Überwachen und töten
– Armin Krishnan, Professor für „Security Studies“ an der University of Texas hat mit „Gezielte Tötung“ einen klarsichtigen Essay darüber vorgelegt, was avancierte Militär-, Aufklärungs- und Überwachungstechnik aus- und anrichten kann und wird. Thomas Wörtche gruselt sich …
Der Untertitel des Buches „Die Individualisierung des Krieges“ (der mit dem Untertitel auf dem Umschlag des Buches: „Die Zukunft des Krieges“ nicht ganz kongruent ist) führt ein wenig in die Irre. Denn um regelrechte Kriege, wie sie Staaten gegen Staaten führen, geht es hier weniger: Staaten befinden sich oft aus unterschiedlichen Gründen in Konflikten mit nicht-staatlichen Strukturen, die auf dem Territorium anderer souveränen Staaten operieren, mit denen sie nicht identisch sind (al Quaida in Pakistan) oder mit nicht-staatlichen Strukturen, die man – je nach point-of-view – dem „Terrorismus“, dem „organisierten Verbrechen“ (z. B. die mexikanischen Drogenkartelle) etc. zurechnen möchte. Um solche Konflikte möglichst ohne eigene Verluste führen zu können, werden zunehmend Drohnen eingesetzt, um „Feinde“ auszuschalten. Individuen, also Chef-Ideologen, masterminds, Spezialisten, operative Führer und auch einfache „Fußsoldaten“ können mit der entsprechenden Technologie (Lenkwaffen, zunehmend Nano-Technologien) getötet werden, nachdem sie vorher mit immer perfekterer Überwachungstechnologie (Satelliten, Minidrohnen etc.) identifiziert und lokalisiert worden waren. Solche Tötungen können reaktiv oder präventiv sein. Die Definitionsmacht liegt bei den Staaten, die zu solchen Aktivitäten in der Lage sind. Und innerhalb dieser Staaten sind die Entscheidungswege keineswegs transparent. Geheime Ausschüsse, geheime „Aktenlagen“, geheime Befehlsketten usw.
Da liegen die Probleme, die Krishnan diskutiert. Denn was bei einzelnen Scheusalen wie bin Laden konsensual angemessen und vernünftig scheint, birgt eine Menge juristischer und moralischer Probleme: Sind solche machbar gewordenen Tötungen politische Morde, Attentate, gar Staats-Terrorismus oder legitime und legale Instrumente der offiziellen Politik souveräner Staaten? Und was, wenn im Westen unbeliebte Staaten wie der Iran zu solchen Mitteln griffen? Wer kontrolliert und begründet die Auswahl der Ziele, wer liefert den moralischen Rahmen für „präventive Maßnahmen“ und, vor allem, wer kontrolliert die Tötungsaktionen, die ja, auf der Höhe der Technik, umso effektiver sind, je unbeobachteter und je unnachweisbarer sie ausgeführt werden?
Krishnan ist skeptisch, ohne mehr als nur ein bisschen in verschwörungstheoretische Fahrwasser zu geraten: Die politische Attraktivität effizienter Beseitigung von Individuen oder Gruppierungen ist unbehaglich. Inwieweit solche Technologien zur Überwachung der eigenen Bevölkerung eingesetzt werden können, sollte angesichts der Perfektion und der Unauffälligkeit von kleinen Drohnen eine keineswegs akademische Frage sein.

Eine ferngesteuerte Drohne vom Typ General Atomics MQ-9. Solche Flugkörper werden per Funkfernsteuerung gesteuert, der Operator sieht dabei die Bilder einer bordeigenen Videokamera. (Bild und Text: wikipedia)
Innenpolitik
Überhaupt hat man den Eindruck, dass Krishnan die innenpolitischen Implikationen für bedeutend relevanter hält als die schon anderswo und breit diskutierten außenpolitischen Unwägbarkeiten: Es zeichne sich immer mehr ab, „dass Regierungen vorrangig die eigene Bevölkerung als Bedrohung ansehen und militärische Operationen sich zunehmend gegen bestimmte Mitglieder der eigenen Zivilbevölkerung richten werden. Die Möglichkeit, in Zukunft weltweit und im Inland heimlich und abstreitbar vorgehen zu können, macht gezielte Tötungen als militärische und politische Strategie …“ sehr brauchbar. Wobei der Akzent deutlich auf der „Abstreitbarkeit“ liegt, die gerade außenpolitisch eingeübt wird, wenn, wie im Falle der privaten Militärfirma Xe, outgesourct im Auftrag, aber ohne Verantwortung geheimer Dienste der USA gezielt getötet wird.
Und die jeder Tötung vorausgehende Perfektionierung der Lokalisierung und Überwachung von Zielpersonen und Gruppierungen wird – evidentermaßen – unter dem Schirm der „Anti-Terror“-Maßnahmen – gerade eingeübt und geprobt. Was machbar ist, wird gemacht. Alles andere wäre fromme Illusion. Diskussionen, wie dieses technisch Machbare demokratisch wirksam kontrolliert werden könnte, sind vermutlich längst de facto akademisch.
Deswegen ist „Gezielte Tötung“ ein dringend notwendiger Alptraum-Essay.
Thomas Wörtche
Eine leicht abweichende Fassung des Textes erschien auch bei DRadio.
Armin Krishnan: Gezielte Tötung. Die Individualisierung des Krieges. Essay Berlin: Matthes & Seitz 2012. 270 Seiten. 17,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.