“ hinunter geschlungen hat, darf darüber auch schreiben. Das macht die Ansichten und Einsichten des Enddreißigers zweifelsohne sympathisch. Und gewiss können viele seiner Alters- und Standesgenossen den Überdruss an Kaviar, Golfplätzen am Mittelmeer, weißen Smokings oder dem enervierenden Protokoll bei offiziellen Empfängen teilen. Den meisten Lesern werden solche Probleme eher in Promiillustrierten als in der Realität begegnen.

Freigeist mit Fragezeichen

Doch auch für Otto Normalverbraucher hat er eine paar launige Miniaturen parat. Sie dürfen sich mit ihm über ganz gewöhnliche Dinge wie „Quallen“, „Beziehungskrisen“ oder „Wasser (aus der Flasche)“ aufregen. Ob der Man von nebenan jedoch mit der gleichen Verachtung über „auf Gummi geklebte Woll- oder Synthetikfaser“, sprich ewig verschmutzte Teppichböden klagt. Wer weiß? Künstler des „stilvollen Verarmens“ betreten schon lange frisch gebohnertes Parkett in einer schlicht, aber geschmackvoll möblierten Altbauwohnung.

Nein, hier blüht nicht der deutsche Sozialneid auf. Hier soll für einen kurzen Moment hinter die Fassade des Freigeists geblickt werden. Obgleich der arrivierte Autor die Abkehr vom protzigen Luxus und steifen Konventionen predigt, sich mal liberal, mal konservativ und mal bürgernah gibt, bleibt seine Geisteshaltung weiterhin eine elitäre. Wer die „überflüssigen Dinge“ definiert, meint die „notwendigen“ und wirklich fortschrittlichen zu kennen. Der richtige Umgang mit und die richtige Einstellung zu den Dingen markieren die feinen Unterschiede zwischen der stilbildenden Avantgarde und der angepassten Masse.

Dass der versteckte „Knigge“ zum Lexikon „geadelt“ wurde, verwundert nicht. Schließlich steht der Begriff Lexikon seit Bürgergedenken für Bildung, Seriosität und Dauerhaftigkeit. In dem „unentbehrlichen Handbuch für den modernen Menschen“ (Klappentext) wird jedoch nicht mit Wissen, sondern mit Meinungen gehandelt. Und die sollten wie Schönburg im gleichnamigen Artikel seines Lexikons so weise schreibt, immer wieder mal überprüft werden. Seine so gut wie die eigenen.

Jörg von Bilavsky

Alexander von Schönburg: Lexikon der überflüssigen Dinge. Rowohlt Berlin 2006. 208 Seiten. 16,90 Euro. ISBN: 3871345431